Vor 75 Jahren kehrten die ersten deutschen Gefangenen zurück

Neuanfang auch für Feldgeistliche

Sehnsüchtig erwartet, doch vor große Veränderung gestellt. Vor 75 Jahren kehrten die ersten Deutschen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Auch heimkehrende Militärpfarrer mussten sich wieder neu zurechtfinden.

Autor/in:
Johannes Senk
Ostfeldzug der Wehrmacht / © Buss (dpa)
Ostfeldzug der Wehrmacht / © Buss ( dpa )

Ein Umschlagbahnhof bei Frankfurt an der Oder - in endlos scheinenden Schlangen reiht sich Zugwaggon an Zugwaggon. Sie stehen bereit für tausende deutsche Soldaten; jedoch nicht, um sie an die Front zu schicken, sondern im Gegenteil, um sie wieder nach Hause zu bringen - aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Es sind die ersten Heimkehrer von der ehemaligen Ostfront, die im Juli 1946 die Auffangstelle Gronenfelde passieren. Im von den Sowjets verwalteten Lager erhalten sie Notverpflegung und medizinische Versorgung. Viele der Heimkehrer sind in schlechtem gesundheitlichen Zustand wegen der teils harten Haftbedingungen der Kriegsgefangenschaft.

"Deutschland grüßt Euch!"

Doch werden sie nun sehnlichst erwartet: "Deutschland grüßt Euch!" steht auf einem Transparent über dem Eingangstor zum Lager. Über drei Millionen deutsche Soldaten sollen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten sein. Davon kehrten knapp zwei Millionen früher oder später wieder in die Heimat zurück.

Bis 1950 war Gronenfelde der zentrale Knotenpunkt, von dem die Rückkehrer verteilt wurden. Insgesamt passierten in dieser Zeit knapp 1,2 Millionen ehemalige Kriegsgefangene das Lager. Vom Auffanglager aus verteilten Züge die Ankömmlinge über das ganze Land in ihre Heimatstädte zurück.

Unter den frühen Heimkehrern waren jedoch nicht nur Soldaten. Auch Priester kamen auf diesem Weg zurück in ihre Heimat. Als Feldgeistliche hatten sie mitten unter den kämpfenden Einheiten gewirkt und waren ebenso wie diese in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten.

Mit der Wehrmacht bis nach Stalingrad

So traf 1946 auch der katholische Pfarrer Guido Aix im Lager Gronenfelde ein. Als Militärseelsorger hatte der aus Düsseldorf stammende Geistliche zu Beginn des Krieges unter anderem in Bukarest und Dänemark gewirkt, bevor er an die Ostfront verlegt wurde und mit der Wehrmacht bis nach Stalingrad kam.

Dort geriet er in Kriegsgefangenschaft. Im Gefangenenlager wurde den Soldaten jegliches Hab und Gut abgenommen, das für die Sowjets von wert war. Ausnahmen wurden jedoch für Priester gemacht, die im Lager teilweise auch weiterhin ihren Seelsorgedienst verrichteten konnten - etwa auch im Lager gestorbene Kameraden bestatteten.

Die dafür notwendigen Utensilien bewahrte Aix in seinem Messkoffer auf, den er durch die Zeit der Gefangenschaft retten konnte und mit dem er nach der Freilassung auch in Gronenfelde ankam: zwei Kelche, ein Holzkreuz, ein Hostienteller, ein Altartuch und ein gelb-schwarzer Divisionswimpel.

Die Tagebücher des Priesters

Heute befinden sich die Gegenstände, wie auch die Tagebücher des Priesters, im Archiv des Erzbistums Köln - auf ihnen noch immer der Staub von Front und Gefangenenlager. Auch wenn die Öffentlichkeit in Deutschland die Heimkehrer begrüßte, war deren Situation nicht unbedingt einfach.

Zwar war der Briefverkehr mit der Heimat eingeschränkt möglich gewesen, dennoch wussten viele nicht genau, was sie in der vom Krieg verwüsteten Heimat erwartete. Hinzu kamen die Fälle jener, die ursprünglich östlich der Oder belebt hatten, im nun zu Polen gehörenden Gebiet allerdings keine Aufnahme mehr fanden.

Auch Pfarrer Aix stand zunächst vor der Frage, wie es nun weitergehen sollte. Vor seiner Zeit als Militärpfarrer war er dem Bistum Berlin unterstellt gewesen. Als Seelsorger in der "Wandernden Kirche" betreute er Katholiken, die - etwa im Zuge des Arbeitsdienstes - in die ostdeutsche Diaspora hatten abwandern müssen.

Doch existierten nach der Niederlage des Reichs diese Strukturen nicht mehr. Aix entschied sich deswegen für das wohl Naheliegende und kehrte in seine Heimat zurück. Über Stationen in Thüringen und Niedersachsen - teils im Zug, teils zu Fuß - kam er schließlich in Düsseldorf an.

Entlastungszeugnis und Entnazifizierung

Nachdem die britische Militärregierung ihm im Dezember 1946 sein Entlastungszeugnis der Entnazifizierung ausstellte, konnte Aix wieder in den Dienst übernommen werden. Grundsätzlich gab es da wenig Probleme für Priester. Doch brach für ihn damit ein neues Kapitel an.

Denn statt in einer Kirchengemeinde setzte ihn das Erzbistum Köln als Religionslehrer an Düsseldorfer Berufsschulen ein. Aus Mangel an geeignetem Personal, aber auch aus der Not heraus, die Heimkehrer versorgen und wieder in den Dienst nehmen zu müssen, wurden wohl nicht wenige ehemalige Militärgeistliche auf für sie zunächst fremden Posten eingesetzt.

Aix erhielt erst 1963 wieder eine ordentliche Pfarrstelle. Die Heimkehrer von 1946 hatten für die deutsche Bevölkerung eine große Bedeutung. Doch waren sie nur der erste Schritt in einer emotional geführten gesamtgesellschaftlichen Debatte.

Adenauers Einsatz

Die Rückkehr aller Kriegsgefangenen blieb eines der vordersten außenpolitischen Ziele des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Im sich verschärfenden Konflikt der Westmächte mit der Sowjetunion gestalteten sich die Verhandlungen mit Moskau zunehmend zäh.

Erst am 7. Oktober 1955 wurden im Zuge der sogenannten Heimkehr der Zehntausend auch die letzten verbliebenen Kriegsgefangenen nach Deutschland entlassen - beinahe zeitgleich erhielt Pfarrer Aix den heute nicht mehr existenten Ehrentitel eines Päpstlichen Geheimkämmerers verliehen.


Quelle:
KNA
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