Missbrauchsgutachten für das Bistum Würzburg vorgestellt

Über 200 Betroffene

Würzburg ist die zweite Diözese in Bayern, für die nun ein Missbrauchsgutachten vorliegt. Weil der Auftraggeber andere Fragen stellte, ist das Ergebnis auch ein anderes. Das erschwert den Vergleich mit anderen Studien.

Kiliansdom in Würzburg / © phaustov (shutterstock)

Ein am Dienstag vorgestelltes Missbrauchsgutachten für das katholische Bistum Würzburg ist zu einem überraschenden Befund gekommen: Demnach waren nur 1,1 Prozent der Geistlichen mutmaßliche Straftäter. Vergleichbare Studien im In- und Ausland gehen dagegen von 4 bis 5 Prozent aus.

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51 Beschuldigte und 226 Betroffene im Bistum Würzburg

Der Wiesbadener Rechtsanwalt Hendrik Schneider sagte, die Unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum Würzburg habe sich bei seiner Beauftragung für einen engen Täterbegriff entschieden. Erfasst worden seien nur strafrechtlich relevante Handlungen an Minderjährigen, wenn es einen hinreichenden Verdacht gab. Andere Grenzverletzungen unterhalb dieser Schwelle, wie sie etwa die bundesweite MHG-Studie 2018 berücksichtigt habe, seien dadurch außen vor geblieben.

"Nur die Spitze des Eisbergs"

Der Würzburger Psychosomatiker Marcel Romanos, Mitglied der Aufarbeitungskommission, sagte, alle seien sich bewusst, "dass die Dunkelziffer viel größer ist". Das gelte auch für das Spektrum von sexueller Gewalt und Machtmissbrauch. Das Gutachten spiegle nur "die Spitze des Eisbergs". Durch den Zuschnitt der Fragestellung sei aber klarer geworden, welche notwendigen Schritte von der Kirche eingeleitet oder eben unterlassen worden seien.

Der Würzburger Dom inmitten der Würzburger Altstadt / © canadastock (shutterstock)

Schneider ermittelte nach dieser Maßgabe für die Zeit von 1945 bis 2019 insgesamt 51 Beschuldigte, darunter 43 Geistliche. In der MHG-Studie ist bezogen auf das Bistum Würzburg von 62 beschuldigten Priestern und Diakonen die Rede, außerdem von 157 Betroffenen. Hier ist die Zahl des neuen Gutachtens mit 226 Betroffenen deutlich höher.

Wende beginnt mit Jahr 2000

Der Anwalt resümierte, bis etwa zur Jahrtausendwende habe auch im Bistum Würzburg im Umgang mit Missbrauchsvorwürfen der Schutz der Institution Vorrang gehabt. Nur ein Bruchteil der Täter sei verurteilt worden.

Ab etwa dem Jahr 2000 habe allmählich ein Paradigmenwechsel zu einer Kultur des Hinsehens eingesetzt. Durch die MHG-Studie und den Amtsantritt von Bischof Franz Jung 2018 habe dieser einen weiteren Schub erfahren. Seither würden etwa alle Verdachtsmomente der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben.

Bischof ringt bei Übergabe um Fassung

Jung nahm das Gutachten entgegen und rang dabei um Fassung. Er halte nun "ein Dokument des Leids der Betroffenen und unseres Versagens als Kirche" in Händen. Der Bischof würdigte die Arbeit als "Meilenstein" der Aufarbeitung und kündigte Konsequenzen an. Kommenden Montag will er sich nach Lektüre der rund 800 Seiten eingehender dazu äußern.

Anja Amend-Traut (r), Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch (UKAM) im Bistum Würzburg, übergibt Franz Jung, Bischof von Würzburg, auf einer Pressekonferenz ein Gutachten / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Anja Amend-Traut (r), Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch (UKAM) im Bistum Würzburg, übergibt Franz Jung, Bischof von Würzburg, auf einer Pressekonferenz ein Gutachten / © Karl-Josef Hildenbrand ( (Link ist extern)dpa )

Die Würzburger Aufarbeitungskommission empfiehlt der Bistumsleitung vor allem, Ehrenamtliche stärker in den Blick zu nehmen. In den vergangenen Jahren hätten sich die Meldungen von Verdachtsfällen zunehmend von Geistlichen auf Ehrenamtliche verschoben, sagte Romanos. Er regte an, im Bistum tätige Ehrenamtliche vollständig zu erfassen und von ihnen polizeiliche Führungszeugnisse zu verlangen.

Widerstände in Pfarrgemeinden

Besonders in Pfarrgemeinden gebe es Widerstände gegen Schutzkonzepte, die aufgebrochen werden müssten, mahnte der Professor. Die derzeit 48 Präventionsberater im Bistum bräuchten Verstärkung und mehr Befugnisse. Außerdem müsse der Bischof sicherstellen, dass die Präventionsmaßnahmen über seine Amtszeit hinaus Bestand hätten.

Bistum Würzburg

Das Bistum Würzburg liegt im nordwestlichen Bayern und deckt sich im Wesentlichen mit dem Regierungsbezirk Unterfranken. Es gehört seit 1818 zur Bamberger Kirchenprovinz und untersteht damit formal dem dortigen Erzbischof, derzeit Herwig Gössl. 

Türme des Würzburger Doms hinter dem Frankoniabrunnen / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Türme des Würzburger Doms hinter dem Frankoniabrunnen / © Karl-Josef Hildenbrand ( (Link ist extern)dpa )