Urteil im Koblenzer Prozess zu Staatsfolter in Syrien erwartet

Menschenrechtler sehen Signalwirkung

Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz galt schon zu Beginn als historisch. Es war der erste Prozess zu Staatsfolter in Syrien. An diesem Donnerstag wird nun das Urteil gegen den Hauptangeklagten erwartet.

Autor/in:
Anna Fries
Der Syrer Eyad A. vor der Urteilsverkündung im Oberlandesgericht Koblenz am 24. Februar 2021 / © Thomas Lohnes (dpa)
Der Syrer Eyad A. vor der Urteilsverkündung im Oberlandesgericht Koblenz am 24. Februar 2021 / © Thomas Lohnes ( dpa )

Nach knapp zwei Jahren und mehr als 100 Verhandlungstagen endet nun ein Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, der schon zu Beginn historisch genannt wurde. Es war der international erste Prozess zu Staatsfolter in Syrien. Zwei Angeklagte mussten sich im sogenannten Al-Khatib-Verfahren verantworten, die für den syrischen Geheimdienst gearbeitet und grausame Verbrechen begangen haben sollen.

Am Donnerstag wird das Urteil gegen den Hauptangeklagten Anwar R. erwartet. Er soll im Raum Damaskus in der Abteilung 251 des Geheimdienstes in leitender Position 2011 und 2012 für die systematische Misshandlung von Menschen verantwortlich gewesen sein.

Vorwurf: Folter in 4.000 Fällen und Mord in mindestens 30 Fällen

Die Anklage wirft ihm unter anderem Folter in 4.000 Fällen und Mord in mindestens 30 Fällen vor. Die Verteidigung forderte einen Freispruch. Der Mitangeklagte Eyad A. wurde bereits im Februar 2021 vom OLG wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

Dass der Prozess in Deutschland geführt wird und nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, hat mehrere Gründe. Syrien ist kein Vertragsstaat im ICC. Daher könnte ein Prozess dort nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates geführt werden - was Russland blockiert.

Grundlage für das Koblenzer Verfahren ist das Weltrechtsprinzip. Seit 2002 können bestimmte Verbrechen - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - in Deutschland geahndet werden, auch wenn weder die Tat hierzulande geschehen ist noch die Angeklagten oder die Opfer aus Deutschland kommen. Menschen, die solche Verbrechen begangen haben, sollen in Deutschland nicht frei sein, so die Idee.

Das bedeutet auch: Diejenigen, denen in Deutschland ein Prozess gemacht werden kann, sind in der Regel nicht mehr Teil des Regimes in Syrien. Anwar R. floh nach seiner Tätigkeit für das syrische Regime ins Ausland und beantragte schließlich in Deutschland Asyl. Durch Aussagen über seine frühere Tätigkeit bei deutschen Behörden machte er auf sich aufmerksam, was letztlich zur Anklage führte.

Wichtiges Signal erwartet

Menschenrechtler werten den Koblenzer Prozess als wichtiges Signal.

Von einem "Meilenstein" spricht Rechtsanwalt Patrick Kroker vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR), der einige Nebenkläger vertritt. Der Prozess habe bis dahin nicht bekannte Aspekte von Verbrechen ans Licht gebracht und offenbart, dass in Syrien seit 2011 systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen würden. Eine solche Dokumentation vor Gericht erschwere es, später Fakten anzuzweifeln.

Als wichtiges Beweismittel wurden die sogenannten Caesar-Dateien eingebracht. Rund 28.000 Fotos, die von einem syrischen Militärfotografen außer Landes gebracht wurden, zeigen Leichen mit massiven Folterspuren. Seit 2016 liegen sie der Bundesanwaltschaft vor. Zahlreiche Überlebende, Menschenrechtler aber auch ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und Ermittler sagten als Zeugen aus. Die Berichte über Massengräber, Lastwagen voller Leichen und das System der Folter erschütterten.

Einer der Nebenkläger ist der Syrer und Folter-Überlebende Wassim Mukdad, der mittlerweile in Berlin lebt. Vom Koblenzer Prozess erhoffe er sich "einen Beweis, dass unser Schmerz zählt". Dazu sei es wichtig, die Details "in der Sprache der Betroffenen" zu dokumentieren.

Gerade für die in Deutschland lebenden Syrer sei der Zugang zu Informationen über den Prozess schwierig, kritisiert auch das ECCHR.

Weitere Verfahren eingeleitet

Das Gericht informiere nur auf Deutsch. Audio-Aufnahmen, die eine Übersetzung ermöglichten, seien im Prozess nicht erlaubt gewesen. So sei die syrische Bevölkerung weitgehend davon abhängig, dass Medien korrekt auf Arabisch oder Englisch über den Prozess berichteten.

Die syrische Menschenrechtsanwältin Joumana Seif, die auch für das ECCHR arbeitet, sagt: Gerechtigkeit könne der Prozess nicht leisten. Dazu müssten die Verbrechen vor einem internationalen Gericht oder in Syrien verhandelt werden. Dennoch sei der Prozess ein erster "sehr wichtiger Schritt".

Die Bundesanwaltschaft ermittelt umfangreich im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien und hat weitere Verfahren gegen Akteure eingeleitet, die im Verdacht stehen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. In Frankfurt beginnt bald ein ähnlicher Prozess gegen einen in Deutschland lebenden syrischen Arzt, dem Folter und Mord vorgeworfen werden.

Der Trierer Strafrechts-Professor Till Zimmermann sieht Deutschland in einer Vorreiterrolle. Die Zukunft des Völkerstrafrechts sehe er weniger beim Internationalen Strafgerichtshof als vielmehr bei nationalen Gerichten, die meist mehr Kapazitäten hätten. Außerdem sei es "auf internationaler Bühne schwieriger, Konsens herzustellen und alle Veto-Mächte zu überzeugen".


Urteil gegen mutmaßliche Agenten des syrischen Geheimdienstes / © Thomas Frey (dpa)
Urteil gegen mutmaßliche Agenten des syrischen Geheimdienstes / © Thomas Frey ( dpa )
Quelle:
KNA