Misereor-Expertin Schauber zum Weltsiedlungsgipfel in Quito

"Gutes Wohnen ist ein Menschenrecht"

Welche Zukunft haben Megametropolen? Das wird beim dritten Weltsiedlungsgipfel "Habitat III" in Quito diskutiert. Laut Almuth Schauber, Asienbeauftragte des katholischen Hilfswerks Misereor, sind besonders Arme vom Wandel betroffen.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Blick auf die Megacity Lagos (Nigeria)  / © Andrew Esiebo (dpa)
Blick auf die Megacity Lagos (Nigeria) / © Andrew Esiebo ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur: Frau Schauber, für welche Forderungen stehen sie in Quito als Misereor-Expertin der deutschen Delegation?

Almuth Schauber (Asienbeauftragte des katholischen Hilfswerks Misereor): Aus Sicht von Misereor müssen bei der Konferenz die Interessen armer Bevölkerungsgruppen im Mittelpunkt stehen. Es darf nicht nur allgemein um Stadtentwicklung gehen. Die Armen sind in den Megametropolen die Mehrheit, ihre Probleme hinsichtlich Wohnraum und Infrastruktur werden aber von den Entscheidern kaum berücksichtigt. Wir fordern besonders ein Verbot von Vertreibungen, unter denen die Bewohner von Elendsvierteln zu leiden haben. Städte müssen Räume sozialer Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit sein.

KNA: Vor welchen Problemen stehen arme Stadtbewohner?

Schauber: In vielen Entwicklungsländern ist städtischer Wohnraum knapp und teuer. Statt genügend Sozialwohnungen zu bauen, setzen die kommunalen Regierungen lieber auf profitorientierte Projekte und private Investoren. Die Armen müssen sich ihre Behausungen selbst schaffen. In den Elendsquartieren fehlt es dann oft an ausreichender Strom- und Wasserversorgung; die sanitäre Situation ist dementsprechend katastrophal. Auch die Müllentsorgung ist ein großes Problem. Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen bei notwendigen Umsiedlungen nicht an die Peripherie abgeschoben werden, sondern in der Stadt wohnen bleiben können.

KNA: Sie widmen sich auch den Auswirkungen des Klimawandels auf arme Stadtbewohner. Warum sind sie davon besonders betroffen?

Schauber: Die "informellen Siedler" bauen ihre Hütten aus Platzmangel oft an Orten, die im Zuge des Klimawandels besonders gefährdet sind: an Flüssen, Küsten, steilen Hängen. Bei Fluten und Erdrutschen sind sie die ersten Opfer. Neben der Bodenspekulation ist der Klimawandel obendrein der Hauptgrund für die Vertreibung von Slumbewohnern. Wenn Stadtverwaltungen solche Gefahrenzonen sichern wollen, werden die Menschen einfach vertrieben. Es kommt auch vor, dass die Behörden das als Vorwand benutzen und sichere Gebiete einfach zur Gefahrenzone erklären, um Platz für prestigeträchtige Bauprojekte zu schaffen. Der Klimawandel hat das Unrecht der Vertreibungen noch angeheizt.

KNA: Was geschieht mit den Vertriebenen? Wo kommen sie unter?

Schauber: Das ist ein weiteres Problem: Wenn ihnen überhaupt Alternativen angeboten werden, liegen die sehr oft weit draußen, viele Kilometer vom städtischen Leben entfernt. Die Menschen verlieren ihr soziales Netz, müssen täglich Geld für den Transport bezahlen, um zu ihren Arbeitsstellen in der Stadt zu gelangen. Vor zwei Wochen besuchte ich auf den Philippinen eine solche Siedlung, wo eigentlich alles schief gelaufen ist: 40 Kilometer vor Manila, die Häuser in teilweise miserablem Zustand, Ehemänner, die nicht bei ihren Familien wohnen, sondern sich irgendwo in der Stadt durchschlagen, weil sie sich die Fahrtkosten nicht leisten können.

Deshalb fordern wir, dass notwendige Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel nicht auf Kosten der Armen gehen. Sie müssen in solche Prozesse eingebunden werden und einverstanden sein. Aber dieser Dialog findet meist nicht statt. Unsere Forderung richtet sich deshalb auch an die Bundesregierung, bei technischen und finanziellen Entwicklungsprojekten zu prüfen, ob die menschenrechtlichen Standards im Umgang mit den Bewohnern beachtet werden.

KNA: Wie hilft Misereor den Menschen konkret?

Schauber: Wir unterstützen städtische Arme in ihrem Menschenrecht auf würdiges Wohnen und den Zugang zu Land, indem wir ihnen helfen, sich zu organisieren und auf diese Rechte zu pochen. Nur starke Basisorganisationen können sich Gehör verschaffen. Wir begleiten solche Gruppen dabei, eigene Siedlungsprojekte zu planen und zu finanzieren, etwa durch Hilfe beim Fundraising bei lokalen Verwaltungen oder den Regierungen. Wir setzen uns auch politisch dafür ein, Vertreibungen zu ächten. Und wir befähigen die Bewohner prekärer Wohnviertel, praktische Verbesserungen an ihren Häusern und Siedlungen umzusetzen, etwa ihre Häuser zu sichern, die Abwasserentsorgung zu installieren oder ihre Viertel mit Gemeinschaftseinrichtungen auszustatten.

KNA: Das heißt, Misereor baut nicht selber Siedlungen?

Schauber: Wir rücken nicht mit dem Bagger an. Wir fördern schon auch einige Wohnbauprojekte direkt. Aber zuerst geht es uns um logistische Unterstützung, damit sich die Menschen selbst helfen können.

KNA: Wie bewerten Sie die Erfolge?

Schauber: Die Erfolge können dann nachhaltig sein, wenn es ein Zusammenspiel gut organisierter Gemeinschaften und kooperationswilliger Behörden gibt, die die Belange informeller Siedler als Priorität sehen. Das ist ein Lernprozess, der in jeder Stadt, in jedem Land immer wieder ausgehandelt wird, bis es überzeugende Lösungen gibt, die dann vielfach kopiert werden. Mut machte mir zum Beispiel im September die Reise nach Manila. Dort sind direkt an einem der vielen flutgefährdeten Wasserläufe etliche moderne und sichere Wohneinheiten entstanden, deren Bau wir unterstützt haben. Die Regierung sagte zunächst, das sei technisch nicht möglich. Wir konnten sie mit unseren Partnern vor Ort davon überzeugen, dass es sehr wohl möglich ist.

 


Slum im kenianischen Nairobi / © Carola Frentzen (dpa)
Slum im kenianischen Nairobi / © Carola Frentzen ( dpa )
Quelle:
KNA