Misereor fordert Kanzler-Machtwort zu EU-Lieferkettengesetz

"Führung für Nachhaltigkeit zeigen"

Das EU-Lieferkettengesetz ist vorerst gescheitert, weil unter anderem Deutschland sich enthalten hat. Armin Paasch von Misereor erklärt, welche Folgen die deutsche Enthaltung hat und warum Kanzler Scholz sich dafür einsetzen sollte.

Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten / © Piyal Adhikary/EPA (dpa)
Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten / © Piyal Adhikary/EPA ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum ist das Gesetz so wichtig? Deutschland hat immerhin ein eigenes Lieferkettengesetz.

Armin Paasch (Menschenrechtsexperte bei Misereor): Wir brauchen das EU-Lieferkettengesetz, weil das deutsche Gesetz erhebliche Schwächen hat. Nach dem deutschen Gesetz müssen sich die Unternehmen in einem ersten Schritt nur um Risiken bei direkten Zulieferern kümmern. Schwere Menschenrechtsverletzungen passieren in der Regel aber tiefer in der Lieferkette.

Lieferkettengesetz: Kakao-Bohnen liegen zum Trocknen in einem Lagerhaus auf einem Tuch / © picture alliance / Alex Duval (dpa)
Lieferkettengesetz: Kakao-Bohnen liegen zum Trocknen in einem Lagerhaus auf einem Tuch / © picture alliance / Alex Duval ( dpa )

Dazu gehören zum Beispiel Vertreibungen, Umweltschäden wie durch brasilianische Eisenerzminen oder Kinderarbeit wie bei der Kakaoernte in Westafrika. Solche Menschenrechtsverletzungen passieren in der tieferen Lieferkette, die nicht klar erfasst ist.

Außerdem fehlt im deutschen Gesetz eine zivilrechtliche Haftungsregelung für Fälle, in denen deutsche Unternehmen zu solchen Schäden beitragen beziehungsweise diese mitverursachen. Betroffene haben somit kaum eine Chance, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen.

Armin Paasch

"Hunderte Unternehmen und Unternehmensverbände unterstützen das Gesetz auf EU-Ebene."

Ein dritter Punkt ist, dass Umweltaspekte nur lückenhaft erfasst sind. Der Klimaschutz ist zum Beispiel gar nicht teil des deutschen Gesetzes. Daher muss ein EU-Lieferkettengesetz diese Lücken füllen. Das hätte auch den Vorteil einer einheitlichen Regelung für die Unternehmen in der ganz Europäischen Union anstatt den aktuellen Flickenteppich aus nationalen Gesetzen. Das kann niemand wollen.

DOMRADIO.DE: Wirtschaftsverbände argumentieren, dass das EU-Lieferkettengesetz Wettbewerbsnachteile und viel Bürokratie in den europäischen Markt bringe. Eine Nachverfolgung bis auf den letzten Druckknopf sei kaum möglich. Würde das Gesetz auf EU-Ebene somit die Nachteile des deutschen Lieferkettengesetzes aufheben?

Paasch: Einen lückenlosen Nachweis fordert das geplante EU-Lieferkettengesetz auch nicht. Es fordert eine Risikoanalyse mit Fokus auf schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Außerdem fordert das Gesetz, dass wenn solche Risiken auftreten, die Unternehmen ihr Vermögen nutzen müssen, um Schäden vorzubeugen. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. 

Die Behauptung zusätzlicher Bürokratie ist sachlich falsch. Das EU-Lieferkettengesetz sieht keine zusätzlichen Berichtspflichten für die Unternehmen vor. Es verweist lediglich auf bestehende Berichtspflichten. Mit dem Gesetz würden sogar die bisherigen Berichtspflichten nach dem deutschen Lieferkettengesetz erheblich reduziert werden. Es würde also Bürokratie abgebaut.

Marco Buschmann / © Britta Pedersen (dpa)
Marco Buschmann / © Britta Pedersen ( dpa )

Falsch ist auch die Behauptung unkalkulierbarer Haftungsrisiken. Haften würden die Unternehmen nur für Schäden, die sie selbst kausal verursacht haben. Diese Haftungsregelung hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) selbst geschrieben und in den Verhandlungen durchgesetzt.

Zurecht spricht der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, von einem moralischen Versagen. Ein Scheitern würde auch der deutschen Wirtschaft schaden. Es ist auch nicht so, dass die Wirtschaft gegen das Gesetz ist. Hunderte Unternehmen und Unternehmensverbände unterstützen das Gesetz auf EU-Ebene.

Armin Paasch

"Das war ganz klar ein wahltaktisches Manöver mit Blick auf die EU-Wahlen in diesem Jahr."

DOMRADIO.DE: Die FDP war es, die dem Gesetz auf EU-Ebene nicht zustimmen wollte. In der Konsequenz führte dies zu der deutschen Enthaltung. Können Sie diese Kehrtwende erklären?

Paasch: Das war ganz klar ein wahltaktisches Manöver mit Blick auf die EU-Wahlen in diesem Jahr. Deutschland wurde mit der Enthaltung vom Protagonisten zum Bremser. Das hat in anderen Mitgliedsstaaten Fliehkräfte ausgelöst. Italien, Bulgarien und Frankreich sind infolgedessen von dem Kompromiss abgerückt und haben alte Forderung wieder auf den Tisch gelegt, die Deutschland zuvor erfolgreich abgelehnt hatte.

Bundeskanzler Olaf Scholz betritt ein Flugzeug / © Michael Kappeler (dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz betritt ein Flugzeug / © Michael Kappeler ( dpa )

Schuld ist die FDP, die plötzlich gegen Positionen der Bundesregierung polemisiert, die Justizminister Buschmann selbst mitgetragen und mitgeprägt hat. Zum Beispiel kritisiert Christian Lindner gemeinsam mit Buschmann die zivilrechtliche Haftungsregelung, die aus der Feder von Buschmann stammt.

Die Hauptverantwortung trägt aber Bundeskanzler Olaf Scholz. Er weigert sich über den Einsatz seiner Richtlinienkompetenz dem EU-Lieferkettengesetz trotzdem zu einer Zustimmung zu verhelfen, obwohl eine Zusage im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Damit schadet er der deutschen Glaubwürdigkeit in der EU. Bei der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und bei der Verschärfung des europäischen Asylrechts hat Scholz ein Machtwort gesprochen. Wenn es um die Menschenrechte und das Lieferkettengesetz geht, weigert er sich. Da gibt es eine klare Schieflage.

Armin Paasch

"Scholz muss Führung für Nachhaltigkeit zeigen und darf sich nicht weiter von Christian Lindner in Brüssel vorführen lassen."

DOMRADIO.DE: Was wäre Ihre Forderung an den Kanzler?

Paasch: Scholz darf sich den Gesprächen nicht verweigern, die die belgische EU-Ratspräsidentschaft anbietet. Diese hat einen Kompromissvorschlag gemacht, der Deutschland weit entgegenkommt. Scholz muss Führung für Nachhaltigkeit zeigen und darf sich nicht weiter von Christian Lindner in Brüssel vorführen lassen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

EU-Lieferkettengesetz

Das Europäische Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre Lieferketten auf mögliche Verstöße gegen die Menschenrechte sowie auf Schädigungen der Umwelt zu überprüfen und dagegen vorzugehen. Auch müssen Konzerne einen Plan verabschieden, um sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.

Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius (dpa)
Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius ( dpa )
Quelle:
DR