Vor dem Deutschlandbesuch des tunesischen Premierministers Youssef Chahed haben Menschenrechtler vor zunehmender Repression in dem nordafrikanischen Land gewarnt. In Reaktion auf Terroranschläge seit 2015 wende Tunesien Notstandsgesetze an, von denen viele mit Menschenrechtstandards unvereinbar seien, kritisierte Amnesty International in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Es gebe Folter und willkürliche Inhaftierungen. Seit Verhängung des Notstands im November 2015 seien Tausende in Haft genommen worden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte unterdessen den politischen Umbruch in Tunesien seit dem Sturz der Diktatur 2011. Das Land gelte als "Hoffnungsprojekt bei dem, was man 'Arabischen Frühling' nennt", sagte Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft am Samstag. "Dennoch sehen wir natürlich auch viele mühselige Schritte auf dem Weg zur Demokratie und auch durchaus politische Auseinandersetzungen", räumte sie ein.
Auffanglager für Flüchtlinge im Gespräch
Premier Chahed wird am Dienstag in Berlin erwartet. Bei dem Treffen mit Merkel stehen die Themen Terrorismus, Flüchtlinge, die Rückführung abgelehnter Asylbewerber und die hohe Jugendarbeitslosigkeit auf der Tagesordnung. Im Gespräch ist ein Auffanglager für Flüchtlinge in Tunesien, die auf dem Weg übers Mittelmeer nach Europa wollen. Der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Amis Amri, stammte aus Tunesien.
Amnesty wirft Tunesien Folter, willkürliche Inhaftierungen, Razzien ohne Durchsuchungsbeschluss und Reisebeschränkungen vor. Diese Maßnahmen würden auf diskriminierende Weise aufgrund von Aussehen, Glauben oder vorherigen Strafen angewendet. Amnesty dokumentierte 23 Fälle von Übergriffen, vor allem bei Verdächtigungen in Zusammenhang mit Terror.
Demnach berichteten Opfer über Schläge mit Stöcken und Gummischläuchen bis zur Bewusstlosigkeit, Elektroschocks, Schlafentzug und anderen qualvollen Behandlungen. Darunter sind auch Vergewaltigungen in Polizeigewahrsam. Die Frau eines Verdächtigen erlitt durch Schläge eine Fehlgeburt, wie Amnesty dokumentierte.
Sicheres Herkunftsland?
Merkel verteidigte indes das im Bundesrat blockierte Vorhaben, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dies werde für rechtliche Klarheit sorgen und Rückführungen abgelehnter Asylbewerber erleichtern. Die tunesische Regierung sei dabei zu einer besseren Zusammenarbeit bereit, betonte sie in ihrer Video-Botschaft.
Im Fall Amri waren die Pass-Ersatzpapiere aus Tunesien spät eingetroffen, auch weil er viele Identitäten nutzte, so dass er nicht abgeschoben werden konnte. Man werde darüber sprechen, "wie wir für die Zukunft sicherstellen können, dass schneller gearbeitet wird, insbesondere wenn es um Gefährder geht", sagte Merkel.
Das nordafrikanische Land stelle sich dem islamistischen Terrorismus sehr couragiert. "Wir müssen Tunesien auch helfen, mit dieser terroristischen Gefahr fertig zu werden, weil natürlich auch ein Wirtschaftszweig, der für Tunesien sehr wichtig ist - der Tourismus - extrem von der Sicherheitslage abhängt", sagte Merkel. Deshalb werde man über die Fortführung einer Sicherheitspartnerschaft sprechen.