Jogginghose, Kaffee in der Hand und die Messe aus dem Dom im Fernsehen. Öffentliche Gottesdienste sind bundesweit angesichts der Corona-Pandemie nicht erlaubt - alle Bistümer bieten deswegen die sonntägliche Feier in TV und Internet an.
Gibt es einen Online-Gottesdienst-Knigge?
Normalerweise gibt es Regeln, an die sich Christen in der Kirche halten: Viele tragen den Sonntagsanzug; die Männer nehmen in der katholischen Kirche den Hut ab; Essen, Trinken, Kaugummikauen verboten. Aber was, wenn der Pfarrer den Betenden vor dem Bildschirm nicht sieht? Gibt es einen Online-Gottesdienst-Knigge?
Für den Leiter des Instituts für Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim, Guido Fuchs, stellen sich ganz neue Fragen. Zwar hat es immer schon Fernsehgottesdienste gegeben. Sie waren vor allem für Kranke und Menschen gedacht, die nicht ins Gotteshaus kommen konnten.
Nun ist die Lage anders. Entweder muss man selbst einen Gottesdienst abhalten, oder man feiert am Bildschirm mit.
Der springende Punkt sei das "Mitfeiern", betont Fuchs - auch unabhängig von der Konfession. "Wer sich an der Gottesdienstfeier beteiligen möchte, der kann es nicht beiläufig während des Frühstücks machen." Es gebe zwar auch in der Kirche keine Kleiderordnung mehr, aber im Schlafanzug würde sich niemand in die Kirchenbank setzen.
"Außerdem bereitet sich der Gläubige für einen Gottesdienst am Sonntag vor: Waschen, Anziehen und so weiter. Das könnte zwischen Frühstückstisch und Sofa nun zu Corona-Zeiten ausfallen - sollte aber nicht."
Willibert Pauels: Anzug ist nicht nötig
Der Diakon und Büttenclown Willibert Pauels kann einer legeren Kleidung beim Online-Gucken etwas abgewinnen, ein Anzug müsse nicht sein. "Aber wenn man eine sakrale Handlung anschaut - egal wo, ob analog oder digital - hat jeder eine Haltung, wie er sie verfolgt.
Und das definitiv nicht mit Bier und Zigarette", sagt der rheinisch-bergische Geistliche. "Eine Kerze und Blumen auf dem Tisch, dies zeigt eine Haltung, die eine Wirkung auf mein Fühlen hat." Es sei ein Spiegel der inneren Haltung.
Jeder spüre, was gehe und was nicht. "Es ist tragisch genug, dass wir nicht in der Kirche dabei sein können, deswegen sehe ich den Gottesdienst online auch live und nicht später als Konserve in einer Aufzeichnung", so der 65-Jährige. Der Diakon betont den Unterschied einer sakralen zu einer "banalen Handlung" und verweist auf einen Ausspruch des emeritierten Papstes Benedikt XVI.: "Liturgie muss das Geheimnis zum Leuchten bringen."
Der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger unterstreicht Pauels Anliegen: "Gott regt sich nicht auf, wenn Sie im Freizeitdress den Gottesdienst verfolgen." Aber Rituale seien für den Gläubigen wichtig, denn so tue sich jeder etwas Gutes. "Es ist keine Beleidigung Gottes, denn die Menschen in Kliniken, die Messen im TV sehen müssen, können sich auch oft kein Hemd oder Krawatte anziehen."
Mit einer Kerze auf dem Sofa
Zudem plädiert Biesinger dafür, eine Kerze aufzustellen. Sie erinnere an den eigentlichen Gottesdienst-Raum und an das, was mit der Feier realisiert werden solle. Auch Journalistin Andrea Kammhuber, beim BR für Gottesdienst-Übertragungen zuständig, macht diese Erfahrung. Aus Zuschriften habe sie den Eindruck gewonnen, die Leute hätten sich tatsächlich als "Mitfeiernde" empfunden. So zündeten sie eine Kerze an, holten sich das Gesangbuch oder legten ein Kreuz auf den Tisch.
Biesinger sagt, dass es für den einen oder anderen hilfreich sein könne, sich bei der Wandlung hinzuknien. "Dies ist aber ein subjektives und emotionales Empfinden, das auch in der Kirche teils unterschiedlich gehandhabt wird." Experte Fuchs, der sich in einem Projekt mit schlechtem Benehmen im Gottesdienst befasst, sieht die Gebetshaltungen nicht als notwendig an - aber für das Kreuzzeichen, Mitbeten und Singen plädiert er schon.
Biesinger betont, jeder sollte - soweit möglich - die örtliche Eucharistiefeier online live mitfeiern. "In meiner Gemeinde läuten die Glocken 15 Minuten vor Beginn der Übertragung und rufen die Menschen statt in die Kirche vor den Bildschirm. Wenn die Zuseher wissen, dass die Gemeinde gleichzeitig den Gottesdienst verfolgt, dann verbreitet das das Gefühl von Nähe und Normalität - das ist Kirche vor Ort."