DOMRADIO.DE: "Pueri Cantores" könnte man mit "singende Kinder" übersetzen, den Verband gibt es seit 1951. Ihre Wahl ist noch ganz frisch, war beim Pueri Cantores-Treffen in Münster Mitte September. Warum haben Sie sich entschieden, Präsidentin zu werden?
Elisabeth Lehmann-Dronke (Chorleiterin am Erfurter Dom und Präsidentin des deutschen Chorverbandes Pueri Cantores): Meine Hauptmotivation ist, tatsächlich "singende Kinder" auf dem Weg in die Kirche zu begleiten. Ich durfte zuletzt in Münster beim Jugendchorfestival von Pueri Cantores dabei sein.
Da konnte ich erleben, wie 1.600 Sängerinnen und Sänger gemeinsam für den Frieden singen - auf den öffentlichen Plätzen in der Stadt. Zum Abschluss haben alle eine gemeinsame eine Messe gefeiert und dabei den Dom mit Musik gefüllt. So etwas zu erleben, ist mir eigentlich die wichtigste Motivation, wenn Kinder diese Erfahrung machen können.
Das ist die Grundidee von Pueri Cantores, sozusagen das "Hauscharisma" von Pueri, nämlich das Lob Gottes, die Begegnung in Freundschaft und der Einsatz für den Frieden. Das sind meines Erachtens nach die Grundsäulen der Arbeit von Pueri Cantores.
Bei diesem großen Chortreffen in Münster hat sich eindrucksvoll bestätigt, dass es tatsächlich in der Praxis wunderbar funktioniert, eben durch die Erfahrung und der Professionalität des Verbandes und durch dieses Charisma und das Potential der Menschen, die dank Pueri Cantores vernetzt werden. Ich wünsche mir, dass ich als Präsidentin dieses Verbandes dazu beitragen darf, dass dieses Erfolgsmodell weitergeführt wird und zukunftsfähig bleibt.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon eine Geschichte mit Pueri Cantores, denn Sie sind die Mitbegründerin des Regionalverbands Pueri Cantores Ost und darüber hinaus die Leiterin des Kinder- und Jugendchores am Erfurter Dom. Wie kann besonders der ostdeutsche Bereich der Kinder- und Jugendchöre in den Blick genommen werden, der ja jenseits der typischen Dommusiken in Westdeutschland liegt?
Lehmann-Dronke: Überall im Osten, wie im Westen, liegt ein großer Wert der Arbeit des Verbands darin, die verschiedenen Chöre, von der kleinen Kinderschola über die profilierten Pfarrei-Chöre bis zu den Kathedral-Chören in Verbindung zu bringen. Da profitieren alle miteinander, alle voneinander, einen guten gemeinsamen Nenner zu finden und eine neue Musizier-Erfahrungen zu machen, die so für den einzelnen Chor nicht immer möglich sind.
Es kann also für kleinere Chöre eine riesige, beflügelte Erfahrung sein, mit einem großen, leistungsfähigen Chor zusammen zu singen. Für die großen Chöre kann es manchmal eine gute Erdung sein, miteinander mit kleineren Chören zu singen. Sicher, in Westdeutschland gibt es viel mehr große Domsingschulen, traditionsreiche Chöre, da haben Sie recht. Aber da kann unsere Arbeit vielleicht tatsächlich hier und da eine Anregung sein, die Chorarbeit auszuweiten, also Chöre zu gründen.
Es gibt bei uns in Ostdeutschland tolle Beispiele, wo Chorgründungen gelungen ist. Ein Beispiel ist ein Chor in Leinefelde, der sich als Projektchor für eine Erstkommunion gegründet hat. Von Pueri Cantores hat er über den Pfarrer gehört und ist dann zu einem Chorfest eingestiegen und gehört seit zwei Jahren zu Pueri Cantores. Das ist für mich ein großes Erfolgsmodell, wenn der Chor sich von Null her gründet, bestehen bleibt und immer größer wird.
Es ist aber wichtig im Blick zu haben, dass die Unterschiede auch ganz wesentlich daher rühren, dass wir hier in den neuen Bundesländern nur sehr wenig hauptamtliche Stellen für die Kirchenmusiker haben. Dementsprechend sind die Voraussetzungen natürlich im Osten sehr viel schwieriger als im Westen.
DOMRADIO.DE: Sie sehen also Unterschiede in der Arbeit in Ostdeutschland, etwa Dresden oder Erfurt im Vergleich zu Städten wie Köln oder Mainz. Wie sehr spielt da vielleicht auch rein, dass Ostdeutschland sogenannte Diaspora ist, dass da also sehr wenige Katholiken leben? Oder macht das vielleicht sogar die Arbeit am Ende einfacher?
