domradio.de: Der Satz, der laut Berichten der "Süddeutschen Zeitung" gestrichen wurde, lautet: "Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird." Was heißt das genau?
Eberhard Schockenhoff (Professor für Moraltheologie in Freiburg): Man darf sich von dem Begriff der Vermögenden nicht irreleiten lassen. Aufgrund der Einschlusskriterien ist das in Deutschland ein sehr großer Personenkreis. Es ist also nicht etwa wie in den USA, wo nun die neue Trump-Administration nur Millionäre und Milliardäre in politische Führungspositionen beruft. Es ist eben so, dass sich Menschen, die eine breitere materielle Basis haben, in der Regel auch stärker in politischen Angelegenheiten engagieren, während diejenigen, die zu den unteren Lohngruppen gehören, eher politisch abstinent sind.
Es ist schwierig, hier Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Es ist jedenfalls beklagenswert in demokratietheoretischer Hinsicht. Aber ich denke, es ist bei uns in Deutschland nicht so, wie in den USA, wo bei jedem Präsidentenwechsel die Führungseliten aus dessen "Freundesbeziehungen" heraus neu berufen werden. Statt dessen haben wir hier in Deutschland die Tradition eines Fachbeamtentums, das dann die Ausschläge im Regierungshandeln bei einem eventuellen Regierungswechsel niedriger ansetzt.
domradio.de: Aber wenn so ein Satz eigentlich eher harmlos ist, warum wurde er denn dann gestrichen?
Schockenhoff: Das sind Debatten hinter verschlossenen Türen - dazu kann ich nichts sagen. Ich glaube, es ist auch wichtiger, sich auf die harten Fakten, die unbestreitbar sind, zu konzentrieren. Und dazu zählt, dass es in Deutschland eine erschreckend hohe Zahl von sogenannter verdeckter Armut gibt. Das sind Menschen, die sich nicht offen zu sozialer Armut und Ausgrenzung bekennen, die aber faktisch davon betroffen sind. Das sagen etwa die beiden großen kirchlichen Hilfsorganisationen Caritas und Diakonie übereinstimmend.
Und man kann auch sehr genau Personengruppen angeben und unterscheiden, die davon betroffen sind: Das ist einmal die große Gruppe von Alleinerziehenden, das sind Kinder, die in kinderreichen Familien leben und das sind alte Menschen. Das ist etwas sehr beunruhigendes, weil sich dieser Prozentsatz in den letzten Jahren auch in Zeiten guter Konjunktur nicht etwa verringert hat, sondern tendenziell ansteigt. Und das ist Grund zur Besorgnis.
domradio.de: Welche Möglichkeit haben denn dann die Personengruppen, die von Armut betroffen sind, politisch Einfluss zu nehmen?
Schockenhoff: Zunächst einmal darf man nicht die Augen davor verschließen. Und es genügt auch nicht, nur Ursachen der Armut zu analysieren. Es ist sicher wichtig, dass man das auch auf einer wissenschaftlich fundierten Basis tut. Aber es muss auch politische Konzepte geben, die sich dem wirkungsvoll entgegensetzen.
Das ist nicht allein das Steuerungsinstrument des Mindestlohns, sondern zum Beispiel auch umfangreiche Formen der Familienförderung. In der Familienpolitik ist die tatsächliche Unterstützung von Familien - gerade auch von kinderreichen Familien - in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgefahren worden. Da ist dringender Bedarf für eine Korrektur vorhanden.
domradio.de: Aber, wenn wir nochmal auf den Eingangspunkt zurückkommen: Gibt es nicht doch eine Gefahr, dass Politik zu elitär wird, wenn sie zu viel von Menschen mit hohem Einkommen bestimmt wird?
Schockenhoff: Das ist sicherlich eine Gefahr. Demokratie lebt von der Beteiligung möglichst weiter Bevölkerungskreise. Das setzt auch voraus, dass möglichst alle Schichten daran beteiligt sind. Dass das wünschenswert ist, ist keine Frage. Es ist allerdings sehr schwierig, von der Politik abstinente Bevölkerungskreise zur tatsächlichen Teilnahme zu aktivieren.
domradio.de: Meinen Sie denn dann andersherum betrachtet, ist es auch gefährlich, über Eliten zu diskutieren, weil man dann vielleicht gerade eine Spaltung zwischen Arm und Reich herbeiredet?
Schockenhoff: Dieses Verständnis von politischer Korrektheit halte ich auch für gefährlich. Denn die Menschen haben ein genaues Gespür für Transparenz und für Glaubwürdigkeit. Und das 'Belehrt werden' von oben - im Sinne von: "Über das, was aus der Sicht einer funktionierenden Demokratie als erwünscht gilt, darf gesprochen werden, über alles andere nicht" - das halte ich für verhängnisvoll. Weil es nämlich den Eindruck vermehrt, die Politik funktioniere doch nach eingespielten Regeln, die in abgekarteten Kreisen ausgehandelt würden und es gebe keinen wirklichen, offenen politischen Meinungsstreit.
Das Interview führte Heike Sicconi.