domradio.de: Regierungstruppen und kurdische Peschmerga kämpfen im Nordirak gegeneinander, statt gemeinsam gegen den Islamischen Staat. Die USA und die Europäische Union appellieren an die Konfliktparteien. Sie waren gerade erst selbst vor Ort im Norden des Iraks. War das, was sich da jetzt abspielt, schon zu erwarten?
Martin Bröckelmann-Simon (Miseror-Geschäftsführer): Die Spannung lag in der Luft. Ich bin ja unmittelbar vor dem Referendum dort gewesen. Ich bin viel im kurdischen Teil des Iraks herumgereist, aber auch in der Region um Mossul herum, die gerade vom IS freigekämpft worden ist. Es gab immer wieder Situationen, in denen sich kurdische Milizen und zur irakischen Armee gehörenden schiitischen Milizen relativ an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden.
Man fährt bei der Reise durch dieses Gebiet durch die Einflusszonen unterschiedlichster Milizen. Ein Teil dieser Milizen ist zu dem Zeitpunkt schon mit der irakischen Armee verbündet gewesen und ein anderer Teil der Milizen mit der kurdischen Peschmerga. Es war absehbar, dass dies eskalieren könnte. Leider ist genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte.
domradio.de: Wie geht es denn den Menschen dort?
Bröckelmann-Simon: Das Ziel meiner Reise war, zu überprüfen, wie wir den Menschen, die geflüchtet waren und allmählich nach der Vertreibung des IS zurückkehren, helfen können. Ich bin in vielen zerstörten Dörfern und Städten gewesen, wo der IS gehaust hat, wo Kämpfe stattgefunden haben. Die Menschen wollen eigentlich aus den Flüchtlingslagern in Kurdistan raus. Es sind sehr viele Menschen dort und es gibt einen sehr hohen Flüchtlingsdruck in Kurdistan von etwa 25 Prozent. Die Menschen sagten, sie gingen zurück, wenn Sicherheit da ist.
Das ist genau das entscheidende Problem. In dieser angespannten Situation, wo nicht klar ist, wer die Regierungsgewalt hat und wer sich um die sozialen Grunddienste kümmert oder wie Konflikte verhindert werden, geht kein Mensch zurück. Deswegen ist der Rückkehrwille sehr begrenzt, weil die Lage so unklar ist.
Denkt man an die Jesiden, dann hat man vielleicht noch die schrecklichen Bilder in Erinnerung, wie der IS auf das Sindschar-Gebirge zumarschiert ist und die Menschen dort mitten im Winter auf dem Hochplateau Schutz gesucht haben. 30.000 Menschen sind in Zelten immer noch dort auf dem Hochplateau und trauen sich nicht in die Stadt Sindschar zurück.
Gerade heute habe ich noch von Partnern gehört, dass das dortige Krankenhaus, bei dessen Aufbau wir unterstützen wollten, jetzt erst einmal wieder aufgegeben wurde, weil man fürchtet, dass auch um Sindschar, das eigentlich zum irakischen Teil gehört, Kämpfe losbrechen könnten und zu viele Gewaltakteure unterwegs sind.
domradio.de: Auch die Christen im Irak haben Angst, dass sich die Krise erneut ausweitet. Sie sind dort eine Minderheit. Katholische und orthodoxe Bischöfe befürchten neue Gefahren für die Christen. Können Sie die Befürchtungen teilen?
Bröckelmann-Simon: Die Christen sind traumatisiert durch das, was sie erleben mussten. Sie haben das Vertrauen in ihre Nachbarn verloren. Viele wollen auch aus diesem Grund nicht zurück. Ich bin ziemlich sicher, dass die Christen nach Mossul nicht zurückkehren werden, weil sie sich dort überhaupt nicht sicher fühlen. In der Ninive-Ebene wird es ein wenig anders sein. Die Ninive-Ebene liegt aber eben genau in dieser umstrittenen Zone.
Ein Teil der christlichen Dörfer befindet sich im Niemandsland, weil sie durch die Peschmerga freigekämpft worden sind, aber eigentlich zum irakischen Teil gehören, also zur irakischen Zentralregierung. Von daher ist überhaupt nicht klar, wer sich jetzt um die dort lebenden Menschen kümmern soll. Ist das Bagdad oder ist das die kurdische Hauptstadt Erbil?
Die Christen sind sich in dieser Frage nicht wirklich einig. Es gibt einige, die sich Bagdad verbunden und verpflichtet sehen, und andere, die ihre Zukunft mit Blick auf Kurdistan sehen. Insofern sind sich die Christen uneinig, wo sie eine sicherere Zukunft haben. In einem wie auch immer geartet unabhängigen Kurdistan oder unter der irakischen Zentralregierung.
Das Interview führte Silvia Ochlast.