Menschenrechtler kritisiert Kuba-Politik des Vatikan

"Stabilisierungspolitik für die Diktatur"

Vor 25 Jahren besuchte Papst Johannes Paul II. Kuba. Im Blick auf die gegenwärtige Kuba-Politik des Vatikans äußert die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte deutliche Kritik und attestiert "keine glückliche Hand".

Kubanische Fahne in den Straßen von Havanna / © Kamira (shutterstock)
Kubanische Fahne in den Straßen von Havanna / © Kamira ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Kuba ist immer wieder in den Schlagzeilen wegen der Menschenrechtslage. Aber die Ära von Fidel Castro ist ja schon lange vorbei. Warum schottet sich das Land weiterhin noch ab?

Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

Martin Lessenthin (Menschenrechtsexperte und Vorstandssprecher bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM): Fidel Castro ist nicht mehr an der Spitze des Staates. Er hat das Amt übertragen an seinen Bruder Raúl Castro und der wiederum an Díaz-Canel. Was geblieben ist, ist der sogenannte "Castrismus" oder auch "Stalinismo tropical". Damit ist die Herrschaft von Partei, Geheimdienst und Armee ungebrochen. Aus diesem Grunde werden die Kubaner weiterhin von der Welt abgeschottet, damit sie im Sinne dieser sehr brutalen Parteiherrschaft trotzdem kooperieren.

Sie werden abgeschottet, damit sie kooperieren und leiden und nicht dagegen aufbegehren, dass sie ständig ausgebeutet werden und dass das Geld, das der kubanische Staat zum Beispiel durch die von der Armee betriebenen Hotels generiert, im Ausland an internationalen Finanzplätzen versteckt wird und die Kubaner selbst nichts zu essen haben.

Bis heute leben sie von dem, was in der Libretta eingetragen ist. Das ist so ein Büchlein, das wir in Deutschland aus der Nachkriegszeit oder aus der DDR-Zeit kennen, so ein Lebensmittel-Heftchen, wo dann drinsteht, dass man im Monat beispielsweise ein halbes Pfund Butter beziehen darf und zwei Packungen Joghurt. Und selbst das ist für die normalen Kubaner nicht garantiert. Die kubanische Bevölkerung lebt in Not und in furchtbaren hygienischen Verhältnissen.

Martin Lessenthin (Menschenrechtsexperte und Vorstandssprecher bei IGFM)

"Viel Leiden steht auf der Tagesordnung in Kuba, gerade auch für diejenigen, die sich gerne im Sinne der Religionsfreiheit engagieren. Auch katholische Priester und Laien sind Betroffene von Verfolgung."

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Religionsfreiheit: Der Besuch von Johannes Paul II. hat kurzfristige Verbesserungen gebracht, die nicht wirklich langfristig gegriffen haben. Wie sieht es denn heute aus mit der Kirche und allgemein mit der Religionsfreiheit in Kuba?

Lessenthin: Das ist richtig. Diese Verbesserungen waren marginal und sie haben keine positive Dynamik entfaltet. Wir haben das bei verschiedenen Anlässen in den vergangenen Jahren gerade wieder nachvollziehen müssen. Viel Leid steht auf der Tagesordnung in Kuba, gerade auch für diejenigen, die sich gerne im Sinne der Religionsfreiheit engagieren. Auch katholische Priester und Laien sind Betroffene von Verfolgung.

Was man auch nicht vergessen darf: Als nach dem Besuch von Johannes Paul II. ein Hoffnungsschimmer durch Kuba ging, hat gleichzeitig der Staat mit dieser starken Förderung von Santeria begonnen. Das ist ein Kult, der vor allem, was die Gläubigen angeht, zulasten der katholischen Kirche gehen soll und der angeblich auf Touristen zielt, denen man mit Voodoo eine besondere Attraktion bietet, wenn dann Santeria-Priesterinnen vor zahlenden Touristen auftreten. Es gibt also keine positive Entwicklung und erst recht auch nicht für die Brüder und Schwestern aus den evangelischen Gemeinden, die zum Teil im Untergrund vor sich hin vegetieren.

Katholische Kirche auf Kuba

Auf der Karibikinsel Kuba ist die katholische Kirche weniger stark verankert als in anderen lateinamerikanischen Ländern. Rund 60 Prozent der rund 11,3 Millionen Kubaner sind katholisch getauft. Diese vergleichsweise geringe Präsenz ist nicht allein Ergebnis der seit rund 60 Jahren andauernden kommunistischen Herrschaft, sondern reicht bis in die spanische Kolonialzeit zurück. Die langjährige gesellschaftliche Ausgrenzung der Kirche auf Kuba spiegelt sich insbesondere auch im Bildungs- und Gesundheitswesen wider.

