domradio.de: Wer sind Ihre Partner vor Ort, mit denen Sie eng zusammenarbeiten? Konnten Sie in den letzten Stunden Kontakt mit ihnen aufnehmen?
Astrid Meyer (Misereor-Länderreferentin für Syrien): Wir arbeiten mit den Franziskanern zusammen und dem weltweiten Jesuiten-Flüchtlingsdienst "Jesuit Refugee Service" (JRS). Wir haben täglich mit den Partnerorganisationen vor Ort Kontakt. Bei den Franziskanern ist es so, dass sie an die Gemeindezentren angegliedert sind. Der weltweite Jesuiten-Flüchtlingsdienst hat verschiedene Zentren, die sich um die Zivilbevölkerung kümmern.
domradio.de: Was wissen Sie über Ihre Partner? Wie sieht es im Moment in Aleppo aus?
Meyer: Die Lage ist extrem schwierig und extrem angespannt. Im Westteil der Stadt Aleppo kommt es derzeit zu Einschlägen von Mörsergranaten. Aber natürlich ist das kein Vergleich zu dem absolut unvorstellbaren Ausmaß der eskalierten Gewalt in dieser letzten Rebellen-Enklave im Ostteil der Stadt. Das Ausmaß der Zerstörung entnimmt man den Medien.
domradio.de: Es gebe massiven Artilleriebeschuss und Feuergefechte, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Auch von Luftangriffen ist die Rede. Wie ist es im angrenzenden Gebiet, in dem Ihre Partnerorganisationen sitzen?
Meyer: In dem unmittelbar angrenzenden Stadtgebiet ist die Sicherheitslage angespannt. Im Wohnhaus der Jesuiten ist eine Granate eingeschlagen. Gott sei Dank ist niemand dabei zu Schaden gekommen. Es hat jedoch Sachbeschädigungen gegeben. Das hat die Leute innehalten lassen. Das hat das Team wieder zusammengebracht. Und es wurde überlegt, wie wir angesichts dieses Drucks die Hilfe aufrechterhalten können.
domradio.de: Sehen Sie in dieser extremen Situation überhaupt noch Möglichkeiten, den Menschen in diesen schwierigen Momenten in Aleppo konkret zu helfen?
Meyer: Ja, die gibt es. Ich hatte auf meiner letzten Dienstreise wenigstens ein paar Tage die Gelegenheit nach Damaskus zu kommen. Ich habe dort mit den Franziskanern und den Jesuiten gesprochen. Ich habe nach den Gesprächen ein Fazit gezogen: Es ist zwar unvorstellbar, was dort passiert. Aber nicht zu handeln, ist keine Alternative, wie ich finde. Jede Person, der geholfen werden kann, zählt. Natürlich ist es enorm schwierig und ein enormer Druck, zu wissen, dass man mit der Hilfe viel zu viele Menschen nicht erreicht.
domradio.de: Dass Assads Truppen die Stadt nun komplett zurückerobern, ist wohl nur noch eine Frage von Stunden. Wie schätzen Sie das ein? Werden die Menschen dann wenigstens kurz durchatmen können, wenn die Kämpfe endlich beendet sein werden?
Meyer: Wenn es zu weniger akutem Bombenbeschuss kommt als in den letzten Tagen und Wochen mag das ein Durchatmen ermöglichen. Aber wie sich jetzt schon zeigt: die Kämpfe gehen weiter. Es gibt hier und da verschiedene militärische Bewegungen. Aber die Sicherheitslage ist keineswegs gewährleistet. Das Wichtigste wäre dann, wenn eine relative Ruhe einsetzt, dass man sich überhaupt eine Übersicht über die Lage verschaffen kann. Denn im Moment ist die Informationslage sehr, sehr schlecht. Was es auch schwierig macht, entsprechende Hilfsleistungen zusammenzustellen.
domradio.de: Die Rebellen und ihre Familien befürchten das Schlimmste: Repressalien bis hin zu Folter. Muss die internationale Gemeinschaft da wieder einmal hilflos zuschauen?
Meyer: Nein, das muss sie nicht. Ich denke, ein gutes Beispiel ist, dass die UN es deutlich angeprangert hat, dass mehrere Hundert Männer, die den Ostteil der Stadt verlassen wollten, verschwunden sind. Man stellt Mutmaßungen an, dass sie als Oppositionelle gelten und entsprechend gefoltert werden oder schon ermordet worden sind. Denn für das Assad-Regime sind alle Oppositionellen Terroristen und Gegner. Das lassen sie nicht zu. Das Wichtigste ist, dass man nicht zuschaut, sondern Unrechtsvergehen anprangert und dokumentiert.
domradio.de: Auch wenn mit Aleppo die zweitgrößte Stadt an Assad zurückfällt, ist das noch lange kein Ende des Krieges. Worauf richten Sie sich perspektivisch ein?
Meyer: Es zeigt sich schon jetzt, dass es weiter Militärbewegungen gibt. Der Krieg ist längst nicht vom Tisch, selbst wenn Aleppo zurückerobert ist. Nothilfe ist bedingt unser Mandat. Da sind im ersten Schritt internationale Organisationen, die hoffentlich entsprechend tätig werden können.
domradio.de: Was werden Ihre nächsten Schritte nach der Nothilfe für die Menschen in Aleppo sein?
Meyer: Wir richten unseren Blick auf das, was Perspektiven schafft. Wir unterstützen unsere Partner, die Nothilfe leisten und sich um die Gesundheit der Menschen und akute Erstversorgung kümmern. Aber dann richten wir unseren Blick zum Beispiel auch auf Bildungsprojekte und das, was Prozesse des Aufarbeitens ermöglicht: Rehabilitierung der vielen, vielen traumatisierten Menschen, Jugendarbeit und vieles mehr. Ansonsten helfen wir dabei, möglichst viel Material zu sammeln und zu dokumentieren, damit mehr Licht in diese unklare Lage gebracht werden kann.
Das Interview führte Hilde Regeniter.