Melkitischer Patriarch spricht über Ökumene, Nahost und Weltfrieden

"Damit steht und fällt die Zukunft des Friedens"

Die Christen in Nahost sind für den emeritierten melkitischen Patriarchen Gregoire III. Laham der Garant des Weltfriedens. Ohne sie werde es zu einem Kampf der Zivilisationen zwischen dem arabischen Orient und dem Westen kommen.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Gregoire III. Laham / © Andrea Krogmann (KNA)

KNA: Sie wurden bei Damaskus geboren, leben derzeit im libanesischen Saida. Wie erleben Sie die gegenwärtige Lage in beiden Ländern, auch aus christlicher Sicht?

Gregoire III. Laham (Emeritierter melkitischer Patriarch): Das gegenwärtig größte Problem in Syrien ist die unsichere Lage. Mit ihr kommt die Angst vor dem, was kommen könnte - Tod, Revolution, Aufstand? Die neuen Machthaber haben nicht alles in der Hand, es bleibt viel Unsicherheit. Dabei geht es vor allem um die Frage, was auf lange Sicht für ein Staat aufgebaut werden soll, und ob es ein islamistischer Staat werden wird. 

In dieser Gemengelage gibt es Kräfte, die Unruhen stiften und Syrien in einen Bürgerkrieg führen wollen. Es kommt zu Plünderungen und Massakern. Die Spaltung, die sie suchen, ist vorrangig zwischen Sunniten und Schiiten, aber quasi als Nebenprodukt auch zwischen Christen und Muslimen. Christen sind so eine kleine Gruppe, dass der Effekt von Grausamkeiten gegen sie viel größer ist.

KNA: Wie reagieren die Kirchen?

Laham: Die drei Patriarchate in Damaskus reagieren schnell und ohne Hass zu schüren. Sie suchen Wege, die Gewalt zu verhindern und gleichzeitig die Einheit der Syrer zu bewahren. Wir müssen zu Vernunft, Frieden und Liebe aufrufen, nicht nur für Syrien, sondern für die ganze Welt. Dabei dürfen wir nicht nur jammern, sondern müssen als Christen das Positive zeigen, ohne das Elend zu übersehen. Wir müssen an einer Brücke zwischen den Menschen mitbauen. 

Die Kirche bezieht auch Stellung gegen eine zu harsche Haltung der neuen Regierung gegen Mitarbeiter des gestürzten Machthabers Baschar Al-Assad. Die Regierung versucht, Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten, ist aber manchmal übertrieben hart: Nicht jeder einfache Angestellte im Dienst Assads war auch ein Anhänger von ihm.

KNA: Und die Lage im Libanon?

Laham: An der Grenze Südlibanons zu Israel ist viel Grausames passiert. Viele Menschen sind geflohen, ganze Dörfer standen leer. Diese schwierige Zeit ist vorbei. Viele Menschen sind zurückgekehrt und wollen bleiben, obwohl ihre Häuser zerstört sind. Sie verlieren die Hoffnung nicht. Gleichzeitig sehen wir eine unglaubliche Solidarität der Menschen untereinander und mit den Flüchtlingen. Ähnliches müsste es für die Menschen im Gazastreifen geben. 

Gregoire III. Laham

"Trumps Lösung ist kriminell, selbst wenn man sie nur als Zwischenlösung denkt."

Der Vorschlag von US-Präsident Donald Trump für eine Umsiedlung macht mich traurig. Statt sie nach Ägypten zu schicken, müsste man ihnen helfen, zu bleiben und am Wiederaufbau mitzuhelfen. Trumps Lösung ist kriminell, selbst wenn man sie nur als Zwischenlösung denkt. Wer den Gazastreifen verlässt, wird nicht wiederkommen. Deshalb bin ich dankbar, dass die arabische Welt sich dagegen ausspricht.

KNA: Im Nahen Osten gibt es viele Baustellen. Worin sehen Sie persönlich die größte Herausforderung?

Laham: Das größte Problem des Nahen Ostens ist der UN-Teilungsplan für Palästina von 1947. Die Zwei-Staaten-Lösung ist eine große Lüge, solange die Weltbeschlüsse nicht umgesetzt werden. Stattdessen drängen israelische Siedler immer weiter auf palästinensisches Land, und die Welt schweigt. 

Gregoire III. Laham

"Mit der Zukunft Palästinas steht und fällt die Zukunft des Friedens und der Christen in Nahost."

Es bräuchte eine Welt, die geschlossen aufsteht und die Entschlüsse auch umsetzt. Beide Völker könnten gut miteinander leben - viele Elemente eines Zusammenlebens sind schon da. Nur muss dieses Zusammenleben gefördert und nicht der Hass geschürt werden. Mit der Zukunft Palästinas steht und fällt die Zukunft des Friedens und der Christen in Nahost.

KNA: Wie meinen Sie das?

Laham: Wenn es in Nahost keine Christen mehr gibt, wird es zu einem Clash der Zivilisationen kommen, zu einem Kampf zwischen der arabisch-muslimischen Welt und dem Westen. Palästina ist vielleicht ein kleines Land, aber seine Bedeutung ist in diesem Sinne sehr viel größer. 

Für diesen Frieden müssen sich die Christen und die Kirchen vor Ort einsetzen. Die Kirche ist in unseren Händen, nicht außerhalb in den USA oder in Europa.

KNA: Wir treffen Sie bei einem Besuch der türkischen Stadt Iznik, dem antiken Nizäa, in der vor 1700 Jahren das erste Ökumenische Konzil stattfand. Welche Bedeutung hat das Konzil für die heutige Christenheit?

Laham: Ich habe vor Dankbarkeit geweint in Nizäa, weil es der Ort ist, an dem man die Lehre der Väter versteht, die aus allen Himmelsrichtungen zusammengekommen sind. Nizäa sagt allen Christen überall: Ihr seid eins! Vier Milliarden Christen in der Welt beten das Glaubensbekenntnis, auf das sich die Väter 325 einigten, trotz aller Probleme und Konzilien, die danach kamen. 

Gregoire III. Laham

"Ich habe vor Dankbarkeit geweint in Nizäa."

Das ist ein Wunder und muss gefeiert werden. Ich wünschte mir, alle Patriarchen des Ostens würden sich gemeinsam auf die Reise nach Nizäa und Konstantinopel machen. Nizäa erinnert uns Kirchenführer daran, dass wir gegenüber unseren Gläubigen die Einheit betonen müssen statt der Trennung. Theologisch trennt uns nichts.

KNA: Wie sehen Sie konkret die ökumenische Zukunft?

Laham: Gemeinsame Sozialarbeit, gemeinsame wissenschaftliche Forschung, gemeinsame Pfarreien und gemeinsame Ausbildung - das ist für mich die Zukunft der Ökumene, besonders in Nahost, wo die Menschen verschiedener Konfessionen sich so nah sind. Wir müssen ganz praktisch mehr Gemeinschaft schaffen.

Das Interview führte Andrea Krogmann.