missio gibt 100.000 Euro Soforthilfe für Aleppo

"Es ist fast hoffnungslos"

Im von den Rebellen gehaltenen Ostteil Aleppos ist die Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen, es gibt kaum Nahrung. Matthias Vogt von missio in Aachen spricht im Interview über die "hoffnungslose" Lage in Syrien.

Zerstörung in Aleppo / © Syrian Arab News Agenc (dpa)
Zerstörung in Aleppo / © Syrian Arab News Agenc ( dpa )

domradio.de: Sie stehen in engem Austausch mit ihren Partnern vor Ort in Syrien. Der Erzbischof von Aleppo hat missio um Hilfe gebeten, was berichtet er über die Situation vor Ort?

Matthias Vogt (Syrien-Experte von missio in Aachen): Er berichtet ganz aktuell, dass angesichts der Kämpfe und der Umzingelung Aleppos durch die Regierungstruppen die Versorgungslage immer dramatischer wird. Es fehlt an Trinkwasser. Die Stromversorgung war schon immer schlecht, aber das wird aber angesichts der Kämpfe jetzt noch einmal kritischer. Granaten und Raketen schlagen in West-Aleppo ein, wo die meisten Christen leben.

domradio.de: Das ist die von der Regierung gehaltene Seite…

Vogt: Und im von den Rebellen gehaltenen Ostteil Aleppos werden durch Kampfflugzeuge der syrischen Armee und der Russen ganze Stadtviertel zerstört.

domradio.de: In Aleppo spitzt sich die Lage in Aleppo derzeit zu. Was ist das zentrale Problem?

Vogt: Die Regierungsseite hat vor gut einem Monat zur Eroberung von Aleppo eine neue ganz heftige Initiative gestartet. Es ist dann Ende Juli gelungen, den von den Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt einzuschließen, so dass die Versorgungslage ganz kritisch wurde. Inzwischen soll es wieder einen Zugang geben. Aber trotzdem bleibt die Versorgung kritisch.

domradio.de: Denn es geht ja um was anderes?

Vogt: Es geht darum, wer Aleppo als Ganzes demnächst kontrolliert. Die Regierung hat diese Kampagne gestartet und die Rebellen halten ganz kräftig dagegen. Sie haben dort nochmal Truppen zusammengezogen, weil sie wissen, dass Aleppo nicht ganz in Regierungshände fallen darf, wenn sie im Krieg weiter an einer friedenspolitischen Lösung mitreden wollen.

domradio.de: Ist das eine Entscheidungsschlacht?

Vogt: Nicht für ganz Syrien, aber sicherlich für den Norden Syriens. Es wäre ein erheblicher Prestigegewinn für die Regierung von Präsident Assad, wenn die Eroberung von Aleppo gelänge.

domradio.de: Gibt es einen Unterschied zwischen der muslimischen und der christlichen Zivilbevölkerung oder leiden beide Religionsgruppen gleichermaßen unter dem Terror und dem Krieg?

Vogt: Da kann man im Moment keinen Unterschied machen. Die Waffen machen keinen Unterschied, die Bomben machen keinen Unterschied. Grundsätzlich gilt, dass in Ost-Aleppo, wo momentan ganz besonders heftig gekämpft wird, schon seit mehreren Jahren keine Christen mehr leben. Diese Stadtviertel werden von Islamistischen Rebellen gehalten. Aber grundsätzlich: Sowohl im Osten wie im Westen der Stadt sind alle gleichermaßen von der schlechten Versorgung von Lebensmitteln, Strom und Trinkwasser getroffen.

domradio.de: Sie wollen die Menschen unterstützen, wie kann denn Hilfe in so einer Situation dort überhaupt ankommen?

Vogt: Das ist nicht ganz leicht zu sagen. Es war bisher möglich, den Westteil der Stadt über die normalen Versorgungswege zu beliefern. Es sind auch über das von Rebellen gehaltene Umland weiter Lebensmittel in die von der Regierung gehaltene Stadt gelangt. Ob das jetzt dauerhaft weiter möglich ist, kann man im Moment noch gar nicht sagen. Das müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen. Nach Ost-Aleppo - zu den Rebellen - kann niemand Hilfe bringen, weder die Kirche noch andere Hilfsorganisationen werden reingelassen.

domradio.de: Ist denn die Situation in anderen Regionen Syriens besser?

Vogt: Ganz aktuell ist es sicherlich in Aleppo am dramatischsten. Ganz schlimm sind die Gebiete, die vom Islamischen Staat gehalten werden. Und dann gibt es immer wieder Orte, wo zeitweise sehr heftig gekämpft wird. Oder wo Städte oder Dörfer eingeschlossen sind - von der einen oder anderen Seite - und damit völlig von der Nahrungsmittelversorgung abgeschlossen sind. Es gibt eine ganze Menge von Hungertoten in Syrien.

domradio.de: Was ist denn Ihre politische Forderung?

Vogt: Es ist nicht ganz leicht, realistische politische Forderungen zu stellen. Papst Franziskus und die syrischen Bischöfe haben mehrfach auf den Waffenhandel aufmerksam gemacht, der sofort gestoppt werden müsste. Es wird gefordert, eine Regierung der nationalen Einheit unter Ausschluss der Extremisten zu bilden. Allerdings muss man sagen, dass die Chancen, dass das gelingt nicht sehr groß sind. Es gibt eine Blockade von beiden Seiten. Auf der einen Seite die Regierung, die Russland im Rücken weiß, auf der anderen Seite die Rebellen, die Teile des Westens und Saudia-Arabien und die reichen Golfstaaten im Rücken wissen. Solange beide denken, dass sie von einer Großmacht unterstützt werden, glaubt jede Seite, sie könnte auf völligen militärischen Sieg setzen. Und die Kämpfe gehen weiter. Es ist gerade fast hoffnungslos.

Das Interview führt Uta Vorbrodt.


Matthias Vogt (missio)
Quelle:
DR