Vokalensemble mit Hommage an Beethoven

"Missa solemnis" unter Kent Nagano

Es sollte der Höhepunkt im Beethoven-Jahr 2020 werden. Dann musste das für August geplante Konzert samt Übertragung auf die Domplatte wegen Corona abgesagt werden. Nun wird es nachgeholt. Im 25. Bestehungsjahr des Vokalensembles Kölner Dom.

Das Vokalensemble Kölner Dom singt die feierliche Beethoven-Messe in diesem Jahr unter Kent Nagano / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Vokalensemble Kölner Dom singt die feierliche Beethoven-Messe in diesem Jahr unter Kent Nagano / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Selbst mit längst eingebüßter Hörkraft besaß der große Visionär Ludwig van Beethoven die Vorstellungskraft und Inspiration, ein Oeuvre zu schaffen, das noch 250 Jahre später Musiker – Instrumentalisten wie Dirigenten – in seinen Bann zieht. Davon darf man sich an diesem Freitag nach 20 Monaten Pandemie live bei einem großen Konzert im Kölner Dom überzeugen, das sich innerhalb des allmählich wieder erwachenden Kulturbetriebs wie ein Befreiungsschlag von den seit Corona verordneten Aufführungsstopps und anhaltenden Einschränkungen ausnimmt.

Denn gerade eine solch allgegenwärtige Musik wie die des gebürtigen Bonner Tongenies verlangt nach einem mit Publikum satt besetzten Konzertraum. Oder eben noch sinnfälliger – zumal es hier um geistliche Musik geht – nach einer gleichermaßen überwältigenden und ebenfalls die Zeiten überdauernden Sakralarchitektur wie dem Kölner Dom. Zumal hier etwas von dem ewig Gültigen solcher Klangkunst aufscheint, die gleichzeitig ihren krisengebeutelten Fans Lebensfreude pur bedeutet. Welch anderer Ort könnte demnach prädestinierter sein für dieses bombastische Zusammenspiel von Musik und Raum, das als Hommage an einen der ganzen Großen in der Musikwelt gedacht ist und in dieser Konstellation ein unvergessliches Fest der Sinne garantiert?

Jubiläumsfeierlichkeiten um ein Jahr verschoben

Bereits im letzten Jahr hatte sich das Beethovenfest Bonn unter der künstlerischen Leitung von Nike Wagner zum 250. Geburtstag des großen Meisters mit der Kölner Dommusik auf diese besondere Allianz, die Premierencharakter hat, verständigt. Der vor 25 Jahren von Domkapellmeister Eberhard Metternich aus angehenden Musikern und Gesangsstudierenden geformte Erwachsenenchor, der sich durch seine exzellente Stimmenqualität sowie eine rege Konzerttätigkeit im In- und Ausland auszeichnet und vorrangig auf a cappella-Literatur spezialisiert ist, sollte gemeinsam mit Concerto Köln unter der Leitung von Stardirigent Kent Nagano die "Missa solemnis" zur Aufführung bringen.

Doch das Infektionsgeschehen machte dem ambitionierten Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Die Jubiläumsfeierlichkeiten wurden kurzerhand auf 2021 verschoben und ein neues Datum für diesen Freitag terminiert. Nun soll es endlich soweit sein: Das Trio aus Chor, Orchester und Dirigent ist bestens aufgestellt und hochmotiviert, die Feier zu Ehren des berühmtesten abendländischen Klassikvertreters auch noch ein Jahr später zu einem echten Highlight werden zu lassen.

Konzert ist erste Fernsehproduktion der Kölner Dommusik

"Unter einem so namhaften Künstler wie Kent Nagano zu musizieren, macht für alle Sängerinnen und Sänger natürlich den besonderen Reiz aus und ist zudem eine große Ehre", sagt Metternich, der die Missa mit dem Chor einstudiert hat, dabei allerdings auch auf die Tatsache zurückgreifen konnte, dass dieses komplexe Werk zum Repertoire gehört. Vor fünf Jahren hatte das Vokalensemble bereits seinen 20. Geburtstag mit dieser "Festmesse" gefeiert. Nun will es der Zufall, dass auch das 25-jährige Bestehen des 60 Stimmen starken Chores eine Krönung ausgerechnet mit diesem Spätwerk Beethovens erfährt. Außerdem ist es die erste Fernsehproduktion für die Kölner Dommusik: Denn das Konzert wird über arte live gestreamt, während der WDR das Domkonzert aufzeichnet und am Totensonntag ausstrahlt.

Metternich sieht diesem Projekt mit großer Freude, aber auch einer gewissen Neugierde entgegen. "Kent Nagano hat für eine Verständigungsprobe mit dem Chor, dem Orchester und den Solisten in seinem dichtgedrängten Terminplan gerade mal eine Stunde angesetzt. Jetzt bin ich mal gespannt, ob er meine Tempi übernimmt, die eigens auf die besondere Akustik des Domes abgestimmt sind und damit den Bedingungen des Raumes bei der Artikulation, der Textverständlichkeit und den großen musikalischen Linien Rechnung tragen."

Entstehungsgeschichte wurde zu existenzieller Gottsuche

Beethovens "Missa solemnis" ist parallel zu seiner neunten Sinfonie entstanden. Ursprünglich war sie zur Ernennung des Erzherzogs Rudolph von Österreich als Erzbischof von Olmütz geplant und von diesem auch in Auftrag gegeben worden. "Der Tag, wo ein Hochamt von mir zu den Feierlichkeiten […] soll aufgeführt werden, wird für mich der schönste meines Lebens sein; und Gott wird mich erleuchten, dass meine schwachen Kräfte zur Verherrlichung dieses feierlichen Tages beitragen", äußerte Beethoven einmal zu dieser Komposition in einem Brief. Doch der Entstehungsprozess geriet für den gebürtigen Rheinländer, der sonst eher wenig geistliche Musik geschrieben hat, zu einer mehrjährigen existenziellen Gottessuche. Die Bischofsweihe musste schließlich ohne Beethovens Messe stattfinden – sie wurde nicht rechtzeitig fertig – und nach vier Jahren des Komponierens sprengte das 1823 vollendete Werk mit einer Aufführungsdauer von etwa 75 Minuten den kirchlichen Rahmen, so dass es zunächst als Konzertstück 1824 in Sankt Petersburg uraufgeführt. Es sollte für den da schon lange ertaubten Künstler, der sich durch den Gehörverlust in seinen letzten Lebensjahren zusehends isoliert hatte, seine wichtigste Komposition werden.

60 Stimmen – das entspricht nicht unbedingt der gewohnten Aufführungspraxis dieser "feierlichen" Messe und ist für dieses monumental angelegte Werk, das höchste instrumental- und vokaltechnische Maßstäbe setzt, eine eher ungewöhnliche Größenordnung. Doch gerade in dieser bewusst kleinen Besetzung – zumal unter den wie gesagt akustisch anspruchsvollen Bedingungen des Domes – bietet sie die Chance, die spirituelle Feinsinnigkeit von Beethovens Musiksprache herauszuarbeiten. Auf den damit einhergehenden Überraschungsfaktor dieses schon jetzt erwartbaren "Beethoven-Festes" in Köln – einen zusätzlichen special effect setzt Festival-Intendantin Wagner zwischen Kyrie und Gloria zudem mit Karlheinz Stockhausens "Gesang der Jünglinge" – darf man in jedem Fall gespannt sein.

Beatrice Tomasetti


Das Gürzenich-Orchester Köln als musikalischer Partner bei dem Beethoven-Konzert 2016 aus der Vogelperspektive / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Gürzenich-Orchester Köln als musikalischer Partner bei dem Beethoven-Konzert 2016 aus der Vogelperspektive / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Zum 20-jährigen Bestehen des Vokalensembles Kölner Dom 2016 dirigierte Eberhard Metternich die "Missa solemnis" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Zum 20-jährigen Bestehen des Vokalensembles Kölner Dom 2016 dirigierte Eberhard Metternich die "Missa solemnis" / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR