Netzwerk hilft ukrainischen Museen bei Rettung von Kulturgut

Russischer Angriff hat Kulturinstitutionen "kalt erwischt"

Die Ukraine hat rund 400 Museen und 3.000 Kulturstätten, darunter sieben Welterbestätten. Nun sind sie vom Krieg bedroht. Ein Netzwerk aus Deutschland hilft ukrainischen Kulturinstitutionen, ihre Kunstschätze zu retten.

Autor/in:
Anna Fries
Ruiniertes Museum in der Stadt Trostyanets / © Rabizo Anatolii (shutterstock)
Ruiniertes Museum in der Stadt Trostyanets / © Rabizo Anatolii ( shutterstock )

Die Ukraine kämpft nicht nur um das Leben ihrer Bürger, sondern auch um ihre Kunst. Russland greift gezielt auch Kulturstätten an oder raubt Museen aus. "Die wertvollen Bestände aus Mariupol wurden als Raubgut verschleppt", sagt der Mainzer Kunsthistoriker Matthias Müller. Im Umland von Mariupol und in Charkiw und aktuell im Donbass seien Museen, Archive und Bibliotheken angegriffen und zerstört worden.

Auf UNESCO-Welterbestätten wie beispielsweise das historische Zentrum in Lwiw oder das Höhlenkloster in Kiew scheint das russische Militär ebenso wenig Rücksicht zu nehmen wie auf Glasfenster, Statuen oder Freilichtmuseen. Im Gegenteil: Experten werfen Russland vor, absichtlich ukrainische Kultur und Identität zu zerstören.

Nationalmuseum Lemberg (Lviv) / © anmbph (shutterstock)
Nationalmuseum Lemberg (Lviv) / © anmbph ( shutterstock )

Neu gegründetes Netzwerk

Hilfe zum Schutz des Kulturguts in der Ukraine kommt unter anderem aus Deutschland, vom neu gegründeten "Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine". Was im März mit einem spontanen Transport von Spezialfeuerlöschern, Brandschutzdecken und Verpackungsmaterial anfing, entwickelte sich zu wöchentlichen Lieferungen.

Das Netzwerk, zu dem unter anderem der Deutsche Kunsthistorikerverband, Stiftungen, eine Speditionsfirma und der Feuerwehrverband Rheinland-Pfalz gehören, hält per Videokonferenz Kontakt zu Kultureinrichtungen in der Ukraine, sammelt Material und Spenden und lässt sie mit LKW, Bussen oder der Bahn in die Ukraine bringen, wie Müller berichtet. Partner in der Ukraine sind große Häuser wie das Lemberger oder Kiewer Nationalmuseum, aber auch viele kleine Museen.

Kisten, Folie, Klebeband, Feuerlöscher, brandhemmende Lacke...

Der russische Angriff habe Kulturinstitutionen "kalt erwischt", erklärt der Direktor des Jüdischen Museums im westukrainischen Czernowitz, Mykola Kuschnir. Sammlungen hätten weder schnell evakuiert noch ordentlich gesichert werden können. Kaum ein Museum habe Material zum Verpacken der Objekte oder feuersichere Kisten gehabt.

Das Netzwerk Kulturgutschutz verschickt nun palettenweise Klimakisten, Kartonagen, Luftpolsterfolie, Klebeband, Spezialfeuerlöscher, Holzkisten, Kettensägen; auch brandhemmende Speziallacke, die beispielsweise Holzkirchen vor Feuer schützen sollen oder Holzplatten, um Kirchenfenster vor Splittern abzuschirmen.

Bis das Material von drei Lagerplätzen in Deutschland die Ziele in der Ukraine erreicht, dauert es. Die Logistik organisiert Klaus Hillmann, dessen Spedition Kunst durch ganz Europa transportiert.

Vieles müsse improvisiert werden, es fehle an Routinen in der Sondersituation.

Kein Schutz vor Bomben

Hillmann berichtet von zeitraubender Bürokratie bei Zollabfertigungen. An den Grenzen bildeten sich lange Schlangen, LKW steckten teilweise tagelang dort fest. In der Ukraine sei der Weg von "Kriegswirren" gezeichnet. Benzin und Diesel seien, wenn überhaupt vorhanden, teuer. Und in staatlichen Stellen fühle sich zu oft niemand verantwortlich – was die Arbeit der Ehrenamtlichen erschwere.

In der Ukraine hätten Museumsmitarbeiter Objekte an geheimen Orten in Bunkern, Bergwerkstollen oder entlegenen Häusern versteckt und freistehende Skulpturen auf Plätzen eingepackt, berichtet Müller und betont: "Das sind natürlich relative Sicherheiten." Bei massiver Bombardierung ließen sich die Objekte kaum schützen.

Lange Staus an der polnisch-ukrainischen Grenze / © Vitaliy Kyrychuk (shutterstock)
Lange Staus an der polnisch-ukrainischen Grenze / © Vitaliy Kyrychuk ( shutterstock )

Schätze bleiben im Land

Dennoch wollten die ukrainischen Partner die Kunstschätze im Land behalten. Der Transport außer Landes sei zu gefährlich. Drei Fahrzeuge des kooperierenden Busunternehmens seien in Kiew zerbombt worden, gibt Müller zu bedenken. Zudem bestünden Sorgen, dass Sammlungen nicht vollständig zurückkehren – so sei es beispielsweise einigen Kiewer Museen nach dem Zeiten Weltkrieg ergangen.

"Wir helfen auch, weil unsere ukrainischen Kollegen mit den Werken eine eigene nationale Identität verbinden", betont Müller. Vor dem Krieg hätten Museen selbstverständlich hybride nationale Identitäten – russisch, polnisch, deutsch und ukrainisch – abgebildet. "Jetzt muss man sich bekennen." Dazu komme das erklärte Ziel der russischen Armee, die kulturelle Überlieferung der Ukraine auszulöschen und Ansätze einer eigenen nationalen Identität zu zerstören. "Das provoziert Gegenreaktionen", befürchtet er – und hofft zugleich, dass das Bewusstsein vom gemeinsamen kulturellen Erbe erhalten bleibt.

Quelle:
KNA