Warum der Papst eine Messe mit Bootsflüchtlingen und Seenotrettern feiert

Mit den Menschen feiern, die Hilfe benötigen

Papst Franziskus hat am Montag mit rund 250 ehemaligen Bootsflüchtlingen und Seenotrettern eine Messe gefeiert. Pater Bernd Hagenkord, Redaktionsleiter von Vatican News, über die Reaktion der Gläubigen und die Intention des Papstes.

Papst Franziskus während einer Messe mit ehemaligen Bootsflüchtlingen und Seenotrettern im Petersdom / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus während einer Messe mit ehemaligen Bootsflüchtlingen und Seenotrettern im Petersdom / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Diese Messe feierte Papst Franziskus hinten im Petersdom am Hochaltar. Er benutzte bei der Feier einen Kreuzstab, der aus Holzstücken gekenterter Flüchtlingsboote hergestellt wurde. Eingeladen waren nur Migranten, Flüchtlinge und Seenotretter. Die Messe war nicht öffentlich - wurde aber live übertragen. Weißt du etwas über die Atmosphäre im Petersdom?

Bernd Hagenkord (Redaktionsleiter von Vatican News und Jesuit): Man konnte sie, nachdem die Messe vorbei war, bei den Grüßen mitbekommen: Zum Abschluss kamen die Teilnehmenden noch nach vorne zum Händeschütteln, zum Grüßen, oder um vorgestellt zu werden. Man sah ein Strahlen in den Blicken der Helfer.

Bei den Migranten hingegen überwog Dankbarkeit und Rührung, da waren Umarmungen. Selbst wenn man nicht im Raum war wie wir, konnte man sehen, wie sehr sie das mitgenommen, angesprochen und gerührt hat. Wenn eine Messe im Petersdom stattfindet, ist sie notwendigerweise ziemlich formal. Aber trotzdem hat da wirklich was geschwungen zwischen den Menschen und dem Papst. Das konnte man sehen. Und ich nehme an, dass das auch die Messe getragen hat. Die Leute, die die Live-Übertragung für uns gemacht haben, haben jedenfalls davon erzählt, dass das auch während der Messe dort im Raum eine ganz besondere Atmosphäre war.

DOMRADIO.DE: Ist Franziskus heute auf seinen Besuch am 8. Juli 2013 auf Lampedusa – seine erste inneritalienische Visite – eingegangen?

Hagenkord: Er hat es ganz kurz erwähnt. Zum einen ist es natürlich der Jahrestag des Besuchs nach Lampedusa. So war es auch angekündigt worden, weshalb klar war, um was es hier geht. In seiner Predigt hat er einfach nur daran erinnert, mehr nicht. Er hat also nicht noch einmal großartig aufgegriffen, hat nicht die Entwicklung kommentiert, sondern hat es einfach nur angesprochen. Dann ist er in seiner Predigt weiter fortgefahren.

Das braucht er auch gar nicht betonen, weil man seine Geschichte ja kennt. Also, dieses Jahr die Messfeier im Petersdom, vor einem Jahr war er in Bari zu einem ökumenischen Besuch, wo er an die Gestorbenen erinnert hat. Er war auf Lesbos. Er braucht gar nicht großartig unterstreichen, was er alles schon gemacht hat und wie wichtig ihm das ist, weil es bei ihm eben immer wieder vorkommt. Die Arbeit nehmen wir Kommentatoren ihm ab, die wir das immer wieder aufzählen. Er braucht das also gar nicht noch einmal extra erklären.

DOMRADIO.DE: Wie stark wirkt dieses Zeichen von damals eigentlich heute noch nach?

Hagenkord: Ich halte das für einen General-Ton in seinem Pontifikat. Es war ja seine eigene Idee, nach Lampedusa zu fahren. Das war seine erste Reise überhaupt als Papst. Seitdem zieht sich dieses Thema immer wieder durch. Er macht in Botschaften, in Predigten, in Begegnungen, auch wenn er unterwegs ist auf Reisen – auch in anderen Kontinenten – klar, dass das kein europäisches Mittelmeer-Problem ist, sondern es genauso um Mexiko und die Vereinigten Staaten geht, es genauso um die Rohingya in Zentralasien geht. Es geht um alle möglichen Gebiete dieser Welt, ob das nun Lateinamerika oder Afrika ist, oder wo auch immer. Überall gibt es Flüchtlinge und überall spricht er darüber.

