Vor 15 Jahren hat sich Walter Keller* von seiner Frau getrennt – nach über 34 Jahren Ehe. "Bis dass der Tod uns scheidet" – dieses Ehegelöbnis durchzustehen "in guten wie in bösen Tagen" ist ihm nicht gelungen. Seitdem versucht er sein eigenes Unvermögen aufzuarbeiten. Aber nicht in einer Therapie. Nein, der mittlerweile 80-Jährige ist gläubiger Christ und stellt sich seinem eigenen Versagen regelmäßig in einer liturgischen Feier, in der er spirituelle Impulse zu diesem Thema dankbar annimmt und gleichzeitig das eigene Verhalten immer wieder neu reflektiert. Um Frieden zu machen: mit sich, mit Gott und mit dem Menschen, den er damals verletzt hat: seine Frau.
Er empfindet es als Trost und Stärkung, für die vielen Gefühle, die ihn selbst heute nach so langer Zeit noch beschäftigen und immer wieder einholen, einen Raum zu haben und innerhalb eines Gottesdienstes mit einer, wie er das nennt, "zufälligen Gemeinschaft" zusammenzutreffen, in der alle eine ähnliche Situation erlebt haben oder aktuell noch durchmachen. "Das tut – unabhängig davon, wie frisch diese Wunde des eigenen Scheiterns noch ist – einfach gut", findet er. Auch deshalb, weil es mittlerweile fast zu einer Art "Jour fixe" geworden ist, dass er dort inzwischen auch mit seiner ersten Partnerin zusammentrifft. "Schließlich haben wir zusammen Kinder; das verbindet für immer", sagt er. "Wir treffen uns jetzt auf einer Verständnisebene." Das sei in den letzten Jahren für ihn das Entscheidende geworden.
In Ruhe trauern zu können ist wichtig
"Die Verarbeitung von Trennung und Scheidung ist immer ein wichtiges Thema – dazu muss man nicht unbedingt ein religiös empfindender Mensch sein. Doch wem der Glaube wichtig ist, trägt doppelt an einem solchen Päckchen", stellt Keller fest. Und er muss es wissen. Denn aus seiner langjährigen Praxis weiß der ehemalige Psychotherapeut, wie ungesund es sein kann, sich dem eigenen Scheitern nicht zu stellen oder sich gar der Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil an Schuld zu verweigern. Für seelische Gesundheit brauche es etwas anderes, sonst bleibe eine Trennung unterschwellig lange virulent. "Von alleine erledigt sich da nichts. Die Zeit allein heilt keine seelischen Trümmer."
Es sei ja nicht nur das plötzliche Alleinsein, das man mit einem Mal bewältigen müsse. "Es sind auch die quälenden Fragen nach der eigenen Verantwortung, weil es eine berechtigte Angst vor dem Zulassen von Mitschuld gibt", so Keller. Aber sich den eigenen Anteil an Schuld bewusst zu machen, könne ein heilsamer Schritt sein, um dauerhaft damit weiterleben zu können. Sich einzugestehen, etwas nicht geschafft zu haben, müsse nicht zwangsläufig dazu führen, den Versager-Stempel aufgedrückt zu bekommen. Im Gegenteil. "Es ist wichtig, in Ruhe trauern zu können um das, was sich nicht erfüllt hat. Dafür ist dieser Gottesdienst gut. Hier gibt es keine Belehrung und auch keinen Rechtfertigungsdruck."
Nicht nur Trost spenden, sondern auch Mut machen
Wenn Lebenswege sich trennen, geht das zumeist mit großen Gefühlen einher: Enttäuschung, Wut, Trauer, Eifersucht, Rache. Auch Ingrid Rasch hat in ihrem Alltag als langjährige Leiterin der Familienberatungsstelle in der Kölner Südstadt oft genug erlebt, welche zerstörerischen Kräfte eine verlorene Liebe freisetzen kann und setzt bewusst mit einem pastoralen Angebot dagegen. Von Anfang an ist sie mitverantwortlich für eine Initiative, die sie vor zehn Jahren – damals noch als Mitglied des Katholikenausschusses der Stadt Köln – gemeinsam mit der Ehepastoral im Erzbistum angestoßen hat.
Zweimal im Jahr feiert sie seitdem mit Pastoralreferentin Regina Oediger-Spinrath in der Kapelle "Madonna in den Trümmern" von St. Kolumba einen Wortgottesdienst, in dem es ihr darum geht, die Barmherzigkeit Gottes – gerade auch angesichts des eigenen Scheiterns und einer schmerzlich empfundener Ohnmacht – in den Vordergrund zu stellen und mit einfühlsamen Gebeten und Impulstexten nicht nur Trost zu spenden, sondern auch Mut zu machen. Rasch will dazu anregen, den Blick nach vorne zu richten und vielleicht einen persönlichen Aufbruch zu wagen, um neuen Halt zu finden.
Viele fühlen sich von der Kirche abgewertet und ausgegrenzt
"Wir wollen vermitteln, dass Gott trotz persönlichen Versagens an der Seite dieser Menschen ist – gerade auch weil die Kirche am Ideal der unauflöslichen Ehe ganz entschieden festhält. Dabei wird dieses Ideal der lebenslangen Ehegemeinschaft nicht dadurch entwertet, dass wir es nicht immer erreichen; das biblische Ideal der Feindesliebe erreichen wir noch viel weniger und geben es dennoch als erstrebenswertes Ziel nicht auf. Wir erkennen an, dass wir Menschen auch in unserem Mühen und Sehnen scheitern”, betont die engagierte Ehrenamtlerin. Dafür – das heißt für die damit verbundene Trauer und Verzweiflung – sei in diesem Gottesdienst Raum. Gleichzeitig biete er Gelegenheit, auch dankbar auf alles Gelungene in der Vergangenheit – zum Beispiel während anfänglich meist glücklicher Ehejahre – zu schauen und im Rückblick das eine gegen das andere nicht auszuspielen, sondern in wohltuender Erinnerung zu behalten.
Viele fühlten sich nach einer Trennung oder Scheidung in der Kirche abgewertet, ausgegrenzt oder verurteilt, erklärt Pastoralreferentin Oediger-Spinrath. Dabei sei die Erfahrung einer Trennung oft für sich genommen schon leidvoll genug, so die Theologin. "Da ist die Botschaft von einem Gott, der nicht mit menschlichen Maßstäben misst oder verurteilt, ein ganz wichtiges Signal und ein eigens dafür gefeierter Gottesdienst, der sich an alle Generationen richte, eine große Stärkung." Das würden die Menschen, die kämen – manche zum wiederholten Male – auch sehr unmissverständlich spiegeln.
Seelsorge darf Lebenswirklichkeit Geschiedener nicht ausblenden
Da es zu Beginn einer Ehe ein feierliches Bekenntnis "vor Gott und den Menschen" zu einer dauerhaften Lebensgemeinschaft gebe, erlebten sie diesen Gottesdienst als eine heilsame Erfahrung, die ihnen ermögliche, ihre persönliche Klage, Angst und Not vor Gott zu tragen. "Trennung und Scheidung gehören nun mal zur Lebensrealität vieler Menschen, und gerade im kirchlichen Kontext ist die Offenlegung dieser Tatsache oft noch schambesetzt", beobachtet Oediger-Spinrath. "In der Seelsorge aber können wir das nicht ausblenden, sondern suchen nach unterstützenden Ritualen. Es gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben, den Menschen in seiner Verletztheit zu sehen und alles zu tun, um ihn wieder aufzurichten."
*Der Name wurde von der Redaktion geändert.