Misereor zur Rückkehr vertriebener Christen im Irak

"Zögerliche Rückkehrbewegung"

Allmählich könnten vertriebene und verfolgte Christen im Nord-Irak zurück in ihre Heimat. Die Terror-Miliz IS ist zwar weitgehend vertrieben, doch Probleme und Gefahren lauern an anderen Stellen, wie Misereor gegenüber domradio.de aufzählt.

Christen in einer Kirche im Nordirak  (dpa)
Christen in einer Kirche im Nordirak / ( dpa )

domradio.de: Können Familien, die vor dem Terror geflohen sind, jetzt tatsächlich zurück in ihre Wohnungen im Nord-Irak?

Dr. Martin Bröckelmann-Simon (Misereor-Geschäftsführer): Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht sind 15 Prozent der Menschen in die Dörfer der Ninive-Ebene zurückgekehrt. Eine Rückkehr nach Mossul ist zurzeit undenkbar, dort ist nach wie vor Operations- und Sperrgebiet. In die nahegelegene Stadt Tal Afar, die vor wenigen Tagen vom IS freigekämpft wurde, ist eine Rückkehr nicht möglich. Aus Mossul allein und Tal Afar sind eine Million Menschen geflohen. In den Dörfern der Ninive-Ebene ist zum Teil seit fast elf Monaten der IS vertrieben worden. Trotzdem ist die Rückkehrbewegung sehr zögerlich.

domradio.de: Wie sieht die Infrastruktur aus? Sind Straßen und Schulen noch vorhanden?

Bröckelmann-Simon: Die materielle Infrastruktur ist sehr zerstört, das ist eines der großen Probleme. Es gibt Dörfer, die komplett platt gemacht worden sind. Andere haben nur teilweise Schäden davongetragen. Es gibt Versuche, die Schulversorgung wieder aufrechtzuerhalten. In Karakosch, einem rein christlichen Dorf, sind von 24 Schulen acht wiederhergestellt. Es gibt ebenso die Anfänge einer Gesundheitsversorgung. In der jesidischen Stadt Sindschar ist das Krankenhaus komplett zerstört. Man fängt jetzt zögerlich damit an, zumindest Notfallmedizin zu leisten. Das ist ein Grund, warum noch 30.000 jesidische Flüchtlinge oben im Hochplateau des Sindschar in Zelten hausen. Sie können nicht in ihre Stadt zurückkehren. Ein riesiges Problem ist aber die noch ungeklärte Sicherheitsfrage. Die Menschen gehen nicht zurück, weil sie sich unsicher fühlen.

domradio.de: Die Regionen werden vom irakischen Militär und von Kurden kontrolliert. Wie muss man das verstehen?

Bröckelmann-Simon: Der IS hat dazu beigetragen, dass Grenzen verschoben worden sind. Im Moment kontrollieren die kurdischen Perschmerga Gebiete, die vorher unter der irakischen Zentralregierung waren. Es sind im Grunde alles unterschiedliche Milizen, die miteinander nicht unbedingt harmonieren. Es gibt eine schiitische Miliz auf der irakischen Zentralseite und verschiedene Milizen auf der kurdischen Seite: christliche, jesidische und weitere. Die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) ist ebenso militärisch präsent. Wenn man dort unterwegs ist, geht man von dem Gebiet einer Miliz in das Gebiet einer anderen Miliz. Insbesondere zwischen Perschmerga und der schiitischen Miliz der irakischen Zentralregierung gibt es eine klare Frontlinie. Die Gewehre sind aufeinander gerichtet, aber bisher nicht losgegangen.

domradio.de: Wie sieht im Moment die konkrete Hilfe von Misereor vor Ort aus?

Bröckelmann-Simon: Wir leisten weiterhin Hilfe für die Binnenvertriebenen. Das wird noch lange notwendig sein, weil die meisten der Menschen sehr zögerlich zurückgehen. Humanitäre Versorgung, Gesundheitsversorgung und Schulaufbau sind die wichtigsten Aufgaben. Ebenso helfen wir beim Wiederaufbau der Gesundheitsstruktur. Es gibt mobile Kliniken, die unterwegs Grunddienste leisten. Sofern die Bedingungen dafür möglich sind, werden wir das weiterhin tun. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Hilfe traumatisierter Menschen. Die extremen Gewalterfahrungen, die die Minderheiten erleben mussten, brauchen eine Bearbeitung. Es gibt therapeutische Zentren, vor allem in Kurdistan. 25,6 Prozent der kurdischen Bevölkerung sind Binnenvertriebene. Im Gesamtirak sind es 8,6 Prozent. Daran erkennt man, dass Kurdistan besonders unter Druck ist.

Das Gespräch führte Verena Tröster.


Martin Bröckelmann-Simon, Misereor-Geschäftsführer (KNA)
Martin Bröckelmann-Simon, Misereor-Geschäftsführer / ( KNA )
Quelle:
DR