Straßenbild aus Havanna, Kuba / © Mike Laptev (shutterstock)
Straßenbild aus Havanna, Kuba / © Mike Laptev ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In diese ganze Gemengelage ist dann noch die Corona-Pandemie gekommen. 2021 gab es Proteste im Land, auch wegen der schlechten Versorgungslage dadurch. Teilnehmern der Proteste wurde da der Prozess gemacht. Viele Urteile erscheinen da relativ willkürlich. In anderen Ländern wie in Belarus und sogar im Iran gibt es Widerstandsbewegungen und ein demokratischer Aufbruch wird zumindest versucht. So etwas kommt in Kuba nicht wirklich durch, oder?

Lessenthin: Die Situation in Kuba ist auch sehr viel schwieriger. Während es in Belarus zum Beispiel vorher Oppositionsstrukturen gegeben hat, waren die auf Kuba nur im Ansatz vertreten, weil in der Castro- und Raúl-Ära schon immer alles im Keim erstickt wurde. Es gibt tatsächlich in diesem "Stalinismo tropical" eine barbarische Härte. Und es gibt auch das Problem, dass diejenigen, die sich nicht mit dem System arrangieren, über weniger Bildung verfügen und über weniger Möglichkeiten überhaupt sich zu artikulieren.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es auf Kuba nur staatliche Kommunikation gibt. Es gibt keine Nachbarländer, die diese Kommunikation etwas aufweichen können, wenn man mal davon absieht, dass es Radioprogramme aus den USA gibt. Aber die Kubaner selbst haben keinen Zugang zu partizipieren. Das gilt natürlich auch für die katholische Kirche, die auf Kuba noch nicht mal einen Radiosender betreiben darf.

DOMRADIO.DE: In der aktuellen Situation gibt es aufgrund des Ukraine-Kriegs vielerorts Versorgungsengpässe, die sich gerade auf ärmere Länder auswirken. Davon ist Kuba genauso betroffen. Könnte das zu einem Umsturz führen, wenn da die menschliche Not immer schlimmer und die Lebensmittel immer knapper werden?

Lessenthin: Es brodelt auf Kuba immer – seit vielen Jahrzehnten. Es ist immer möglich, dass neue Proteste auch ein Ausmaß erreichen können, das den 11. Juli 2021 überschreitet. Damals sind ja immerhin landesweit Hunderttausende als Protestierende auf die Straße gegangen. Damals waren auch viele katholische Laien und Priester dabei.

Natürlich kann es sein, dass der Funke dann überspringt und dass es sich aus großen Protesten heraus zu einer Revolution entwickelt. Den Kubanern ist auf jeden Fall zu wünschen, dass sie dieses Regime abstreifen können und dass es zu einem positiven Regimewechsel kommt.

DOMRADIO.DE: Sie zeichnen ein relativ drastisches Bild sowohl von der Versorgungslage als auch von der Menschenrechtslage. Papst Franziskus hingegen hat sich wiederholt sogar positiv zur kubanischen Regierung geäußert. Welche Rolle spielt er da? Hilft er der Menschenrechtssituation oder macht er das durch so eine Legitimierung der Regierung sogar noch schlimmer?

Martin Lessenthin (Menschenrechtsexperte und Vorstandssprecher bei IGFM)

"Im Moment ist es so, dass der Vatikan de facto eine Stabilisierungspolitik für die Diktatur leistet."

Lessenthin: Da muss ich leider feststellen, dass Papst Franziskus keine glückliche Hand gegenüber lateinamerikanischen Diktaturen selbst gehabt hat. Ich möchte als Beispiel die vatikanische Politik mit China nennen, die gerade zulasten der unabhängig denkenden katholischen Christen in China geht. Wenn man sieht, dass Franziskus eher zur Beschwichtigung neigt, übrigens nicht nur gegenüber Kuba, sondern auch gegenüber der brutalen Diktatur in Nicaragua, so muss man sich wirklich fragen: Wohin soll das führen?

Im Moment ist es so, dass der Vatikan de facto eine Stabilisierungspolitik für die Diktatur leistet. Es wird wirklich Zeit, dass sich hier etwas ändert und dass zum Beispiel die Schicksale von politischen Gefangenen – ich nenne mal nur den Deutsch-Kubaner Luis Frómeta Comte oder die Bürgerrechtler Daniel Ferrer oder Felix Navarro – im Vatikan auch wahrgenommen werden und dass der Papst vielleicht einmal etwas zu den politischen Gefangenen auf der Insel sagt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR