Was denn noch alles, mögen sich die Katholiken in Frankreich fragen - es war doch schon so arg zuletzt. Nicht nur, dass man die zunehmende Stimm- und Sprachlosigkeit im politisch-gesellschaftlichen Diskurs seit Jahren immer schmerzlicher fühlen musste: Das katholische Milieu gewann bei Familienthemen, Abtreibung oder Bioethik keine Abstimmungen mehr. Nicht nur, dass Islamisten und Wirrköpfe mit Anschlägen auch an und in Kirchen "Zeichen setzten", Menschen töteten. Kirchen wurden beschmiert oder verwüstet; Kathedralen brannten.
Notre-Dame in Paris war im Frühjahr 2019 wie ein übergroßes Symbolbild für immer noch mehr Unheil. Genau 15 Monate später eine Brandstiftung in der Kathedrale von Nantes. In Lyon kostete die "Affäre Preynat" um den Umgang mit einem Missbrauchspriester den dortigen Kardinal Philippe Barbarin erst alles Vertrauen, dann, 2020, das Amt - trotz eines Freispruchs in letzter Instanz.
Krisenjahr 2021
Doch 2021 wurde am Ende ein noch schlimmeres Jahr. Im Oktober legte eine unabhängige Expertenkommission eine umfassende Missbrauchsstudie mit verheerenden Hochrechnungen von Opferzahlen (bis zu 330.000 seit 1950) und einem weitreichenden Forderungskatalog für strukturelle Veränderungen in der Kirche vor. Eine öffentliche Demütigung, gegen die ein konservativer Teil des intellektuellen Katholizismus entschieden aufbegehrte.
Auch innerhalb der Bischofskonferenz gab es rund um das mediale Desaster der Studie Turbulenzen. Bald darauf wurde die neue Kommunikationsdirektorin und Vize-Generalsekretärin Karine Dalle, erst zwei Monate im Amt, "gefeuert", wie sie selbst ihren Mitarbeitern mitteilte. Offiziell hieß es: "Die Probezeit wurde nicht verlängert." Gründe wurden nicht genannt. Dalle, Mutter dreier Kinder, war zuvor Sprecherin des Hauptstadterzbistums Paris sowie in mehreren Technikunternehmen tätig.
Streit um "Alte Messe"
Von außen - aus dem Vatikan - und eigentlich doch von innen gelangte ein weiterer Spaltpilz ins Haus. Seit jeher ist Frankreich eine Hochburg des katholischen Traditionalismus. Die oft großbürgerlichen Anhänger der vorkonziliaren Liturgie sind dort stark vertreten und haben in ihrer Kirche ohne Kirchensteuer häufig auch wirtschaftlich Gewicht. Das Papstdokument "Traditionis custodes" (Die Wächter der Tradition) mit Franziskus' Absage an die sogenannte Alte Messe sorgte daher im Sommer für viel Unmut und sogar offiziellen Protest.
Zu den ersten, die die "Ausführungsbestimmungen" zu dem Papstschreiben veröffentlichten, gehörte der Pariser Erzbischof Michel Aupetit. Er verminderte die Zahl der Pariser Kirchen, in denen die Alte Messe gefeiert wird, von zwölf auf fünf. Und um nämlichen Pariser Erzbischof drehte sich dann der jüngste Kirchenskandal - und zwar so schnell, dass sich Beobachter verwundert die Augen rieben. Aupetit bot seinen Amtsverzicht an, und der Papst nahm ihn fast umgehend an.
Warum trat Aupetit zurück?
Was war geschehen? Schon länger soll es im Erzbistum gebrodelt haben. Aupetit (70), ein langjähriger Arzt und kirchlicher Quereinsteiger, regiere unbarmherzig durch, hieß es in Medienberichten. Manche seiner Maßnahmen sorgten in bestimmten Kirchenkreisen für böses Blut. Andere sagten, als Leiter der Kirche von Paris müsse man eben "ein Chef" sein.
Unter dem Titel "Aupetits Geheimnisse" trug das Magazin "Le Point" im November alles zusammen - und fügte eine neue Komponente hinzu. Der Erzbischof habe in seiner Zeit als Generalvikar 2012 eine "unangemessene Beziehung" zu einer erwachsenen Frau unterhalten. Aupetit erklärte, eine Beziehung habe es nicht gegeben; doch sein Verhalten damals könne als "mehrdeutig" interpretiert werden. Gleichwohl bot er dem Papst in einem Brief seinen Amtsverzicht an - um Schaden vom Bistum fernzuhalten, wie er schrieb. Später sprach er von "einer Intrige" bestimmter kirchenpolitischer Kreise.
Rückenwind von Franziskus?
Der Papst betrieb dann persönlich Medienschelte. "Die öffentliche Meinung", die Medien hätten Aupetit auf dem Gewissen; sie sollten genauer recherchieren und nicht nur auf Basis von Gerüchten urteilen. Die freilich legten nach: Das Boulevardmagazin "Paris Match" brachte kurz darauf ein verschwommenes Foto von Aupetit mit seiner angeblichen Geliebten, einer belgischen Theologin. Beide beteuerten, sie seien nur Freunde, und kündigten Verleumdungsklage an.
Immerhin: Aupetits furiose Abschiedspredigt in der Interimskathedrale Saint-Sulpice wurde vom anwesenden Klerus frenetisch gefeiert und mehrfach von Beifall unterbrochen. Vielleicht ein Hoffnungszeichen, das den Wappenspruch von Paris widerspiegelt: "Fluctuat nec mergitur" (Das Schiff schwankt, aber es wird nicht untergehen).
Nun wartet das katholische Paris auf die ersten Äußerungen seines Interimsleiters, des emeritierten Erzbischofs von Marseille. Georges Pontier (78), bis 2019 Vorsitzender der Bischofskonferenz, gilt als Moderator und Versöhner. Und Paris ist nicht sein erster unbequemer Job seit seiner Pensionierung 2019. Franziskus setzte ihn schon in der einstigen Papststadt Avignon ein, nach der Verabschiedung des dortigen Erzbischofs Jean-Pierre Cattenoz (75) im Januar - dem ein Teil seiner Diözese Amtsmissbrauch vorgeworfen hatte. Nein, es war definitiv kein gutes Jahr für die Kirche in Frankreich.