Aber was noch viel wichtiger ist: Überall begegnet er ihnen. Das ist vor allen Dingen das Anliegen für ihn. Auf Lampedusa hat er gesagt: "Ich bin gekommen, um bei euch zu sein." Und das ist nicht nur ein Spruch, sondern genau das will er. Er will ja da sein. Will kein politisches Zeichen setzen, sondern einfach da sein. Und genau das hat er heute auch wieder gemacht, das hat er auch vor einem Jahr gemacht.

Diese Zeichen ziehen sich durch sein Pontifikat. Das ist aber nicht verurteilend. Er spricht nicht nach dem Motto: "Ich definiere jetzt dadurch, der ist kein Christ und der ist kein Katholik". Darum geht es ihm nicht. Sondern es geht ihm wirklich um die Menschen dort vor Ort, die geflohen sind, die leiden, die Geringsten, die Schwächsten, wie er sie auch theologisch nennt. Es geht ihm nicht darum, gegen jemanden, sondern für jemanden zu sein.

DOMRADIO.DE: Inwieweit hat der Papst beurteilt oder bewertet, ob sich die Situation für Geflüchtete im Mittelmeer seit damals verändert hat?

Hagenkord: Das macht er so gut wie gar nicht, sondern er richtet den theologischen Blick auf die schwachen Menschen. Es ist ohnehin Teil seines Pontifikats, dass er immer wieder sagt, dass wir in diesen Schwächsten Jesus erblicken; dass es die Schwachen sind, die uns zeigen, wie das ist mit Gott und der Welt. Mit dem menschgewordenen Gott, der jetzt für die Schwachen kommt und nicht für die Starken. Dass wir das machen müssen, was Jesus getan hat.

Das ist für ihn vor allem eine theologische Angelegenheit. Das macht die Sache nicht weniger politisch, ganz im Gegenteil, sondern wenn man sich katholisch verhalten will, man christlich sein will, dann muss man sich Jesus zum Vorbild nehmen. Dann muss man auf Jesus hören. Man muss versuchen, das, was aus dem christlichen Glauben kommt, in die Welt zu übersetzen.

Und das ist relativ eindeutig: Es geht ihm nicht um Beurteilung, um Bewertungen oder Analysen, schon gar nicht um Soziologie und Politik, sondern um den christlichen Blick auf Menschen, die leiden. Das übersetzt sich darin, dass ich sozial, dass ich politisch, dass ich gesellschaftlich handeln muss für diese Menschen. Das ist sein Anliegen.

DOMRADIO.DE: Gab es einen klaren Appell an Salvini und Co.?

Hagenkord: Es gab überhaupt keine Appelle! Er hat in seiner Predigt tatsächlich geistlich gesprochen. Er hat über die Jakobsleiter gesprochen aus der Lesung von heute. Er hat das Evangelium ausgelegt. Das waren seine Themen. Anschließend ging es um die Frage nach den Schwächsten. Er hat auf keinen Fall irgendwelche Politiker angesprochen.

Das ist auch ein bisschen skurril, wenn wir uns das anschauen: Wir reden alle über Salvini, über Frau Rackete, die Helfer und die Schiffe. Und uns geraten manchmal die Flüchtlinge dabei aus dem Blick. Der Streit um Solidarität lässt uns ein bisschen um uns selber kreisen. Wir reden gar nicht mehr über die Menschen, die leiden.

Genau das macht der Papst nicht, sondern er feiert mit denen, die leiden, die klein sind, die schwach sind und auch mit denen, die helfen gemeinsam. Ohne die Themen der großen Politiker aufzugreifen. Er macht nicht die Arbeit der Populisten, aber er klopft auch nicht denen auf die Schultern, die sagen: "Wir Politiker sind toll, weil wir Leute aufnehmen." Er feiert mit denen, die Hilfe benötigt haben, Hilfe benötigen und mit denen, die helfen.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Pater Bernd Hagenkord / © Francesco Pistilli (KNA)
Pater Bernd Hagenkord / © Francesco Pistilli ( KNA )

Papst Franziskus segnet eine Frau mit Kind bei einer Messe mit ehemaligen Bootsflüchtlingen / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus segnet eine Frau mit Kind bei einer Messe mit ehemaligen Bootsflüchtlingen / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Papst Franziskus mit Kreuzstab aus Holz von Flüchtlingsboot (KNA)
Papst Franziskus mit Kreuzstab aus Holz von Flüchtlingsboot / ( KNA )
Quelle:
DR
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