Wann diese Tradition begann, daran kann sich heute keiner mehr so genau erinnern: Schon als Nikodemus Schnabel nach Jerusalem kam - und das ist über 20 Jahre her - pilgerten die Mönche der Dormitio-Abtei in der Heiligen Nacht, nach der Mitternachtsmesse, nach Bethlehem, um dort in jener Grotte zu beten, wo Jesus der Überlieferung zufolge vor 2000 Jahren geboren wurde.
Immer wieder habe es Anfragen von Menschen gegeben, die mitpilgern wollten oder darum baten, ihre persönlichen Anliegen dort vor Gott zu tragen. "Da gab es ein Bedürfnis", erinnert sich Schnabel, der heute Abt der Dormitio in Jerusalem ist. "Und so begannen wir vor etwa 15 Jahren, die Namen von Menschen, ihrer Liebsten, ihre Sorgen und Gebetsanliegen mitzunehmen." So entstand die Aktion "Ich trage Deinen Namen in der Heiligen Nacht nach Bethlehem", an der sich jedes Jahr mehr Menschen beteiligen.
Zehn Kilometer Fußweg sind es von Jerusalem nach Betlehem, eine Strecke, die verschiedene Welten miteinander verbindet: In Jerusalem ist für die Mehrheit der Menschen ein normaler Wochentag, denn nur zwei Prozent der Bevölkerung sind Christen. "Morgens gegen halb drei laufen wir an der Müllabfuhr und den Straßenkehrern vorbei. Oft ist es kalt, nass und überhaupt nicht weihnachtlich", erzählt Schnabel. Auch die Überquerung des Checkpoints ins Westjordanland, vorbei an den israelischen Soldaten, sei wenig stimmungsvoll.
Als würde Betlehem Trauer tragen
Normalerweise fängt in Betlehem die weihnachtliche Stimmung an: Alles ist geschmückt und jede Menge Trubel in den Straßen, denn die Stadt lebt von ihrer Geschichte und ihrer Tradition: "Jeder Bethlehemer wächst mit diesem Stolz auf, im Geburtsort Jesu zu leben", sagt Abt Schnabel.
"Aber in diesem Jahr wird Bethlehem vermutlich keinen Weihnachtsschmuck tragen. Seit dem 7. Oktober 2023 ist den Menschen einfach nicht nach Feiern zumute. Schon im letzten war die Stadt dunkel und nicht beleuchtet, als würde sie Trauer tragen." Auch die großen Pilgergruppen bleiben aus. In den frühen Morgenstunden des 25. Dezember kommt die Gruppe aus der Dormitio an der Geburtskirche an.
Am Geburtsstern der fast menschenleeren Grotte beten die Mönche dann und legen die zuvor gesegnete Rolle mit tausenden von Namen und Gebetsanliegen nieder. Nikodemus Schnabel erinnert sich an eine ambivalente Stimmung: "Wir sind an dem Ort, wo die Gedanken und Sehnsüchte von einer Milliarde Menschen hingehen. Rund um den Globus feiern die Menschen Weihnachten, gehen in die Christmetten, lesen das Evangelium. Nur in Bethlehem nicht", erzählt er.
"Aber vielleicht war das auch ein sehr originales Weihnachten", fährt er nachdenklich fort: Die Weihnachtsgeschichte erzählt von einer jungen Familie und einer Notgeburt im Stall. "Das war auch nicht beschaulich und nett!"
Durch den Checkpoint pilgern
Trotz des aktuellen Krieges und der angespannten Sicherheitslage sind die Mönche entschlossen, nach Bethlehem zu pilgern. 2023 klappte das gut, allerdings kamen sie nicht zurück, weil der Checkpoint geschlossen war. Und so stellte sich die Gruppe in den frühen Morgenstunden in die Schlange mit den vielen Arbeitern aus dem Westjordanland, die in Jerusalem arbeiten. Gemeinsam warteten sie, dass der Checkpoint öffnet.
Das sei auch eine interessante Erfahrung gewesen, sagt Schnabel: "Wir feiern, dass Gott Mensch wurde in Jesus Christus. Und zwar nicht in einem Palast, sondern in elenden Verhältnissen. Mit allem, was Menschsein ausmacht: Kälte, Hunger, Sorgen. Mehr Kontakt mit der Realität konnten wir nicht haben. Gott ist mit den Menschen. Das war wirklich ein authentisches Weihnachten!"
Aktion mit großem Zulauf
Die Dormitio informiert auf ihrer Homepage über die Weihnachtsaktion. Jeder kann dort seinen Namen und den seiner Lieben in ein Online-Formular eintragen und an die Mönche schicken. Auch per E-Mail, Fax oder sogar Brief ist eine Anmeldung möglich. Wer bis zum 22. Dezember eine Nachricht an die Dormitio-Abtei gesendet hat, dessen Name wandert in der Weihnachtsnacht mit. Im Jahr 2023 hatten 123.333 Menschen mitgemacht.
Benedikt Koch ist einer von ihnen und in diesem Jahr macht er die Aktion in seiner Heimat Herten bei Recklinghausen bekannt, er verteilt Flyer und wirbt in den Gemeinden dafür. "Gerade in diesem Jahr, wo die Unruhen in Israel immer noch andauern, möchte ich die Mönche und andere Christen im Heiligen Land durch die Spenden dieser Aktion unterstützen", erzählt er.
Dabei ist seine Beziehung zum Heiligen Land eine ganz besondere: 2007 lebte der gelernte Koch vor seinem Theologiestudium ein halbes Jahr bei den Benediktinern am See Genezareth, bekochte die dort lebenden Mönche und Pilger und nahm am Klosteralltag teil. Auch 17 Jahre später ist das für ihn noch eine besondere Zeit.
Spenden für soziale Projekte
Solche Geschichten und persönliche Gebetsanliegen lesen Schnabel und seine Mitbrüder gerne: "Weil die Namen dann ein Gesicht bekommen", so der Abt. Ein fleißiger Volontär der Dormitio ist in den Wochen vor Weihnachten fast ausschließlich damit beschäftigt, alles auf die Rolle zu übertragen, die am Ende mehrere Kilo wiegen wird. Die Gebete und Fürbitten würden dann unterwegs bei den Gebetsstationen vorgetragen, sagt Schnabel: "Wir sind sehr dankbar, wenn wir wissen, wen wir da im Gebet mittragen."
Zugleich bitten die Brüder auch um Spenden, die in soziale Projekte im Heiligen Land gehen: Schulen für Kinder mit Behinderung, Pflegeheime, Day-Care-Programme, Werkstätten und Ausbildungsplätze sowie Familienprojekte. Eins davon ist das Beit Noah: Eine Begegnungsstätte für behinderte Kinder und Jugendliche am See Genezareth, die Palästinenser und Israelis zusammenbringt.
Auch das ist ein Grund für Benedikt Koch, diese Aktion zu unterstützen. "Und wenn ich am Heiligen Abend mit meiner Familie das Krippenspiel sehe oder in der Christmette das Weihnachtsevangelium höre, weiß ich, dass unsere Namen in dieser Nacht nach Bethlehem getragen werden. Ich bin zwar physisch hier, aber in meinen Gedanken bin ich in Jerusalem und Bethlehem dabei."