"Münchner Appell" fordert fair gestaltete Arbeitsmigration

Hilfe für Deutschland und wachsendes Elend im Heimatland

Immer schon sind Menschen aufgebrochen, auf ein besseres Leben hoffend. Welche Herausforderungen eine faire Arbeitsmigration an Länder und Gesellschaften stellt, damit hat sich der Renovabis-Kongress in München befasst.

Autor/in:
Barbara Just
Bauarbeiter rühren mit einem Bleistift in ihrem Kaffee (KNA)
Bauarbeiter rühren mit einem Bleistift in ihrem Kaffee / ( KNA )

"Albanien", sagt Schwester Relindis Vossel, "ist ein Land, über das Touristen oft staunen." Sie sähen gute Straßen, viele neue und auch schöne Häuser sowie große Hotelanlagen mit Traumstränden. Was die Urlauber nicht vor Augen bekämen, sei der Alltag der Menschen; von jenen, die dageblieben, nicht in den Westen gegangen seien - die Kinder und die Alten.

Im äußersten Süden des Landes suchen der Statistik zufolge inzwischen zwei Drittel der Bevölkerung im Ausland ihr Glück. Gründe gibt es viele. Vor allem die geringen Zukunftsperspektiven in der Heimat.

Das hat Folgen für Jung und Alt, wie die 1956 in Eppendorf im Teutoburger Wald geborene Franziskanerin aus ihrer Sozialarbeit zu schildern weiß. Da ist der zehnjährige Junge, dessen Eltern geschieden sind, und der bei der Oma aufwächst. Jüngst klingelte er bei den Schwestern und fragte: "Kann ich nächstes Jahr zu Eurer Hausgabenhilfe kommen?"

Ein anderes Mal jammert der 80-jährige Ex-Direktor des Gymnasiums, das tägliche Schachspielen sei nicht mehr so lustig; es fehlten die Gegner. Zuhause wartet seine Frau, mit deren Pflege er überfordert ist. Beide Söhne leben im Ausland. Von ihnen haben die Eltern schon lange nichts mehr gehört.

Debatte über Probleme und Chancen

"Aufbruch in ein besseres Leben? Herausforderungen faire Arbeitsmigration" lautete bis Donnerstag der Titel des 26. Internationalen Kongress Renovabis in München. Zwei Tage lang fand er in hybrider Form statt. Mehr als 200 Teilnehmende aus über 20 Ländern diskutierten die Probleme, aber auch die Chancen. Denn ohne Arbeitskräfte aus dem Osten brächen in Deutschland schon längst die öffentliche Versorgung und Wirtschaft zusammen, sei es im Lebensmittelbereich, in der Gastronomie oder der Pflege.

Kellner mit Gläsern auf einem Tablett / © Summer loveee (shutterstock)
Kellner mit Gläsern auf einem Tablett / © Summer loveee ( shutterstock )

Am Ende stand ein "Münchner Appell" mit der Forderung: "Schenken wir diesen Menschen, die wichtige, aber oft verkannte Leistungsträgerinnen und -träger unserer Gesellschaft sind, in unserem Alltag und in der persönlichen Begegnung mehr Anerkennung und Wertschätzung." Damit allein ist es nicht getan. Das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis ruft die Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Kirchen auf, Arbeitsmigration fairer zu gestalten.

Das müsse für die Menschen gelten, die nach Deutschland zum Arbeiten kämen, und für jene Länder im Osten Europas, in denen diese Arbeitskräfte fehlten.

Notwendig sei in erster Linie eine ordentliche Bezahlung der Menschen, die oft mit wenig Geld für ihre Arbeit abgefunden werden.

Gibt es eine Kompensation?

Weiter sprach sich der Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks, Thomas Schwartz, dafür aus, dass die deutsche Regierung jenen Länder, aus denen Arbeitskräfte kämen, finanzielle Leistungen für deren Ausbildung zukommen lassen sollte. Die Kroaten etwa, so Migrationsforscher Tado Juric, hätten 18 Milliarden Euro in die Ausbildung von Arbeitern investiert, die inzwischen nach Deutschland umgezogen seien.

Thomas Schwartz / © Dieter Mayr (KNA)
Thomas Schwartz / © Dieter Mayr ( KNA )

Juric' Vorschlag in Sachen Kompensation: Warum finanziert Deutschland nicht in Kroatien Schulen für Krankenschwestern? Fünf Jahre sollten diese dann im Heimatland arbeiten, danach könnten sie nach Deutschland gehen. Um grundsätzlich mehr Menschen im Land halten zu können, plädierte der Wissenschaftler, auf Homeoffice und Telearbeit zu setzen. Dafür müssten in manchen Gegenden aber erst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Im Übrigen gelte dies auch für andere EU-Länder wie Spanien.

Für die Menschen in der Ukraine ist zur Migration aus wirtschaftlichen Gründen der Krieg dazu gekommen. 6,6 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, seien auf der Flucht, sagte Andrij Waskowycz. Der Leiter des Büros für die Koordinierung humanitärer Initiativen des Weltkongresses der Ukrainer erinnerte daran, dass Russland bewusst auf Migration als "politische Waffe" setze, um die Ukraine zu zerstören. Die Gefahr sei auch groß, dass, wer lange im Ausland lebe, später nicht mehr heimkehre. 40.000 Frauen seien erst jüngst mit ihren Kindern wieder über die polnische Grenze zurück in die Heimat gegangen. Denn dort begann am Donnerstag das neue Schuljahr, das sie ihrem Nachwuchs ermöglichen wollten.

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
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Quelle:
KNA