domradio.de: Glyphosat zerstört Unkraut, während gentechnisch veränderte Nutzpflanzen weiterwachsen. Deshalb galt der Unkrautvernichter lange als eine Art Wundermittel für die Landwirtschaft. Mittlerweile gibt es einen Expertenstreit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt das Mittel "wahrscheinlich krebserregend". Andere, zum Beispiel das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung, haben keine Bedenken gegenüber Glyphosat. Wie kann es zu so gegensätzlichen Einschätzungen kommen?
Sarah Schneider (Ernährungsexpertin beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor): Das Problem ist, dass das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung für seine Bewertung von Glyphosat zentrale Textstellen aus dem Zulassungsantrag von Monsanto übernommen hat. Und zwar vor allem, was die krebserzeugende, fruchtbarkeitsschädigende und DNA-schädigende Wirkung von Glyphosat angeht.
Das heißt, es sind genau diese Stellen, die nach europäischem Recht entscheidend sind für die Frage, ob Glyphosat überhaupt wieder zugelassen werden darf oder verboten werden muss.
domradio.de: Das heißt, ein deutsches Bundesinstitut nimmt einfach Teile aus der Eigenwerbung des Herstellers?
Schneider: In diesem Fall konnte das nachgewiesen werden.
domradio.de: Es gibt Beispiele - etwa in Argentinien - wo nach dem Einsatz von Glyphosat vermehrt Fälle von Krebs oder Missbildungen von Kindern aufgetreten sind. Ist das ein Zusammenhang, der eindeutig ist? Sie wissen das ja auch, weil ihre Projektpartner möglicherweise von solchen Fällen berichten.
Schneider: Genau. Unsere Partnerorganisationen in den verschiedenen Regionen - sei es Afrika, Asien oder Lateinamerika - dokumentieren zunehmend die gesundheitlichen und ökologischen Folgen von Pestiziden. Es gibt Zahlen, die sagen, dass mehr als 41 Millionen Menschen weltweit unter den negativen Auswirkungen von Pestiziden leiden. Das sind Untersuchungen und Hochrechnungen.
Vor allem im südlichen Lateinamerika - etwa in Paraguay, Argentinien und Brasilien - werden für den Anbau von gentechnisch verändertem Soja jährlich Millionen Liter Glyphosat eingesetzt. In diesen Regionen lassen sich die gesundheitlichen Auswirkungen besonders stark beobachten.
In Argentinien hat sich ein Netzwerk von Ärzten gegründet, die speziell die gesundheitlichen Folgen von Glyphosat untersuchen. Sie publizieren jetzt erste Ergebnisse und dokumentieren ganz klar, dass sich bestimmte Krankheitsbilder in den Regionen, wo Soja angebaut wird, besonders häufig wiederfinden.
domradio.de: Es gibt eine Statistik, nach der immer noch 800 Millionen Menschen weltweit an Hunger leiden. Glyphosat-Befürworter sagen, die Landwirtschaft muss ertragreicher werden, damit alle Menschen genügend zu Essen bekommen. Das müsste doch eigentlich in Ihrem Sinne sein.
Schneider: Nein, die Rechnung muss man anders aufstellen: Schon heute produziert die Landwirtschaft genug, um die Menschheit zu ernähren. Das Problem besteht vielmehr darin, dass fast 60 Prozent des Getreides nicht als Lebensmittel verwendet wird, sondern beispielsweise als Tierfutter oder Biotreibstoff genutzt wird.
Dazu kommt, dass jährlich ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel verloren geht oder verschwendet wird. Das heißt, damit alle Menschen satt werden, müssen wir die Armut bekämpfen, damit sich alle Menschen Lebensmittel leisten können. Und es bedeutet eben auch, die vorhandenen Lebensmittel besser und gerechter zu nutzen und zu verteilen.
domradio.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den deutschen Landwirten immer versprochen, sich für Glyphosat einzusetzen. Auf dieser Linie ist auch Agrarminister Christian Schmidt. Ignorieren diese Politiker die Bedenken, die es gibt?
Schneider: Ja, sie ignorieren die Bedenken, weil in der konventionellen Landwirtschaft Glyphosat viel eingesetzt wird und Agrarverbände und auch die Industrie für Glyphosat massiv lobbyieren. Rund 40 Prozent der Felder in Deutschland werden bislang mit Glyhopsat besprüht. Das Problem ist, dass sich gerade auch Merkel oder Schmidt dafür einsetzen müssten, Landwirte und die Bevölkerung im ländlichen Raum vor den möglichen Risiken zu schützen und in der Umstellung auf eine alternative und umweltfreundliche Landwirtschaft zu unterstützen.
domradio.de: Man kann wohl sagen, dass auf jeden Fall der Beweis dafür fehlt, dass dieses Produkt ungefährlich ist. Und dennoch könnte es jetzt noch fünf bis sieben Jahre lang eingesetzt werden. Das schlägt die EU-Kommission vor und die Entscheidung ist bis jetzt noch nicht getroffen. Wie bewerten Sie das?
Schneider: Wenn die Bundesregierung ihrer Verantwortung für Gesundheit und Umwelt nachkommen will, muss sie die Verlängerung ablehnen. Bei der Abstimmung spielt die Stimme der Bundesregierung eine besonders wichtige Rolle. Deshalb fordern wir von der deutschen Bundesregierung eine gesunde und umweltverträgliche Landwirtschaft zu fördern - statt ein Agrarmodell, das die Macht weniger Konzerne ausbaut.
Bei Glyphosat geht es ja auch um ein Milliardengeschäft, nicht nur um ein landwirtschaftliches Pestizid. Auch viele Menschen in Argentinien und Paraguay schauen gerade sehr gespannt auf die Situation in Europa und hoffen, dass auch dort neue Akzente gesetzt werden können, wenn sich hier etwas verändert.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.