Militärseelsorge in schwierigen Zeiten verstärkt gefragt

Geschätzte "Boden-Luft-Offiziere"

In der Bundeswehr haben sich die Militärseelsorgerinnen und -seelsorger einen guten Ruf erworben. Inwieweit der russische Angriff auf die Ukraine auch ihre Aufgaben betreffen könnte, muss sich noch zeigen.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Rund 200 Militärseelsorger arbeiten für die Bundeswehr / © Roselynne (shutterstock)
Rund 200 Militärseelsorger arbeiten für die Bundeswehr / © Roselynne ( shutterstock )

"In weiter Ferne, so nah": Wären diese Worte nicht schon an einen Kinofilm vergeben, könnten sie das Motto der Militärseelsorgerinnen und -seelsorger sein. Im Auftrag der Kirchen stehen sie Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz zur Seite, wenn sie nicht an den Heimatstandorten eingesetzt sind. Seit kurzem haben sie auch jüdische Kollegen, muslimische sollen bald hinzukommen.

Einer der rund 200 Seelsorger für die Bundeswehr ist Andreas Bronder. Sein Heimatstandort ist Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz, doch in seinem Dienst hat er mehr von der Welt gesehen als die meisten seiner Amtskollegen im Bistum Trier. Es war nicht immer einfach, wie der katholische Priester betont. "Ich war in Mali, als 2017 als ein Hubschrauber abstürzte und beide Piloten starben", berichtet der 56-Jährige. "Es war meine Aufgabe, ihre Überführung nach Deutschland würdig zu gestalten und den Kameradinnen und Kameraden meine Hilfe anzubieten."

Militärseelsorge

Nach dem Soldatengesetz hat jeder Soldat und jede Soldatin Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung.

Bislang leisten in der Bundeswehr die evangelische und die katholische Kirche sowie die jüdische Gemeinschaft eine vertraglich vereinbarte Militärseelsorge für die Soldaten und deren Angehörige.

Soldaten der Bundeswehr / © Daniel Reinhardt (dpa)
Soldaten der Bundeswehr / © Daniel Reinhardt ( dpa )

"Sie heulen nicht massenhaft los"

Eines will Bronder klarstellen: "Sie heulen in solchen Fällen nicht massenhaft los." Doch er steht zur Verfügung, wenn einem trotzdem danach zumute ist. Wer mit ihm sprechen will, findet ein offenes Ohr, auch als er nach der Flutkatastrophe im Ahrtal bei der Einheit war, die Leichen einsammelte.

Die Konfession oder nun auch die Religion, wie er mit Blick auf seine jüdischen Kollegen sagt, spielt dabei nach seiner Erfahrung meist keine Rolle. Zur Kirche haben die meisten Soldatinnen und Soldaten heutzutage keinen Bezug mehr. "Wenn der liebe Gott so ist, wie ihn sich die Leute meistens vorstellen, bin ich auch Atheist", sagt Bronder dann augenzwinkernd.

Trennungen können belasten

York Buchholtz bestätigt Bronders Erfahrungen. Die "Boden-Luft-Offiziere", wie die Seelsorger im Soldatenjargon heißen, "sind umso wichtiger, je realer die Gefahr für Leib und Leben ist", weiß der 50-jährige Oberstleutnant mit Afghanistan-Erfahrung. "Dann kommen auch solche Soldatinnen und Soldaten zu einem Feldgottesdienst, die sich vorher nie blicken ließen."

Nicht nur in dramatischen Situationen sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger gefragt. "Vier Monate von geliebten Menschen getrennt zu sein, kann enorm belasten", hat Militärdekanin Claudia Thiel am Hindukusch selbst gespürt. "Dann können Probleme in Familie und Partnerschaft unlösbar erscheinen."

"Wir segnen keine Waffen"

In solchen Fällen ist das ganze Einfühlungsvermögen der 54-jährigen evangelischen Theologin gefragt. Sie ist dann froh über ihren Sonderstatus ohne militärischen Dienstgrad, der sie und ihre Kollegen zur Vertraulichkeit verpflichtet. "Unsere Aufgabe ist das Wohlergehen der Soldatinnen und Soldaten und nicht, sie 'fit for fight' zu machen", stellt die Dekanin klar. "Und wir segnen keine Waffen."

Selbst wenn es in Zukunft weniger Auslandseinsätze gibt, werden sie auch die Militärseelsorge noch lange beschäftigen. Tausende Soldatinnen und Soldaten sind mit posttraumatischen Belastungsstörungen zurückgekehrt, die sich - wie Angst vor unkontrollierbaren Menschenansammlungen - manchmal erst Jahre später bemerkbar machen. Oft bringen die Betroffenen auch "moralische Verletzungen" mit, wie Oberstarzt Peter Zimmermann betont. Sie kommen vor, wenn Menschen nicht ihrem Wertesystem entsprechend handeln können.

Vorbereitung auf ethische Konfliktsituationen

Als Beispiel nennt Zimmermann Erlebnisse von Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, Gewalt an Frauen und Kindern zu sehen und nicht verhindern zu können. "Die daraus entstandenen Gefühle von Schuld und Scham können sie unterbewusst zu der Auffassung bringen, dass sie eine Heilung nicht verdienen, und eine Therapie blockieren", erklärt der Psychiater und Psychotherapeut am Berliner Bundeswehrkrankenhaus.

In ihrem Lebenskundlichen Unterricht können Militärseelsorger nach seiner Auffassung Soldatinnen und Soldaten auf solche ethischen Konfliktsituationen vorbereiten und sie mit der christlichen Vorstellung von Vergebung vertraut machen. Wie diese künftig damit klar kommen, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wieder Panzerschlachten und Häuserkämpfe zu üben, muss sich indes noch herausstellen.

Quelle:
KNA