Am Samstag hatten Europaabgeordnete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefordert, alle EU-Arbeitnehmer in Deutschland hinreichend vor Unfall- und Gesundheitsrisiken zu schützen. In einem Zeitungsinterview wies unterdessen nach dem massiven Corona-Ausbruch im Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück Konzernchef Clemens Tönnies die Vorwürfe gegen ihn und das Unternehmen zurück.
Forderung nach Mindeststandards
Kossen fragte: "Will man einfach zusehen, wie Lücken wieder geschlossen werden und die Ausbeutungsmaschinerie für billiges Fleisch weiterläuft, oder ist jetzt nicht der Zeitpunkt, die Räder anzuhalten und den Systemwechsel herbeizuführen?" Das System einer Wertschöpfung, die weitgehend auf der Ausbeutung von Menschen, Tieren und Natur aufgebaut sei, sei krank und mache krank. Die Abkehr davon sei längst überfällig. "Nur Achtsamkeit, Wachsamkeit und gesetzlich erzwungene Mindeststandards von Leben und Arbeiten in Würde und Gerechtigkeit könnten die Wende herbeiführen."
Kossen warnte zudem davor, Selbstverpflichtungserklärungen der Fleischindustrie als positive Entwicklung einzuschätzen. "Wenn jetzt zu hören ist, die Werkvertragsarbeiter würden demnächst von Tochtergesellschaften angestellt, dann ist das doch die gleiche Masche, mit der die Fleischindustrie schon lange Arbeitsmigranten ausgebeutet hat, indem sie nämlich als eigener Subunternehmer auftritt und genau damit Löhne und Sozialstandards drückt." Er forderte ein Ende "moderner Sklaverei".
Gesetzentwurf zum Verbot der Werkverträge
Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtet, dass ein Gesetzentwurf zum Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie in diesem Monat vom Bundeskabinett beschlossen werde. Er könne dann im September oder Oktober den Bundestag passieren und spätestens zum neuen Jahr gelten.
Die "Neue Westfälische" (Samstag) berichtet von einem Schreiben, in dem der rumänische Liberale Nicolae Stefanuta und der Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, eine "soziale und gesundheitliche Absicherung der EU-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland" verlangen. Hunderttausende EU-Arbeitnehmer schufteten in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen, zitiert die Zeitung aus dem Brief. Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf Anfrage der Zeitung auf strengere Auflagen für die Fleischindustrie.
Tönnies sagte dem "Westfalen-Blatt" (Samstag): "Wir haben uns immer an Recht und Gesetz gehalten." Man sei "sehr ernsthaft" an das Thema Corona herangegangen und habe früh angefangen, "Schutzhürden" aufzubauen. Die Infektionen seien zudem nicht auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der osteuropäischen Werkvertragsarbeiter zurückzuführen. Zugleich kündigte Tönnies jedoch an, Veränderungen im Umgang mit den Werkvertragsarbeitern vorantreiben zu wollen.