domradio.de: Warum feiern wir überhaupt Karneval in Köln?
Marita Dohmen (Autorin, Kolumnistin und Mundart-Expertin): Karneval hat es schon zur Zeit der Heiden und der Römer gegeben. Da wurde auch schon gefeiert. Der Grund war eigentlich immer - und ist es heute auch noch -, dass man in eine andere Rolle schlüpft. Bei den Römern war es so, dass die Herrschaften mit den Knechten und die Sklaven sowie Sklavinnen mit ihren Herrinnen getauscht haben. Dann wurde eine andere Welt gefeiert. Das hat sich lange hingezogen, denn in Köln gab es zur Römerzeit auch viele Götter. Jede Gottheit hatte ihre eigene Prozession und jede Prozession wurde durch eine Gruppe von maskierten Leuten angeführt. Das war so etwas wie der erste "Rosenmontagszug". Da es viele Götter gab, gab es auch viele "Rosenmontagszüge" in Köln.
Im vierten Jahrhundert hat sich das Christentum dann etabliert. Um die erste Jahrtausendwende hat die Kirche dann den Karneval sehr für sich vereinnahmt und die heidnischen Bräuche erschienen nun auf einmal teuflisch. Sie wurden dann ausgemerzt, durch christliche Bräuche ersetzt oder - falls sie geblieben sind - mit christlichen Wurzeln versehen, die ursprünglich anders waren. Seitdem feiern wir ununterbrochen. Dass es in Köln definitiv Karneval gibt, haben wir in einem städtischen Eidbuch gefunden. Dort steht drin, dass der Rat niemals zu Fastnacht einer Gesellschaft Unterstützung aus städtischen Mitteln gewähren soll. Deshalb wissen wir definitiv, dass mindestens seit dem Jahr 1341 in Köln Karneval gefeiert wird.
domradio.de: Man würde ja eigentlich, wenn man sich in der Kölner Geschichte nicht auskennt, denken, dass es einen Widerspruch zwischen dem heidnischen "Über-die-Strenge-Schlagen" und dem Katholizismus gibt, oder?
Dohmen: Das sehe ich nicht so. Kirche ist doch nicht unbedingt unlustig. Es wurden ja auch innerhalb der Kirche Rollen getauscht. Priester und Bischöfe tauschten die Rollen. Oder man ließ einen Bischof falsch herum auf einem Esel reiten. Die Kirche hat da immer mitgefeiert.
domradio.de: Sieht man die enge Verbindung von Karneval und Kirche in Köln auch darin, dass das Dreigestirn jedes Jahr den Kardinal besucht?
Dohmen: Das ist ganz wichtig. Es ist auch wichtig, dass der organisierte Karneval, obwohl er einen kleinen Beigeschmack hat, erst im Januar beginnt. Nur das ist echter Kölner Karneval, denn er ist ursprünglich mit der Kirche verbunden. Bevor das Dreikönigsfest nicht war, gibt es keinen offiziellen Karneval.
domradio.de: Was hat es dann mit dem 11.11. auf sich?
Dohmen: Das ist so etwas wie eine Generalprobe. Wenn man einmal überlegt, dass nach dem 11.11. von karnevalistischer Seite auch nichts groß mehr passiert, wird dies vielleicht deutlicher. Weil "Elf" die Narrenzahl ist, wird dieser Tag besonders gefeiert. Das hat noch einen anderen Ursprung. Als es noch viel Landwirtschaft gab, endete das landwirtschaftliche Jahr im November. Das neue Landwirtschaftsjahr begann dann erst wieder im Februar.
domradio.de: Köln wäre ohne den Dom nicht vorstellbar. Welche Rolle spielt denn der Dom für den Karneval?
Dohmen: Wenn man davon ausgeht, dass der Karneval eng mit der Kirche verbunden ist, dann könnte sich diese Frage fast erübrigen. Der Dom ist Kirche. Deshalb ist es auch ganz wichtig für den organisierten Karneval, dass das Dreigestirn jedes Jahr im Pontifikalamt gesegnet wird. Erst danach kommt die Prinzenproklamation. Die Einsegnung vorher ist am allerwichtigsten.
Wenn man jetzt auf den Rosenmontagszug blickt, dann sind die Vorbereitungen weitestgehend abgeschlossen. Die Wagen sind gebaut und die ersten Bilder wurden der Presse vorgestellt. In der Woche vor dem Rosenmontag kommt dann immer das Richtfest. Bei diesem Richtfest werden die Wagen das erste Mal bis auf die Wagen, die geheim bleiben, präsentiert. Dazu kommen sowohl ein katholischer als auch ein protestantischer Priester und segnen den Zug. Sonst geht der nicht los. Also: Kirche und Karneval sind überhaupt nicht zu trennen.
domradio.de: Der Dom ist ja für viele mehr als nur eine Kirche, sondern eine Art Identifikation für die Kölner, oder?
Dohmen: Ja, natürlich. Das gilt für alle Kölner. Viele bekommen schon Tränen in den Augen, wenn sie nur drei Tage verreist waren und dann wiederkommen und den Dom wiedersehen. Ich glaube nicht, dass da ein Unterschied zwischen allen Kölner, also auch denjenigen, die keine Karnevalisten sind, und denen, die Karneval feiern, besteht. Der Dom ist Köln. Deswegen taucht er auch in vielen Karnevalsliedern auf. Den muss man einfach besingen. Er steht für das Heimatgefühl. Er wird ja auch in den Karnevalsliedern nicht als Kirche besungen. Er ist einfach der Dom.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.