Im Kampf gegen Demenzerkrankungen sind schon viele Hoffnungen enttäuscht worden. Dabei ersehnen Millionen Menschen weltweit Erfolge im Kampf gegen das Vergessen. Das menschliche Leid für Patienten und Angehörige ist kaum zu bemessen; die volkswirtschaftlichen Schäden dieser auch als neue Geißel der Menschheit bezeichneten Erkrankung werden allein für Deutschland auf 40 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Seit 2009 ist Bonn die erste Adresse für die Demenz- und Parkinsonforschung in Deutschland. Seitdem wird das "Deutsche Zentrum für die Erforschung Neurodegenerativer Erkrankungen" (DZNE) als weltweit größte Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet aufgebaut.
Schaltzentrale der Demenzforschung
Bonn ist die Schaltzentrale eines Netzes von bundesweit neun Wissenschaftsstandorten, die der Volkskrankheit das Handwerk legen wollen: durch Grundlagenforschung, klinische Forschung und die Suche nach neuen Medikamenten, Therapien und Behandlungsformen.
An diesem Mittwoch wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Neubau des DZNE eröffnen und damit noch einmal unterstreichen, welchen Stellenwert die Bundesregierung diesem Forschungszweig beimisst. Der Neubau hat insgesamt 126,8 Millionen Euro gekostet; die inzwischen fast 500 Beschäftigten am Standort Bonn können künftig über die Disziplinen hinweg in einem Gebäude gemeinsam forschen. Bundesweit sind rund 1.000 Mitarbeiter in dem Projekt beschäftigt. Bund und Länder finanzieren es mit jährlich 80 Millionen Euro.
Kein Wundermittel in Sicht
Ein Wundermittel ist nicht in Sicht. Bisherige Medikamententests verliefen enttäuschend. Für die 35 Millionen Menschen auf dem Globus, die allmählich ihr Gedächtnis und ihre Persönlichkeit verlieren, eine erschreckende Nachricht. Auch für die rund 1,6 Millionen Menschen, die in Deutschland an einer Demenz erkrankt sind. Ohne entscheidende Fortschritte könnte ihre Zahl bis 2050 auf rund drei Millionen anwachsen, schätzt die Alzheimer-Gesellschaft.
Therapien erwartet DZNE-Gründungsdirektor Pierluigi Nicotera erst in Jahrzehnten. Doch bereits vorher erhofft er sich Fortschritte für Patienten von besseren Diagnose- und Früherkennungsverfahren.
Hoffnung macht, dass das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, zumindest in den westlichen Ländern zurückgeht. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Lebenswandel eine wichtige Rolle spielt. Nichtsdestotrotz nimmt die Gesamtzahl der Erkrankungen - wegen der Alterung der Bevölkerung - weiter zu.
Der am DZNE arbeitende Neurologe Michael Heneka rechnet damit, dass in den kommenden 20 Jahren ein Medikament entwickelt wird, das Demenzerkrankungen zumindest verlangsamt oder gar aufhält. Medizin und Wissenschaft hätten in den vergangenen drei, vier Jahren ein völlig verändertes Verständnis der Erkrankungen erarbeitet, sagt er.
Suche nach den Ursachen
Bislang seien die Forscher davon ausgegangen, dass die Erkrankung beginnt, wenn sich erste Anzeichen von Gedächtnisstörungen zeigen, erläutert Heneka. Das passiere meist zwei bis drei Jahre, bevor das Krankheitsbild richtig ausgeprägt sei. "Mittlerweile wissen wir, dass Demenzen fast 20 oder 30 Jahre vor der Hochphase der Erkrankung beginnen – zu einem Zeitpunkt, an dem keiner etwas davon merkt."
Auch die Suche nach den Ursachen hat Neues ergeben: Jahrzehntelang hat sich die Forschung auf die vielbeschriebenen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn konzentriert, die die Nervenzellen schädigen. "Mittlerweile gehen wir aber von einem pathologischen Dreigestirn aus", sagt Heneka: den Ablagerungen außerhalb der Zellen, Eiweißverklumpungen innerhalb der Zellen und Fehlfunktionen des Immunsystems. Diese Faktoren reagieren offenbar über Jahrzehnte miteinander. Das macht es sehr kompliziert. Deshalb sei es jetzt wichtig, die ganz frühe Phase der Erkrankung besser zu verstehen, fügt Heneka hinzu. Die Therapien könnten dann möglicherweise viel wirkungsvoller sein.
Erkenntnisse versprechen sich die Mediziner dabei auch von der sogenannten Rheinland-Studie. Daran sollen bis zu 30.000 Menschen im Großraum Bonn über drei Jahrzehnte teilnehmen. Die Wissenschaftler wollen überprüfen, ob sich an biologischen Zeichen des menschlichen Körpers eine beginnende Erkrankung ablesen lässt.