domradio.de: Wer einen Pakt abschließen will, braucht ja einen vertrauenswürdigen, handlungsfähigen Partner. Gibt es auf libyscher Seite überhaupt so jemanden?
Matthias Vogt (missio-Länderreferent für Nordafrika und den Nahen Osten): Das ist die ganz große Frage im Moment. Es gibt zwar die Einheitsregierung - gebildet aus zwei großen Gruppierungen, die sich bis Anfang 2015 noch bekämpft hatten. Diese Einheitsregierung bildet aber nur eine oberste Schicht, unter der sich die Milizen weiter bekämpfen. So gibt es niemanden in Libyen, der das ganze Land kontrolliert und solche Vereinbarungen vor Ort umsetzen könnte.
domradio.de: Deutsche Diplomaten haben zuletzt die Verhältnisse in libyschen Flüchtlingslagern angeprangert - und dabei sogar von "KZ-ähnlichen" Zuständen gesprochen. Vor diesem Hintergrund klingt die Bezeichnung "Aufnahmezentren" doch ziemlich schönfärberisch, oder?
Vogt: Es ist eigentlich absurd, darüber zu reden, Flüchtlinge nach Libyen zurückzuschicken oder Lager einzurichten, von denen aus dann Asylsuchende in Europa Asylanträge stellen und deren endgültige Bearbeitung in Libyen abwarten könnten. Das geht so nicht! Sie haben die Warnung der deutschen Diplomaten genannt. Unsere missio-Projektpartner vor Ort berichten auch von dramatischen Zuständen einerseits für die Flüchtlinge, aber auch insgesamt für die Sicherheitslage im ganzen Land. Entführungen stehen auf der Tagesordnung, Raubüberfälle, Morde, und zwar nicht nur im Norden, wo sich die Milizen bekämpfen, sondern auch im Süden, wo die Flüchtlingsrouten durchgehen. Die Lage ist wirklich dramatisch, vor allem für die Flüchtlinge, die natürlich das schwächste Glied in der Kette sind und die keiner beschützt. Insofern ist das Anliegen, das die EU im Moment hat, Flüchtlinge in Libyen besser zu schützen, zu begrüßen. Aber die Vorschläge, die im Moment gemacht werden, sind nicht umsetzbar in Libyen.
domradio.de: Die EU sagt zum Beispiel auch, sie wolle die libysche Küstenwache besser ausbilden – ist das denn ein realistisches Vorhaben?
Vogt: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine libysche Küstenwache, die im Auftrag mal der einen, mal der anderen Regierung agiert. Es wäre sicherlich begrüßenswert, diese Wache besser auszubilden, damit sie Flüchtlingsboote in Seenot tatsächlich retten und die Menschen in Sicherheit bringen kann. Aber Flüchtlinge dann dauerhaft in Libyen zu halten ist unrealistisch.
domradio.de: Ein Flüchtlingspakt mit Libyen ist in Ihren Augen also utopisch. Wie sollten sich die EU-Staaten Ihrer Meinung nach in der Frage stattdessen positionieren?
Vogt: Man kann solche Abkommen sicherlich mit den stabileren Staaten in der Region abschließen, mit Tunesien, mit Algerien, mit Marokko oder auch Ägypten abschließen. Dort könnte man Vereinbarungen dann auch umsetzen. Richtig ist, dass das größte Problem in Libyen besteht. Weil sich dort wegen des Chaos und des fehlenden Staates so unglaublich viele Flüchtlinge gibt, die sich Hoffnungen machen, von dort ungehindert mit Booten übers Meer nach Europa kommen zu können. Europa muss mit Libyen schon etwas beschließen, aber sich dabei im Klaren sein, dass das nur ganz geringe Auswirkungen haben kann.
Das Gespräch führte Silvia Ochlast