Nahost-Experte Brakel zum bevorstehenden Wahlkampf in Israel

"Netanjahus Image hat Schaden genommen"

Zum ersten Mal ist in Israel eine Regierungsbildung komplett gescheitert, das Parlament hat sich nach wenigen Wochen selbst aufgelöst. Was das für das Land bedeutet und welche Perspektiven es gibt, erläutert Israel-Experte Alexander Brakel. 

Vor der Parlamentswahl in Israel / © Ariel Schalit (dpa)
Vor der Parlamentswahl in Israel / © Ariel Schalit ( dpa )

KNA: Herr Brakel, waren das Scheitern der Regierungsbildung und die Rückkehr an die Wahlurnen unvermeidlich?

Alexander Brakel (Leiter des Israel-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung): Das können nur die Verhandlungspartner selbst beurteilen. Der zugrundeliegende Konflikt, die Frage nach der Wehrpflicht für die Ultraorthodoxen, hat eine lange Vorgeschichte und verweist auf die wachsenden Spaltungen in der israelischen Gesellschaft. Eine Lösung dieses Konflikts erfordert Kompromissbereitschaft beider Seiten, und diese war offenbar nicht gegeben.

Neuwahlen hingegen wären sehr leicht zu vermeiden gewesen. Nach israelischem Gesetz hätte der Präsident nach dem Scheitern der Regierungsbildung einen anderen Knesset-Abgeordneten mit der Regierungsbildung betrauen können. Das hätte beispielsweise der Vorsitzende der zweiten großen Fraktion, Benny Gantz, oder auch ein anderer Likud-Politiker sein können; nur nicht Netanjahu. Weil Netanjahu das aber auf jeden Fall vermeiden wollte, hat er die Selbstauflösung der Knesset vorgeschlagen, und die Mehrheit der Abgeordneten ist diesem Vorschlag gefolgt.

KNA: Was bedeutet das für Israel?

Brakel: Zunächst einmal bedeutet es eine Verlängerung des legislativen Stillstands. Aber das kennt man auch aus anderen Ländern. Auch in Deutschland hat es nach der vergangenen Bundestagswahl viele Monate gedauert, bis endlich eine neue Regierung im Amt war.

KNA: Was bedeutet das für Netanjahu? Wie angeschlagen ist er?

Brakel: Netanjahus Image als begnadeter Politiker, dem eigentlich alles gelingt, hat sicherlich Schaden genommen. Nun kommt es darauf an, ob er seine Partei erneut zum Wahlsieg führen wird und ob es ihm anschließend gelingt, eine Regierungskoalition zu bilden.

Schwerwiegender dürften für ihn jedoch die juristischen Konsequenzen sein: Er steht unter Korruptionsverdacht. Der Generalstaatsanwalt wird nach der Anhörung Netanjahus entscheiden, ob er Anklage gegen ihn erhebt. Netanjahu wollte sich durch eine Gesetzesänderung dauerhaft vor der Strafverfolgung schützen. Wegen der Neuwahlen wird es ihm nun nicht gelingen, das entsprechende Gesetz vor seiner staatsanwaltschaftlichen Anhörung zu verabschieden.

KNA: Welche Dynamik wird sich jetzt entfalten, was erwarten Sie für den Wahlkampf?

Brakel: Zunächst einmal dürfen wir uns auf einen polarisierenden Wahlkampf einstellen, in dem sich Netanjahu auch gegen seinen langjährigen Verbündeten, Avigdor Lieberman, stellen dürfte. Ihm gibt er die Schuld am Scheitern der Koalitionsverhandlungen. Alles andere wird man nach der Wahl sehen, neue Bündnisse sind aber nicht ausgeschlossen. Kurz vor dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen hat Netanjahu gestern die Arbeitspartei umworben. Er war folglich bereit, eine linke Partei in ein ansonsten sehr rechtes Regierungsbündnis aufzunehmen. Das zeigt seine enorme Flexibilität.

KNA: Erwarten Sie von den Wahlen im September ein völlig anderes Ergebnis als bei denen vom 9. April?

Brakel: Ich erwarte leichte Verschiebungen zwischen den Parteien, aber kein völlig anderes Ergebnis. Einschränkend muss ich hinzufügen, dass es für eine verlässliche Prognose noch viel zu früh ist. Der Wahlkampf hat noch nicht einmal begonnen.

KNA: Erwarten Sie Veränderungen im Wählerverhalten, die auch die Opposition (Gantz) an die Spitze bringen könnte, oder ist das konservative Lager so stabil, dass an ihm nichts mehr vorbeigeht?

Brakel: Seit 1977 hat der Likud nur drei Wahlen verloren. Dabei einmal gegen Kadima, eine Abspaltung des Likud. Auch alle Umfragen zeigen, dass es eine rechte Mehrheit in der israelischen Bevölkerung gibt. Selbst wenn es Gantz gelingen sollte, einige enttäuschte Likud-Wähler für sich zu gewinnen und damit am Likud vorbeizuziehen, ist es unwahrscheinlich, dass eine Regierungsbildung links vom Likud möglich sein wird. Seit gestern Nacht sind aber die Chancen für ein Bündnis zwischen Likud und Blau-Weiß, der Partei von Gantz, größer geworden.

Das Interview führte Johannes Schidelko. 


Quelle:
KNA