Lehmann-Dronke: Ich glaube, dass spielt eine große Rolle, dass wir einen geringen Katholikenanteil haben, dass natürlich in den Gemeinden auch weniger Familien, Kinder und Jugendliche sind.
Aber ich merke, dass, wenn es genügend hauptamtliche Mitarbeiter gibt, die auf eine gute Art und Weise werben, sowohl für Pueri Cantores als auch grundsätzlich für Chorarbeit, sich über die Kirche hinaus Kinder für Chöre begeistern lassen.
Da finden sich auch Kinder, die nicht gläubig sind. Ich habe in Erfurt ganz speziell auch einen Großteil nicht nur katholische Kinder, sondern auch einen Großteil evangelische Kinder und sehr viele nicht getaufte Kinder. Und alle diese Kinder brennen dafür, im Raum der Kirche Musik zu machen. Das kann auch eine Chance sein, dass Kinder in der Diaspora vielleicht den Glauben durch die Chöre neu entdecken können.
DOMRADIO.DE: Sie sind auch Chorleiterin. Was versuchen Sie denn ganz persönlich, Ihren Sängerinnen und Sängern zu vermitteln?
Lehmann-Dronke: Ich versuche natürlich, bei den jungen Menschen über das Singen sehr guter, qualifizierter Musik, alter und auch gerade neuer Musik, eine Haltung der Offenheit zu fördern. Also für den anderen offen zu sein für Neues und Bewährtes, für Fremdes, Unbekanntes. Und ich möchte dabei so etwas wie - musikalisch gesprochen - einen Resonanzraum schaffen als ein Angebot für Erfahrungen im Glauben und im Leben der Kirche. Das ist mir sehr wichtig.
DOMRADIO.DE: Und wie wichtig ist es in diesen Krisenzeiten, dass die Kinder katholische Kirche positiv und als sinnstiftend erfahren, ohne die bestehenden Probleme auszublenden?
Lehmann-Dronke: Für viele Kinder und Jugendliche ist der Chor tatsächlich der hauptsächliche und intensivste Zugang zur Kirche. Da bekommen sie, meine ich, schon einen positiven Bezug zur Kirche. Sicher, auch bei Chören sind schlimme Dinge passiert und wir müssen alles Erdenkliche tun, um zu verhindern, dass so etwas wie Missbrauch wieder passiert. Deshalb haben wir Schutzkonzepte erarbeitet, haben Präventionsmaßnahmen etc. in den letzten Jahren sehr gut auf den Weg gebracht.
In der Corona-Krise, die möchte ich auch noch mal nennen, haben die Kinder, meine ich, erlebt, dass die Chöre Wege gefunden haben, der Krise zu begegnen. Da haben es die allermeisten Chöre geschafft, trotz der für sie zunächst existenzbedrohenden Umstände den Kontakt und den Zusammenhalt aufrecht zu erhalten; und dann schrittweise und verantwortungvoll den Chorgesang wieder zu beginnen und mutig und mit großer Zuversicht neu anzufangen. Das war - meine ich - ein gutes Beispiel für Krisenbewältigung.
Oder jetzt ganz aktuell der Krieg in der Ukraine: Da bekommen die für die Pueri Cantores typischen, musikalischen Friedensgebete plötzlich eine große Aktualität und einen sehr konkreten Bezug. Das eigene Engagement der Sängerinnen und Sänger ist da "sinnstiftend" und gibt Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Kann Ihrer Meinung nach durch das Chorsingen der Glaube nun besonders gut vermittelt werden? Oder geht es vor allem "nur" um die Musik?
Lehmann-Dronke: Die Arbeit mit dem Chor ist nicht vordergründig eine katechetische Arbeit. Aber durch das regelmäßige Singen in den verschiedenen Gottesdienstformen erfahren Sängerinnen und Sänger eine Glaubens- und Gebetspraxis. Sie bekommen da regelrecht eine Routine im positiven Sinne, eine Übung.
Darüber hinaus haben viele Chöre eine geistliche Begleitung, der ein geistliches Programm zusammenstellt, zum Beispiel im Rahmen von Chorfahrten mit Gebetszeiten und geistlichen Impulse. Bei uns am Erfurter Dom zum Beispiel ist das gemeinsame Gebet unmittelbar vor jedem Auftritt wichtig, egal ob vor einem Konzert oder einem Gottesdienst. Das kann ganz einfach ein gemeinsam gesprochenes Vaterunser oder ein Gegrüßet seist du Maria sein. So mache ich es hier in Erfurt.
Ich habe auch schon ganz konkret erlebt und erfahren, dass da etwas bei den Kindern und Jugendlichen hängen bleibt, dass da die Glaubenspraxis beflügelt werden kann oder das es sogar für Einzelne eine Initialzündung sein kann, ganz konkrete Schritte im Glauben und in der Kirche zu gehen.
Das Interview führte Mathias Peter.