Nach seiner Freilassung in der Türkei wird der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner schon am Donnerstag wieder in Deutschland erwartet. Sein Anwalt kündigte nach der Gerichtsentscheidung am Mittwochabend an, Steudtner und dessen schwedischer Kollege Ali Gharavi würden mit "dem nächstmöglichen Flug" ausreisen.
Mehr als drei Monate hatten beide in türkischer Haft gesessen, ehe sie ohne Auflagen aus der Untersuchungshaft freikamen. Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge sagte, die Appelle an das Gerechtigkeitsempfinden und die Wahrung rechtsstaatlicher Standards hätten offenbar gewirkt. "Unsere Freude ist vor allem mit seiner Familie, aber auch mit seiner Gemeinde, die so intensiv und engagiert für ihn gebetet und gehofft hat."
Er freue sich auch über die Freilassung von weiteren Gefangenen, erinnere aber daran, "dass immer noch viele Menschen in der Türkei offensichtlich unbegründet in Haft sind, unter ihnen Mesale Tolu mit ihrem kleinen Sohn".
"Privatsphäre der Familie achten"
In der evangelischen Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg, der Heimatgemeinde Steudtners, wurden seit seiner Verhaftung unter anderem jeden Montagabend Andachten abgehalten. Zudem stand die Kirche jeden Abend für Fürbittgebete offen. Für Donnerstagabend kündigte die Gemeinde eine Dankes- und Fürbittandacht für die Freilassung Steudtners und der anderen Gefangenen an.
Die Familie und der Unterstützerkreis Steudtners nahmen seine Entlassung mit großer Erleichterung auf. Steudtner und der mitangeklagte schwedische Aktivist Ali Gharavi unterstützten gewaltfreie Menschenrechtsarbeit, betonten sie in einer gemeinsamen Erklärung. Diese sei für alle fundamental: "Wir sind froh, dass die beiden diesen Faden nun hier zuhause wieder aufgreifen können." Zugleich appellierten sie an die deutschen Medien, jetzt die Privatsphäre der Familie zu achten.
"Ermutigendes Signal"
Die Bundesregierung begrüßte die Entlassung Steudtners, nach dessen international höchst umstrittener Festnahme sie im Juli ihre Türkei-Politik neu ausgerichtet hatte. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einem "ermutigenden Signal", zugleich jedoch von einem "ersten Schritt".
Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte auf Twitter
Die Bundesregierung ist seit Dienstag geschäftsführend im Amt.
Trotz der Freilassung sieht die Grünen-Politikerin Claudia Roth keinen Grund zur Entwarnung. Man dürfe nicht vergessen, dass das Ende der Untersuchungshaft kein Freispruch sei, sagte Roth am Donnerstag NDR Info. Der Prozess in der Türkei gehe weiter, obwohl die Anklage "völlig aus der Luft gegriffen und durch nichts zu rechtfertigen" sei.
Der Anwalt der beiden Freigelassenen, Murat Boduroglu, sagte nach der Gerichtsentscheidung: "Der Ausreise steht nichts mehr im Wege." Auch die türkischen Menschenrechtler, die in U-Haft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt - teilweise aber unter Auflagen. Eine Ausnahme stellt der ebenfalls angeklagte Amnesty-Vorsitzende der Türkei, Taner Kilic, dar. Er ist wegen eines anderen Verfahrens in Untersuchungshaft, das am Donnerstag in Izmir beginnen soll.
"Es bleibt noch viel zu tun"
Amnesty International forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf Ankara aufrechtzuerhalten. Es bleibe nach den "schwierigen Instrumentalisierungen der türkischen Justiz (...) noch viel zu tun, um irgendwie von Normalisierung von Beziehungen zu sprechen", sagte der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, der Deutschen Presse-Agentur. "Die internationale Staatengemeinschaft ist weiter gefordert, auf allen Ebenen auf die türkischen Behörden und die türkische Regierung einzuwirken, dass Menschenrechtsstandards eingehalten werden und dass wir auch wirklich Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz sehen."
Das Verfahren - unter anderem gegen Steudtner und Gharavi - in Istanbul geht im November weiter - für beide dürfte das aber keine Auswirkungen mehr haben. Sie werden so bald wie möglich in die Heimat fliegen, und die Türkei wird künftig sicher nicht mehr auf der Liste ihrer Reiseziele stehen. Steudtner, Gharavi und neun weiteren Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation» beziehungsweise "Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen" vorgeworfen, worauf bis zu 15 Jahren Haft stehen.
Steudtner wies Vorwürfe zurück
Der deutsche Menschenrechtler hatte zum Prozessauftakt am Mittwoch die gegen ihn erhobenen Terrorvorwürfe zurückgewiesen und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft gefordert. Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Workshop auf einer Insel bei Istanbul unter Terrorverdacht festgenommen worden. Die beiden Ausländer waren als Referenten zu dem Seminar eingeladen gewesen, bei dem es laut Amnesty International um digitale Sicherheit und die Bewältigung von Stresssituationen ging.
Am 18. Juli verhängte ein Gericht in Istanbul daraufhin Untersuchungshaft gegen Steudtner und Gharavi und mehrere andere Beschuldigte. Kilic war bereits im Juni im westtürkischen Izmir in U-Haft genommen worden, sein Fall wurde der Anklageschrift überraschend hinzugefügt.