Die Sorge um den Verlust von Beheimatung in immer größeren Seelsorgeeinheiten, eine deutliche Verwaltungsentlastung für den Pfarrer, eine Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen auf Augenhöhe sowie Partizipation bei kirchenpolitisch relevanten Entscheidungen, mehr Eigenverantwortung bei neuen Formen der sonntäglichen Gottesdienstfeiern und eine kritische Überprüfung bestehender Machtverhältnisse – das sind die Themen, die engagierte Katholiken derzeit umtreiben. Zu dieser Erkenntnis jedenfalls führte das "Akademiegespräch" am Dienstag (20.02.2018) in der Bensberger Thomas-Morus-Akademie, bei dem sich der Leiter der Hauptabteilung Seelsorgebereiche im Erzbischöflichen Generalvikariat, Monsignore Markus Bosbach, den Fragen der Gäste stellte. Unter der Überschrift "Retten neue Strukturen die Kirche?" moderierte Akademiedirektor Dr. Wolfgang Isenberg die Veranstaltung, die sich in loser Reihenfolge als ein Dialogforum zwischen Bistumsleitung und engagierten Laien versteht.
"Wir sind als Kirche derzeit auf dem Weg eines Umbruchs. Und niemand weiß, wie sie sich in 15 oder 20 Jahren entwickelt haben wird", stellte Bosbach zu Beginn fest. Es gebe dafür auch kein fertiges Konzept in der Schublade. "Vielmehr tasten wir uns behutsam vorwärts ins Ungewisse hinein. Und dabei ist es gut, dass keiner alleine geht", argumentierte der stellvertretende Kölner Generalvikar zuversichtlich angesichts der bestehenden pastoralen Herausforderungen mit vielen Ungewissheiten. Er trat Befürchtungen entgegen, dass eine neue Strukturdebatte das Eigentliche, nämlich lebendiges Gemeindeleben mit größerer Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, wie das die Gläubigen vielerorts an der Basis fordern, überlagere oder gar verhindere. Schließlich, so unterstellte ein Statement aus dem Publikum, ginge es bei Strukturen doch weitestgehend immer um Macht. Und eine zunehmende Anonymisierung innerhalb der weiträumigen Seelsorgebereiche angesichts nicht durchschaubarer Zuständigkeiten der Verantwortlichen eines Pastoralteams wirke kontraproduktiv. "Dabei ist doch das Wichtigste die emotionale Nähe, die ich in meiner Pfarrgemeinde finde", befand eine Teilnehmerin, die den Erfolg immer wieder neuer Modelle anzweifelte.
Seelsorgebereichsübergreifender Prozess der Gemeinden und der Seelsorger
Als ein aktuelles Beispiel führte Bosbach den neuen "Sendungsraum Köln-Mitte" an, in dem demnächst sechs Innenstadt-Seelsorgebereiche gemeinsam ihren Weg in die Zukunft suchen sollen. In drei dieser Seelsorgebereiche wird ab Sommer ein gemeinsamer Pfarrer arbeiten, der auch für den gesamten Sendungsraum eine moderierende Leitungsaufgabe übernimmt. "Zusätzlich werden weitere Seelsorger in die Innenstadt gesandt, die gemeinsam mit den Getauften die Pastoral an den einzelnen Kirchorten weiterentwickeln", sagte er. Schon in anderen Teilen des Erzbistums – in Troisdorf, Neuss, Zülpich oder Wuppertal beispielsweise – existieren solche "Sendungsräume", in die hinein, so die Definition Bosbachs, Menschen gesandt sind, das Evangelium zu verkünden. "Es geht um einen seelsorgebereichsübergreifenden Prozess der Gemeinden und der Seelsorger an ihren vielen Kirchorten, bei dem alle gemeinsam überlegen: Wie wollen wir zukünftig Kirche sein? Wie wollen wir aus dem Geist Christi heraus Nächstenliebe gestalten? Wie wollen wir gemeinsam die Herausforderungen einer gewandelten gesellschaftlichen und kirchlichen Wirklichkeit angehen? Und wie können wir gemeinsam Ideen realisieren, die bisher noch fehlen, beispielsweise niederschwellige Angebote, eine erkennbare Öffentlichkeitsarbeit oder eine bedarfsgerechte Personalverteilung? Schließlich: Wie bieten wir Suchenden Andock-Punkte, und wo sind noch weiße Flecken?"
Die gemeinsame Lösungssuche stehe im Vordergrund, betonte Bosbach. Am Ende könnten dann aus pastoralen Zielsetzungen neue Strukturen erfolgen, doch seien sie ausdrücklich nicht das vorrangige Ziel und auch nicht der Ausgangspunkt dieser angestrebten Gespräche. "Die Struktur folgt dem Inhalt bzw. der Pastoral und nicht umgekehrt." Stattdessen müsse die Erfüllung des kirchlichen Auftrags bei allen Überlegungen Vorrang haben, so der Vertreter der Bistumsleitung. "Am Anfang dieses Weges wird daher auch nicht über Inhalte gesprochen, sondern darüber, wie wir miteinander umgehen, um zu guten Ergebnissen für die Menschen zu kommen. Es geht um einen auf Konsens und Beteiligung hin angelegten Prozess mit einer neuen Beratungskultur; um ein Forum des Austauschs und der Vereinbarung nächster Wegstrecken." Bosbach weiß, dass Strukturfragen an Menschen im kirchlichen Binnenraum eher vorbeigehen. "Engagierte Katholiken – unter ihnen gerade die Jugend – wollen Nähe und unterstützende Angebote erleben. Strukturen sind nur insofern wichtig, als sie Inhalte zu ermöglichen helfen. Sie bilden lediglich den ordnenden Rahmen, damit die gewünschten Themen leben können."
Eine Zeit der Ungleichzeitigkeiten
Eine Herkules-Aufgabe sieht Bosbach für eine charismatisch geprägte Kirche von morgen in einem allgemeinen Kulturwandel. "Den kann man nicht verordnen, aber anregen." Veränderungsprozesse, die in der Weltkirche immer Generationenprozesse gewesen seien, würden allein schon deshalb notwendig, um sich nicht im eigenen Binnenraum zu verkernen. "Vielmehr müssen wir unseren Blick mehr noch von innen nach außen richten, aufmerksam für die pastoralen Bedürfnisse der Menschen sein und sie mit offenen Türen willkommen heißen." Die Kirche lebe in einer Zeit der Ungleichzeitigkeiten; es differenziere sich immer mehr aus, wie Menschen ihren Glauben leben wollten. Darauf mit einem breit angelegten Diskurs und einer gemeinschaftlichen "Verhandlung" von gemeinsamen Zielsetzungen zu reagieren, mache – auch angesichts rückläufiger Priesterzahlen und knapper werdender Mittel – unter einem großen Gemeindedach Teams von Getauften und Gefirmten, die auch an den einzelnen Kirchorten Leitung wahrnehmen, vorstellbar.
Deutlich wurde zudem, dass das Gesicht der Gemeinden vor allem in den städtischen Kontexten zunehmend internationaler wird. So beeindruckte ein Vertreter der Spanisch sprechenden Katholiken mit einem ermutigenden Bericht über seine Gemeinde, die nicht schrumpfe, sondern sich mit an das Lebensgefühl dieses mediterranen Volkes angepassten Elementen, wie Musik oder gastlicher Bewirtung, immer mehr wachse.