Misereor warnt vor Eskalation von Konflikt in Elfenbeinküste

"Lage gleicht einem Pulverfass"

Die Situation in der Elfenbeinküste droht nach Ansicht von Misereor außer Kontrolle zu geraten. Seit den Präsidentschaftswahlen Ende 2010 gleiche die Lage in dem westafrikanischen Land einem Pulverfass, sagte Misereor-Experte Wilhelm Thees. Er war vor wenigen Wochen vor Ort. Er befürchtet, dass es zu ähnlichen Mordexzessen kommen könnte wie bei dem Genozid in Ruanda 1994.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

KNA: Herr Thees, derzeit stehen sich in der Elfenbeinküste der bisherige Präsident Laurent Gbagbo und der Wahlsieger Alassane Ouattara gegenüber. Ist der aktuelle Konflikt also eine Machtfrage zwischen zwei Politikern?

Thees: Auch wenn die ungeklärte Machtfrage das Land seit einem guten Monat lähmt - die Ursachen für die Krise liegen tiefer. In den 1970er-Jahren kamen während des Wirtschaftsbooms an der Elfenbeinküste viele Gastarbeiter aus den Nachbarstaaten in das Land und wurden dort sesshaft. Als dann im darauffolgenden Jahrzehnt die Kakaopreise, die für diesen Boom verantwortlich waren, in den Keller gingen, kam es vermehrt zu Spannungen zwischen Einheimischen und Zuwanderern.



KNA: Welche Rolle spielte dabei die Politik?

Thees: Sie schürte diese Spannungen mit bis hin zum Bürgerkrieg im Jahr 2002. Das Problem ist nun, dass Gbagbo genau wie sein Herausforderer Ouattara bei diesem Spiel mit dem Feuer seit langem schon zu den Protagonisten gehören. Gbagbo als Verfechter eines nationalistischen Kurses; Ouattara, dessen Mutter aus Burkina Faso kommt, als vorgeblicher Kämpfer für die Rechte der Zuwanderer.



KNA: Das klingt nicht gerade nach günstigen Voraussetzungen für eine schnelle Lösung des Konflikts.

Thees: Im Gegenteil. Beide schleppen viel zu viel historischen Ballast in ihrem Rucksack mit. Eine echte Aufarbeitung des Konflikts ist auf diese Weise völlig unmöglich - zumal Gbagbo die Macht nicht freiwillig hergeben wird. Die Lage gleicht einem Pulverfass. Gerade in den Großstädten ist die Stimmung extrem aufgeheizt. An allen Ecken und Enden wird für die beiden Parteien agitiert. Befürchtungen, dass es in der Elfenbeinküste zu ähnlichen Mordexzessen kommt wie bei dem Genozid in Ruanda 1994, halte ich nicht für abwegig.



KNA: Hilft es da, dass die westafrikanischen Staaten den Druck auf die Verantwortlichen erhöhen und notfalls militärisch eingreifen wollen?

Thees: Es ist das erste Mal, dass die Westafrikanische Union mit solcher Geschlossenheit auftritt. Das zeigt, dass sich das Bewusstsein für gemeinsames staatliches Handeln auf dem afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren stark gewandelt hat. Allerdings muss man auch sehen, dass die Beteiligten unter einem großen Druck stehen: In Nigeria, dem einflussreichsten Land der Region, sind noch in diesem Jahr Wahlen, wenig später ist der Senegal an der Reihe. Da will man auf internationaler Bühne sein Gesicht wahren. Noch einmal anders gelagert ist der Fall bei Staaten wie Burkina Faso oder Mali.



KNA: Warum?

Thees: Die werden ihre ehemaligen Landsleute, die jetzt noch in der Elfenbeinküste siedeln, nicht im Stich lassen. Wenn dort der erste Schuss fällt, könnte sich der Konflikt schnell zu einem Flächenbrand ausweiten. Insofern hoffe ich auf ein besonnenes Verhalten der Westafrikanischen Union.



KNA: Blieben noch die UN-Soldaten, die seit 2002 in dem Land stationiert sind.

Thees: Die Truppen der Vereinten Nationen stehen mit dem Rücken zur Wand, weil sie sich bereits kurz nach den Wahlen für Ouattara stark gemacht haben. Im Konfliktfall könnten die Soldaten zu einem Faustpfand in den Händen von Aufständischen werden. Das gilt übrigens auch für die rund 15.000 noch im Land verbliebenen Franzosen, die hauptsächlich am Regierungssitz Abidjan leben. Parolen wie "Schlagt die Franzosen, da wo ihr sie kriegt", sind bereits im Umlauf.



KNA: Zumindest die mehrheitlich im Süden des Landes ansässigen Einwanderer aus den Nachbarstaaten scheinen bereits die Elfenbeinküste zu verlassen.

Thees: Zunächst wurden Frauen und Kinder nach Liberia beziehungsweise in den jeweiligen Herkunftsländern in Sicherheit gebracht. Aber seit einigen Tagen ist auch die männliche Bevölkerung auf der Flucht.



KNA: Was bedeutet all das für die Arbeit von Hilfsorganisationen?

Thees: Die Flüchtlingsversorgung von außen, etwa in den Flüchtlingslagern in Liberia, läuft den Umständen angemessen. Aber was passiert, wenn es in der Elfenbeinküste selbst zu einem erneuten Bürgerkrieg kommt, ist für uns nicht vorauszusehen. Bereits jetzt ist der Zugang ins Landesinnere schwierig. Es herrscht ein Chaos sondergleichen.