Ethikrat hält Keimbahneingriffe noch zu riskant

Mit der Genschere am Erbgut der Menschheit

Mit neuen Techniken kann der Mensch sein eigenes Erbgut verändern. Ein "epochale Entwicklung", meint der Ethikrat und legt Empfehlungen und Orientierungsmaßstäbe vor - auch in der Kontroverse.

Autor/in:
Christoph Scholz
Embryonenforschung / © Hwang (dpa)
Embryonenforschung / © Hwang ( dpa )

Jungbrunnen oder Büchse der Pandora? Mit der rasanten Entwicklung in der Molekularbiologie verbinden sich ebenso viele Hoffnungen wie Befürchtungen. Dank neuer Techniken können Wissenschaftler das Erbgut von Pflanzen und Lebewesen verändern und damit auch des Menschen.

Insbesondere "Keimbahninterventionen", also Veränderungen von frühen Embryonalzellen, Ei- und Spermazellen, galten wegen der unabsehbaren Risiken bislang als Tabu. Entsprechend schockiert waren die Experten, als im November 2018 der Chinese He Jiankui behauptete, erstmals Zwillinge genetisch verändert zu haben, noch ehe sie geboren wurden.

Forscher verlangen "Anwendungsmoratorium"

Führende Forscher weltweit verlangten ein "Anwendungsmoratorium". Dem schloss sich auch der Deutsche Ethikrat in seiner am Donnerstag in Berlin vorgestellten Expertise an. Er empfiehlt der Bundesregierung, sich auch international dafür einzusetzen, und verlangt die Erarbeitung internationaler Standards.

Die Mehrheit der 26 Mitglieder des Ethikrats hält die menschliche Keimbahn aber nicht grundsätzlich für "unantastbar". Mit anderen Worten: Grundlagenforschung unter bestimmten Kautelen ja, aber keine klinische Anwendung. Angesichts der rasanten Entwicklung wollte das Gremium schon jetzt Orientierungsmaßstäbe für künftige Szenarien vorlegen, so der Ratsvorsitzende Peter Dabrock. Zwingende Voraussetzungen wären eine hinreichende Sicherheit und Wirksamkeit aber auch die Einhaltung der Menschenwürde.

Die technischen Voraussetzungen für Eingriffe ins menschliche Erbgut haben sich mit der Entwicklung gentechnischer Verfahren wie Crispr-Cas stark verbessert. Die Wissenschaft erhofft sich von der "Genschere", schwere erbliche Erkrankungen wie Mukoviszidose zu therapieren und vererbte Veranlagungen zu Brustkrebs oder Alzheimer zu minimieren. So mancher setzt auch darauf, menschliche Eigenschaften gezielt zu verbessern, etwa beim Sport oder beim Alterungsprozess.

Angesichts der neuen Möglichkeiten können sich laut Ethikrat weder Gegner noch Befürworter einer Keimbahnintervention "von vorne herein auf der ethisch sicheren Seite wähnen". Die 26 Mitglieder konnten sich nach Angaben der Münchner Medizinethikerin Alena Buyx zumindest auf acht gemeinsame Empfehlungen einigen. Dazu gehören die Achtung der Menschenwürde und der Schutz von Leben und Integrität. Mögliche Eingriffe sollten Schaden vermeiden und dem Wohl des Patienten dienen, natürliche Gegebenheiten respektieren, und sie sollten gerecht, verantwortungsvoll und solidarisch gehandhabt werden. Reine Chancen-/Risiken-Abwägungen reichten nicht aus, konstatieren die Fachleute.

Ethikrat mit Konflikten und Kontroversen

Buyx hob zugleich hervor, dass es im Gremium angesichts des breiten Spektrums an weltanschaulichen Überzeugungen "an vielen Stellen Konflikte und Kontroversen" gegeben habe. Die Stellungnahme machte dies durch einen "Entscheidungsbaum" transparent, der nachzeichnet, welche Grundentscheidungen welche Wege eröffnen.

So sah eine kleine Minderheit mit dem katholischen Theologen Andreas Lob-Hüdepohl bislang keine hinreichenden Gründe, um eine Keimbahnintervention zu rechtfertigen. Grundsätzlich sei sie aber weder ethisch noch theologisch "sakrosankt". Der Auftrag des Schöpfergottes schließe eine verantwortliche Gestaltung der Lebensbedingungen mit ein.

Ein offener Dissens bestand bei der Haltung zur verbrauchenden Embryonenforschung in der Grundlagenforschung. Nach Buyx' Angaben sprach sich eine Mehrheit der Mitglieder für Experimente an Embyonen aus; die meisten allerdings wollten nur Forschung an überzähligen Embryonen zulassen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig blieben. Es gelte, dabei den Schutz der Embryonen mit der Heilung möglicher Krankheiten abzuwägen.

Lob-Hüdpohl optierte hingegen mit einer "großen Minderheit" für die Beibehaltung des im Embryonenschutzgesetz festgelegten Verbots der verbrauchenden Embryonenforschung. Auch der Tübinger katholische Theologe Franz-Josef Bormann sprach sich "gegen jede Forschung aus, bei der menschliche Embryonen zerstört werden". Einen Ausweg sieht er in der Verwendung "embryonenähnlicher Konstrukte, die sich nicht zum Menschen entwickeln können".


Quelle:
KNA