Misereor-Chef Andreas Frick war vor Ort und beschreibt im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Ziele der Hilfsprojekte in dem südasiatischen Land. Und er äußert sich zur aktuellen Debatte über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
KNA: Friedrich Merz will die deutsche Entwicklungshilfe neu denken. So müsse die Entwicklungszusammenarbeit künftig stärker in den Dienst deutscher Wirtschaftsinteressen treten. Projekte könnten nur noch in Ländern finanziert werden, die auch bei Abschiebungen kooperieren. Ist das für Misereor ein gangbarer Weg?
Frick: Ich bin gegen Denk- oder Diskussionsverbote, aber ich mahne an, dass es für Zusammenarbeit keine Ausschlusskriterien geben darf. Deutschland hat sich für seine jahrzehntelange Entwicklungszusammenarbeit internationale Anerkennung erworben - dafür, dass Deutschland aus einer relativen Position wirtschaftlicher Stärke heraus uneigennützig Verantwortung in der Welt übernimmt.
KNA: Was aber würde sich konkret für Misereor ändern, wenn die künftige Bundesregierung hier Ernst macht?
Frick: Unser Horizont kann es niemals sein, nur auf den direkten wirtschaftlichen Vorteil zu schauen. Im Mittelpunkt steht immer die Frage: Was nützt den Menschen in Not? Wie können wir sie unterstützen, ihre Lage selbst möglichst nachhaltig zu verbessern. Das ist auch aus der christlichen Überzeugung heraus unser Leitgedanke und unsere Verantwortung.
KNA: Was ist mit dem Argument, Deutschland könne sich in der derzeitigen wirtschaftlichen Stagnation nicht mehr so viel Entwicklungshilfe leisten?
Frick: Richtig ist, dass nur das Steuergeld verteilt werden kann, das zuvor erwirtschaftet wurde. Und das gilt übrigens auch für Kirchensteuern.
KNA: Sie haben im Vorfeld der Fasten-Spendenaktion Sri Lanka besucht. Welches Projekt hat Sie hier am meisten beeindruckt?
Frick: Ich konnte schmerzlich und hautnah erleben, dass am Anfang der Produktionskette für den berühmten Tee aus Sri Lanka Menschen unter schwersten und ärmsten Bedingungen leben und schuften. Viele Gesprächspartner und Expertinnen vor Ort sprechen von einer modernen Form von Sklaverei.
Die Überzeugung von Misereor ist es, alles zu versuchen, damit die Menschen wieder Mut fassen können. Und dieses Engagement in den von uns mitfinanzierten Projekten ist beeindruckend. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Caritas Sri Lanka stehen dafür ein, den Plantagenarbeiterinnen ein würdevolleres Leben zu ermöglichen. Mit humanitärer Hilfe, Gesundheitsfürsorge, in der Unterstützung von Bildung. Wir wollen dazu beitragen, dass eine ganze Generation von Menschen neu zu hoffen lernt, dafür fühlen wir uns zuständig.
KNA: Die Touristen, die das Traumurlaubsland Sri Lanka mit Palmenstränden, tropischen Urwäldern und Elefanten besuchen, dürften von der Ausbeutung auf den Plantagen nichts zu sehen bekommen?
Frick: Die Menschen und die Landschaften, die ich kennenlernen konnte, sind begeisternd. Sri Lanka ist völlig zurecht für viele ein großartiges Reiseziel. Vielleicht können wir aber auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass uns der erste Eindruck nicht alle Realitäten sehen lässt.
Wir sollten uns klar machen, dass vieles, was uns angenehm und preiswert vorkommt, von der einheimischen Bevölkerung hart erkämpft ist. Hinter vielem, was uns mit einem Lächeln im Restaurant oder im Hotel präsentiert wird, stehen Schweiß und Tränen. Das müssen wir wahrnehmen!
KNA: Wie geht es mit Misereor weiter in Sri Lanka, wo es eine über mehrere Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit in Hilfsprojekten gibt?
Frick: Wir wollen weiterhin versuchen, die große Not in Sri Lanka aufzubrechen. Wir wollen an der Seite der Menschen bleiben.
KNA: Auch wenn in Deutschland der Druck auf Entwicklungsorganisationen steigt, ob die Projekte Deutschland helfen?
Frick: Natürlich! Es gilt, die Würde aller Menschen zu achten.
Überall und nicht nur dort, wo es deutschen Interessen dient. Daher ist unser Appell an die künftige Bundesregierung in den Koalitionsverhandlungen, die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin weitsichtig, humanitär und global zu denken. Denn das wird, davon bin ich fest überzeugt, langfristig auch für Deutschland von Vorteil sein.