Eigentlich hätte das Fest schon längst Vergangenheit sein müssen. Aber die Corona-Pandemie hat den Sieben-Jahres-Rhythmus der traditionellen Aachener Heiligtumsfahrt zerstört. Statt schon 2021 erwartet die Kaiserstadt nun in diesem Jahr rund 100.000 Pilgerinnen und Pilger. Vom 9. bis 19. Juni werden wieder die vier Tuchreliquien dem Marienschrein im Aachener Dom entnommen und den Wallfahrern gezeigt – als Zeichen, die auf Jesus Christus deuten.
"Entdecke mich"
Das Motto des elftägigen Glaubensfestes lautet "Entdecke mich" – ein Aufruf, der sich aus der Frage Jesu an seine Jünger ableitet: "Für wen haltet ihr mich?". Das Aachener Domkapitel als Gastgeber will dazu einladen, zu Christus einen neuen Zugang zu bekommen und das gemeinsame Glauben zu erleben. "Dass die Leute entdecken, dass der gemeinschaftliche Glaube trägt", wünscht sich Dompropst Rolf-Peter Cremer.
Bei den Tuchreliquien, die Karl der Große im Jahr 799 in seine Residenzstadt brachte, handelt es sich der Überlieferung nach um Stoffe aus Jerusalem: das Kleid Mariens aus der Heiligen Nacht, Windeln Jesu, sein Lendentuch und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Die Heiligtumsfahrt rund um die Reliquien setzte dann 1349 ein.
Echtheit spielt keine Rolle mehr
Der mittelalterliche Glaube, wonach von ihnen heilende Kräfte ausgehen, hat mit dem heutigen Verständnis der Wallfahrt aber nichts mehr zu tun. Auch die Frage der Echtheit spielt keine Rolle. Vielmehr sollen die Tücher als Symbole auf das Leben Jesu hinweisen und die Pilger mit ihm im übertragenen Sinne geistlich auf Tuchfühlung gehen. Das gilt auch für die Heiligtumsfahrt in Kornelimünster wenige Kilometer südlich von Aachen, die nahezu parallel läuft. Dort werden Schürztuch, Grabtuch und Schweißtuch Jesu verehrt.
Während der elf Tage gibt es täglich mehrere Gottesdienste, zu denen sich Bischöfe und Kardinäle aus dem In- und Ausland angesagt haben. Eröffnet wird die Heiligtumsfahrt am 9. Juni mit der sogenannten Erhebungsfeier im Aachener Dom mit Ortsbischof Helmut Dieser und Dompropst Cremer, bei der die Tuchreliquien dem Schrein entnommen werden. Am folgenden Sonntag (11. Juni) wird der Vertreter des Papstes in Deutschland, Nuntius Nikola Eterovic, zur Pilgermesse auf dem Katschhof neben dem Dom erwartet. Dem letzten großen Pilgergottesdienst am Sonntag, 18. Juni, steht traditionell der Kölner Erzbischof, in diesem Jahr Kardinal Rainer Maria Woelki, vor.
Freier Eintritt für alle
Spezielle Angebote richten sich an Frauen, Kinder und Jugendliche, Biker oder kranke Menschen. Zudem haben die Planer ein Kulturprogramm aufgelegt – mit Vorträgen, Ausstellungen und Kunstaktionen. Das Programm richtet sich an jeden, egal ob Pilger, Tourist oder Aachener. "Wir nehmen keinen Eintritt – wir wollen mit der Heiligtumsfahrt auch zeigen, dass die katholische Kirche feiern und einladen kann", so Cremer.
Der Künstler Garvin Dickhof zum Beispiel will aus mitgebrachten Stoffen der Pilger – die bei der Fluthilfe getragene Jeans oder den selbstgenähten Mundschutz – einen vier Meter hohen Stoffball zusammensetzen, der durch die Aachener Innenstadt rollen soll.
Kunst, Musik und Kabarett
Schlager-Ikone Guildo Horn und seine Band "Die Orthopädischen Strümpfe" veranstalten einen Mitsing-Abend. Kabarettist Jürgen Beckers alias Jürgen B. Hausmann lässt unter der Überschrift "Entjecke mich" Humor auf Glaube und Kirche treffen. Fürs Auge bietet die Heiligtumsfahrt Bilder des kolumbianischen Künstlers Freddy Sanchez Caballero, den die Gesellschaftspolitik seines Landes bewegt. Der Künstler Uwe Appold hat Bildflächen des Hochaltars der Aachener Citykirche neu gestaltet.
Auch wenn die Reliquienverehrung eine katholische Tradition ist, bietet die Heiligtumsfahrt ökumenische Akzente. Dazu gehört eineTaufgedächtnisfeier, an der neben Bischof Dieser der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, und der Metropolit der griechisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, Erzbischof Augoustinos Labadarkis, teilnehmen werden.
Im Zeichen der Nachhaltigkeit
Den Organisatoren betonen ihre ökologische Verantwortung bei der Heiligtumsfahrt, der sie mit pragmatischen Lösungen nachkommen: Im Verpflegungszelt gibt es regionale Produkte, an Trinkwasserbrunnen können die Menschen sich Wasser in die eigene Flasche füllen und das Holz der Altarbühne soll wiederverwertet werden. Außerdem rufen sie dazu auf, möglichst umweltfreundlich nach Aachen zu kommen – also zu Fuß, auf dem Rad oder per Bus und Bahn.
Eine getrübte Öko-Bilanz wäre Dieser und Cremer nicht recht, wenn sie in der Verschließungsfeier am 19. Juni die Tuchreliquien wieder im Schrein bergen. Zum nächsten Mal sollen sie 2028 erneut hervorgeholt werden – und damit in der ursprünglichen Sieben-Jahres-Taktung.