Zwischen Berlin und Ankara ist der Ton in den vergangenen Wochen schärfer geworden. So forderte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Türkeistämmigen auf, bei der Bundestagswahl am 24. September ihre Stimmen nicht SPD, Grünen oder Union zu geben. Diese Parteien seien "Feinde der Türkei". Ob Erdogans Parolen bei den schätzungsweise rund 1,5 Millionen muslimischen Wahlberechtigten - die Mehrheit von ihnen hat Wurzeln in der Türkei - verfangen, lässt sich schwerlich sagen. Wie überhaupt vieles Spekulation ist, was diese Wählergruppe umtreibt.
Themenkatalog aus 30 Fragen
Über einen Kamm scheren sollte man sie nicht; valide Untersuchungen sind Mangelware, wie der Wahlforscher Andreas Wüst, External Fellow am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, unlängst betonte. Umso interessanter sind da die am Montag von der Deutschen Muslim Liga zusammen mit der "Islamischen Zeitung" und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) veröffentlichten Wahlprüfsteine. Der aus 30 Fragen bestehende Katalog erlaubt einen Einblick in die Themen, die zumindest Teile der Community umtreiben.
In den Antworten der großen Parteien wiederum deuten sich jene Debatten an, die auch in der kommenden Legislaturperiode eine Rolle in der politischen Debatte spielen könnten. Neben den im Bundestag vertretenen Parteien - CDU, CSU, SPD, Linke und Grüne - äußerte sich auch die FDP. "Einzige Partei, die drei Wochen lang trotz mehrfacher Nachfrage per E-Mail und Telefon nicht reagierte, war die AfD", so der Zentralrat.
Keine Annäherung zwischen ZMD und AfD
Im vergangenen Jahr war es zu einem vielbeachteten Treffen zwischen dem Verband und der islamkritischen Partei gekommen. Das Gespräch wurde seinerzeit nach einer Stunde "ohne Annäherung" abgebrochen. Im April warnte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek vor einer Radikalisierung bei der AfD. Die Partei sei auf dem Weg, "die NPD komplett aufzusaugen".
Die Angst vor Fremden- und Islamfeindlichkeit bestimmt auch einen Teil des jetzt veröffentlichten Fragenkatalogs. Es findet sich darin Kritik an der juristischen Aufarbeitung der NSU-Mordserie und an einem mangelnden Schutz von Moscheen vor Angriffen. Darüber hinaus verraten manche Formulierungen einiges über die Befindlichkeit der Fragesteller: "Wie kann es der Politik beim Themenkomplex Islam und Muslime gelingen, der vorurteilsbehafteten öffentlichen Mehrheitsmeinung und einschlägiger reißerischer Medienberichterstattung einen rationalen Kontrapunkt entgegen zu setzen?"
Von Kopftuch-Debatte bis Jemen-Krieg
Das Themenspektrum der Wahlprüfsteine reicht von der Kopftuch-Debatte bis zum Krieg im Jemen. Die Antworten der Parteien lassen, wie in Wahlkampfzeiten üblich, Spielräume für Interpretationen. Die Union setzt auf den Fortgang der Deutschen Islamkonferenz. "Wir erwarten greifbare Erfolge und werden die Dialogpartner dazu verpflichten." Die SPD lehnt - ohne auf die laufenden Diskussionen um Burka und Nikab, den Ganzkörperschleier, einzugehen - ein Verbot des Tragens religiöser Symbole für Schülerinnen ab.
Die Linke verlangt die staatliche Anerkennung von jüdischen und muslimischen Feiertagen. Bei der Diskussion um die Erlaubnis des bei Muslimen und Juden praktizierten rituellen Schlachtens, Schächten genannt, sehen die befragten Parteien keinen weiteren Regelungsbedarf. Bei der Beschneidung von Jungen heißt es bei den Grünen, hierbei handle es sich um eine "sensible Abwägung von Grundrechten". Sollte das Thema erneut auf die Agenda des Bundestags kommen, hätten die Abgeordneten ohne Fraktionszwang zu entscheiden.
Klare Aussagen gefordert
Die FDP wünscht sich eine bessere Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus und außerdem einen grundlegenden Wandel in der islamischen Verbändelandschaft: weniger landsmannschaftlich organisiert und nicht, wie im Falle der deutsch-türkischen Ditib, aus dem Ausland finanziert. Und dann wäre da noch der letzte Satz in den Antworten der SPD, augenscheinlich formuliert von Kanzlerkandidat Martin Schulz. "Muslime und der Islam sind Teil unseres Landes." Das klingt ein bisschen nach dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Der hatte seinerzeit gesagt: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Was das genau heißt? Darüber wird es auch nach der Wahl Debatten geben.