Es ist das aktuell größte Glockenprojekt in Europa. Acht Glocken stehen derzeit im Seitenschiff des Magdeburger Domes. Neben der restaurierten Dominica aus dem Jahr 1575 sind es sieben neue Instrumente, die in den vergangenen Jahren hinzugegossen wurden und den Torso, der das Magdeburger Domgeläut zurzeit bildet, wieder zu altem Umfang bringen soll. Etwa zehn bis fünfzehn Glocken soll Deutschlands ältester gotischer Dom einst besessen haben, darunter die 200 Zentner wiegende Maxima aus dem Jahr 1468.
Unter Kaiser Otto dem Großen im Jahr 968 gleich als Erzbistum gegründet, war Magdeburg bis zur Reformation eines der wichtigsten Kirchenzentren im damaligen Reich. Mit der Reformation endete diese Zeit jedoch. Im Schmalkaldischen sowie dem Dreißigjährigen Krieg wurde auch der Glockenbestand der einstigen Bischofskirche mehr und mehr dezimiert und die Glocken zu Kanonen verarbeitet. Der heutige Geläutetorso besteht aus insgesamt fünf Glocken – eine davon als Schlagglocke für die Uhr – verschiedener Epochen, die sich auf Nordturm und Dachreiter verteilen. Der Südturm ist seit Jahrhunderten leer. Größtes Instrument ist die Susanne oder Osanna aus dem Jahr 1702 mit einem Gewicht von knapp 9 Tonnen.
Große Schwester für Susanne
Erste Bestrebungen, das Domgeläut wieder zu alter Größe zu bringen, gab es bereits im vorletzten Jahrhundert im Zuge der Instandsetzungsarbeiten des Domes. Doch erst 2018 wurde ein Verein gegründet, der das Glockenprojekt maßgeblich vorantrieb und Spendengelder einwarb. Vorangegangen waren Beratungen um Anzahl, Schlagtöne und Gestaltungskonzept der Glocken. In jedem Fall sollte wieder eine monumentale Großglocke als Nachfolgerin der untergegangenen Maxima entstehen, also der Susanne eine große Schwester hinzugefügt werden. Nach einigen Debatten, in denen unter anderem auch ein Instrument mit dem Schlagton c so tontief wie die Kölner Petersglocke vorgesehen war, entschieden sich die Verantwortlichen für ein tiefes d mit etwa 14 Tonnen Gewicht als Fundament. Sie wäre nach der Petersglocke die zweitschwerste Bronzeglocke Deutschlands.
Insgesamt acht neue Glocken sollen den vorhandenen historischen Bestand wieder zu einem Ensemble aus zwölf Läute- und einer Schlagglocke werden lassen, das dann als eines der größten Geläute Deutschlands und in Europa gelten darf. Das Konzept der Glockennamen und der zugehörigen Bibelzitate stammt aus der Feder des Landesbischofs der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, und Jörg Uhle-Wettler, die die beiden Dompredigerstellen innehaben. Auf Anraten des zuständigen Glockensachverständigen der Landeskirche wurde der Auftrag des Gesamtprojektes der in Neunkirchen in Baden ansässigen Glockengießerei Bachert erteilt. Nur diese sei in der Lage, eine 14 Tonnen schwere Glocke im traditionellen Lehmformverfahren zu gießen.
Erfahrungen mit großen Glocken
In der Tat hat die Gießerei Bachert einige prestigeträchtige Glocken und Geläute vorzuweisen, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Das Geläut der Dresdener Frauenkirche wurde ebenso bei Bachert gegossen wie die Ergänzungen der Geläute der Leipziger Nikolai- und Thomaskirche. Die große Glocke des Hamburger Michel stammt aus dem Hause Bachert wie auch viele Großglocken im süddeutschen Raum. An Erfahrung mangelt es dem Handwerksbetrieb, der zuvor in Karlsruhe ansässig war, also nicht.
Doch nachdem die neuen Domglocken in mehreren Etappen in Neunkirchen gegossen worden waren und nur noch die große, CREDAMUS ("Lasst uns glauben") genannte, Glocke fehlte, zog sich die Gießerei Bachert aus dem Projekt zurück, wie die Zeitung Volksstimme am vergangenen Mittwoch berichtete. Der Guss der CREDAMUS wurde neu – nun europaweit – ausgeschrieben und den Auftrag erhielt die Gießerei Grassmayr im österreichischen Innsbruck.
Nähere Gründe zu ihrem Rückzug wollte die Glockengießerei Bachert auf Anfrage nicht nennen. Die Diskussion um die Dellen in der AMEMUS-Glocke, der bislang größten der neuen, stände damit in keinem Zusammenhang. Bei der Anlieferung des gut sechseinhalb Tonnen schweren Instruments im Herbst 2022 waren Beobachtern Dellen in der Wandung aufgefallen, die für Diskussionen um die Qualität sorgten. Erst Stellungnahmen von Fachleuten, die dem Instrument einen tadellosen Klang attestierten und die Dellen als Gussfehler bezeichneten, die passieren können, vermochten die Gemüter wieder zu beruhigen.
Lehm gegen Sand
Doch die Diskussion um Dellen und andere Gussfehler bei Glocken hat noch einen weiteren Hintergrund. Die in Deutschland ansässigen Gießereien verstehen sich als Handwerksbetriebe, in denen Glocken noch wie zu Zeiten Friedrich Schillers, als dieser sein "Lied von der Glocke" schrieb und darin den Werdegang einer solchen nachzeichnete, gefertigt werden. Maßgeblich ist hierfür das traditionelle Lehmformverfahren.
Während viele Gießereien im Ausland inzwischen zum moderneren Sandformverfahren übergegangen sind, hält man im deutschen Glockenwesen am alten Handwerk fest und verteidigt dies eifrig, indem manche Sachverständige von Bistümern und Landeskirchen keine ausländischen Gießereien in die Ausschreibung von Aufträgen mit hineinnehmen. Auch wird vor der Anwendung von Furanharz beim Sandformguss gewarnt, da dies hochgiftig sei. Befürworter des Sandformverfahrens weisen hingegen darauf hin, dass die Außengestaltung der Glocken hier wesentlich sauberer ausfalle und Gussfehler seltener vorkämen.
Das Magdeburger Glockenprojekt sollte ein solches werden, bei dem die neuen Glocken nach traditionellen Vorstellungen im Lehmformverfahren gegossen werden. Das zeigt auch die bereits erwähnte Empfehlung des Sachverständigen. So gesehen ist der Abschied der Gießerei Bachert aus dem Projekt ein herber Rückschlag für die Verantwortlichen, denn auch das Innsbrucker Unternehmen Grassmayr gießt im modernen Sandformverfahren.
Risiko für Gießereien
Ganz gleich, ob Lehm oder Sand, der Guss einer 14 Tonnen schweren Glocke ist immer mit einem Risiko verbunden. Wenn der Guss misslingt, ist meist monatelange Arbeit umsonst gewesen und der Prozess muss ganz von vorne beginnen. Dies hat schon so manche Gießerei in finanzielle Engpässe und in einigen Fällen auch in die Insolvenz geführt.
Als 1922 Heinrich Ulrich den Auftrag annahm, eine 24 Tonnen schwere Glocke für den Kölner Dom zu gießen, war er der einzige Gießer in Deutschland, der sich dazu in der Lage sah. Gut 100 Jahre später sieht sich kein deutscher Glockengießer mehr dazu in der Lage oder erachtet es als zu risikoreich, eine 14 Tonnen schwere Glocke für den Magdeburger Dom zu gießen.
Mit großen Glocken hat die Gießerei Grassmayr in Innsbruck allerdings schon gute Erfahrungen gemacht. Vor allem in Südosteuropa hängen einige Großgeläute aus Tirol, darunter in den Kathedralen von Belgrad und Bukarest. Für Bukarest goss Grassmayr sogar ein über 25 Tonnen schweres Instrument, das die Kölner Petersglocke als größte freischwingende Glocke der Welt auf Platz zwei verwies. Die beiden bislang größten Grassmayr-Glocken in Deutschland hängen in Schwarzach im Odenwald und im Bremer Dom.
Projekt mit zwei Gießereien nicht beispiellos
Dass nun am Neuguss der Magdeburger Domglocken zwei verschiedene Gießereien beteiligt sind, ist nicht ganz beispiellos. Als 2012 die Pariser Kathedrale Notre-Dame neun neue Glocken erhielt, wurden die acht kleineren bei Cornille Havard in Frankreich gegossen. Den Auftrag für die 6 Tonnen schwere Marie im Südturm erhielt jedoch die niederländische Gießerei Eijsbouts in Asten.
Letztere hat ebenso wie Grassmayr in Innsbruck Erfahrungen mit dem Guss großer monumentaler Glocken und nutzt hierfür auch die Kooperation mit anderen Unternehmen, bei denen unter anderem gigantische Schiffsschrauben entstehen. So wurde zum Beispiel die große Paderborner Domglocke mit 13,5 Tonnen Gewicht in einer solchen Schiffsschraubenfabrik gegossen, da die Kapazitäten des Schmelzofens in Asten für diesen Vorgang nicht ausreichten.
Vielleicht zeigt das Magdeburger Glockenprojekt, dass solche europaweiten Kooperationen auch im Glockenwesen eine erfrischende Alternative zur Abschottung gegen moderne Gussverfahren sein können. CREDAMUS – das wollen wir glauben!