Militäroffensive gegen geschwächte Guerilla in Kolumbien erwartet

Die FARC unter Druck

Kolumbien setzt den FARC-Rebellen das Messer auf die Brust. "Alles oder nichts" ist gemäß der regierungsnahen Zeitung "El Tiempo" die neue Strategie des konservativen Präsidenten Álvaro Uribe. Entweder lassen sich die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) auf sofortige, direkte und umfassende Friedensverhandlungen ein. Oder Kolumbien erlebt "die größte bisher gesehene Militäroffensive", kündigte das Blatt Mitte Juli an.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Die Selbstsicherheit Uribes bekam erst jüngst neuen Schub. Anfang Juli befreite ein Armeekommando in einer spektakulären Aktion Ingrid Betancourt, drei US-Geiseln und elf weitere Verschleppte aus der Gewalt der FARC. Im Medienrummel um die Politikerin Betancourt ging unter, dass die Regierung die bisherigen Vermittlungen Spaniens, Frankreichs und der Schweiz für gescheitert erklärte. Stattdessen plädiert der Sicherheitsexperte Alfredo Rangél, Top-Berater von Kolumbiens Verteidigungsministerium, für eine direkte Vermittlung, ohne ausländische Hilfe.

"Es gibt keine Alternative zum direkten Dialog zwischen Regierung und FARC", erklärt Rangél. Die Regierung werde "mehr Druck ausüben, um Verhandlungen zu erzwingen." Doch das Misstrauen zwischen Regierung und FARC ist groß. Mauricio Angel von der Menschenrechtsorganisation International Crisis Group bezweifelt, dass ein direkter Dialog möglich ist. "Ich weiß nicht, wer diese Kontakte herstellen kann", sagt Angel.

Noch weiter geht Konfliktforscher León Valencia. Er bezweifelt die von Uribe angekündigte Verhandlungsbereitschaft. "Reine Propaganda", urteilt der Ex-Kommandant einer anderen Rebellengruppe. Nach seiner Abkehr vom bewaffneten Kampf war Valencia selbst an den Vermittlungen mit den FARC beteiligt. "Dieser Krieg wird weitergehen. Die Regierung geht jetzt zur totalen Offensive über", sagt er voraus. Kolumbiens Militär sei wegen mehrerer empfindlicher Niederlagen, die es den Rebellen bereitete, in großer Euphorie. Wie das aussehen kann, zeigte der jüngste Militärangriff auf ein FARC-Lager, bei dem Medienberichten zufolge etwa 20 Menschen getötet wurden.

Geschwächt wie selten
Tatsächlich ist die älteste Guerillagruppe Lateinamerikas geschwächt wie selten in ihrer 44-jährigen Geschichte. 20.000 Kämpfer hatte sie, als Uribe 2002 sein Amt antrat. Zwischen 8.000 und 11.000 sind es heute. Dabei verloren die Rebellen ein Dutzend Größen, so im März ihren Chef und Begründer Manuel Marulanda und ihren außenpolitischen Sprecher Raúl Reyes. Im Mai ergab sich dann Kommandantin "Karina".
Sie soll den Vater von Präsident Uribe ermordet haben.

"Die FARC haben viele Leute und Territorium verloren", resümiert Angel. "Der Kampfgeist bricht. Die Leute desertieren in Massen." Dennoch ist zweifelhaft, ob die Rebellen ihre Situation richtig einschätzen. Sie sind laut Betancourt eine "autistische Organisation", die jeden Bezug zur Realität verloren hat. Frühere Verhandlungsversuche scheiterten auch an absurden Vorbedingungen der FARC.

"Mit wem sollte sie dann noch verhandeln?"
Zwar kündigten sie jüngst erneut ihre Bereitschaft zu einer "Vereinbarung" an, einige Kommandanten zogen das Angebot aber wieder zurück. Ohnehin versteht die Gruppe unter der Vereinbarung lediglich den Austausch ihrer rund 500 Kämpfer in Haft gegen die 25 sogenannten politischen Geiseln in ihrer Gewalt. Keine Rede war von den bis zu 700 Geiseln, die ausschließlich der Lösegelderpressung dienen.

Doch Kolumbiens Regierung fordert inzwischen mehr und erfährt zunehmend Unterstützung vom Ausland: einen Waffenstillstand und die bedingungslose Freilassung aller Geiseln. Selbst Lateinamerikas Linksregierungen in Venezuela und Kuba gehen auf Distanz zu den FARC.

Konfliktforscher Valencia erwartet, dass Kolumbien eine bis zu zweijährige Militäroffensive einleiten wird. Erst dann werde es Verhandlungen geben. Die Wirtschaft stöhnt unter der Last der Militärausgaben, und 2010 stehen Präsidentschaftswahlen an. Dann wird Uribe wahrscheinlich versuchen, ein drittes Mal zu kandidieren. Möglich ist Angel zufolge auch, dass sich die FARC unter dem militärischen Druck in einzelne Banden auflösen. Dann allerdings wird es für Uribes Regierung schwierig: "Mit wem sollte sie dann noch verhandeln?"