Neuer Anstoß für Debatte über kirchliche Verwaltungsgerichte

Bischof Genn bringt Ball erneut ins Spiel

Münsters Bischof Genn will nach der Vorstellung eines Missbrauchsgutachtens Macht im Bistum künftig teilen und kontrollieren lassen. Dazu bringt er ein in der katholischen Kirche bislang nicht genutztes Instrument ins Spiel.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Felix Genn, Bischof von Münster, bei der Vorstellung der Studie zu Macht und sexuellem Missbrauch im Bistum Münster / © Lars Berg (KNA)
Felix Genn, Bischof von Münster, bei der Vorstellung der Studie zu Macht und sexuellem Missbrauch im Bistum Münster / © Lars Berg ( KNA )

"Sexueller Missbrauch ist immer auch Missbrauch von Macht" - diesen Satz hat der Münsteraner Bischof Felix Genn am Freitag nach der Vorstellung einer Aufarbeitungsstudie zu sexueller Gewalt durch Geistliche in seinem Bistum gesagt. Eine logische Konsequenz für Genn: Er will bischöfliche Macht teilen, kontrollieren und abgeben.

Kommt ein kirchliches Verwaltungsgericht?

Dazu stellte Genn einen langen Maßnahmenkatalog vor. Aufhorchen ließ dabei vor allem eine Ankündigung: Genn will von einem renommierten Kirchenrechtler prüfen lassen, ob seine Diözese schon bald ein kirchliches Verwaltungsgericht einführen kann - auch, bevor es hierzu Festlegungen aus Rom und auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz gibt.

Symbolbild: Eine Anwältin schnürt im Gerichtssaal Prozessunterlagen auf / © Oliver Berg (dpa)
Symbolbild: Eine Anwältin schnürt im Gerichtssaal Prozessunterlagen auf / © Oliver Berg ( dpa )

Verwaltungsgerichte könnten gerade bei Missbrauchsfällen kirchliche Verwaltungsakte durchschaubarer, transparenter und rechtlich überprüfbar machen, erklärte Genn. In der katholischen Kirche gibt es derartige Gerichte bislang nicht. Das allgemeine Kirchenrecht sieht diese (noch) nicht vor. Wenn es sie gäbe, könnten einzelne Getaufte oder auch kirchliche Rechtspersönlichkeiten wie Pfarreien oder Vereinigungen gegen Akte der Kirchenverwaltung und -regierung - also auch gegen bischöfliche Entscheide - klagen und so ihre Rechte durchsetzen.

Keine neue Idee

Die Idee ist nicht neu. Bereits 1975 war auf der "Würzburger Synode" der Entwurf für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung vorgestellt worden. Doch dabei blieb es zunächst.

Neue Fahrt nahm die Debatte 2019 nach Vorstellung der sogenannten MHG-Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland auf. Möglicherweise werde die Frage der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit "eine der ersten sein, bei der wir erleben, dass die Bischöfe endlich vom Reden ins Handeln kommen", sagte der damalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg.

Thomas Sternberg / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Sternberg / © Harald Oppitz ( KNA )

Ähnlich optimistisch äußerte sich der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick - ein profilierter Kirchenrechtler -, der 2019 eine Arbeitsgruppe der deutschen Bischöfe leitete. Sie befasste sich unter dem Eindruck der MHG-Studie mit der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit, dem Prozessrecht und der Verwaltungsgerichtsbarkeit und erarbeitete entsprechende Vorschläge. Doch bis heute fehlt das "Go" aus Rom.

Ob es jemals kommen wird, ist ungewiss. Der einstige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, erklärte im Zuge der Debatte, er halte es für unmöglich, dass an Verwaltungsgerichten Laien über Bischöfe zu Gericht sitzen könnten.

Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Dem widersprach der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper. "Es geht ja nicht um ein Urteil über Personen, sondern über deren Entscheidungen", sagte er.

"Von einem Bischof zu verlangen, dass er seine eigenen Gesetze oder die Gesetze Roms einhält, ist weder unbillig noch schränkt es den Bischof ungebührlich ein." Verwaltungsgerichte könnten zu "mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit" beitragen.

Auftrag wird geprüft

So sieht das auch Jurist Klaus Rennert, der 2019 - damals war er noch Präsident des Bundesverwaltungsgerichts - in Erzbischof Schicks Arbeitsgruppe zu Verwaltungsgerichtsbarkeit mitwirkte. Von einem "Mehr an Legitimität und Vertrauen" sprach er in einem Vortrag während einer ZdK-Vollversammlung. Verwaltungsgerichte würden zudem die Bischöfe und vor allem die Generalvikariate entlasten, wo Streitsachen letztendlich häufig landeten.

Der Jurist machte einen dritten Vorteil aus: Wenn Verwaltungsgerichte immer wieder über Einzelfälle entscheiden, bildet sich mit der Zeit eine stete Rechtsprechungslinie. "Gerade ein Streit um das Recht veranlasst das Gericht, den historischen Wurzeln des anzuwendenden Rechtssatzes genauer als bislang nachzuspüren, nach seinem Sinn zu fragen und die Auswirkungen zu bedenken, die jede der vielleicht in Betracht kommenden Auslegungen nach sich zieht", so Rennert. Schwer vorstellbar, dass sich eine derart konstante Linie im Tagesgeschäft einer Bistumsverwaltung entwickeln kann.

Klaus Lüdicke, Theologe und Kirchenrechtler  / © Christof Haverkamp (KNA)
Klaus Lüdicke, Theologe und Kirchenrechtler / © Christof Haverkamp ( KNA )

Ob und wann das Bistum Münster ein eigenes Verwaltungsgericht einrichten wird, prüft derzeit der emeritierte Kirchenrechtler Klaus Lüdicke in Genns Auftrag. Jurist Rennert sieht auf diözesaner Ebene gute Chancen für diesen Schritt. Dann würde das Bistum Münster in der katholischen Kirche eine ähnliche Vorreiter-Rolle spielen wie im 19. Jahrhundert das Großherzogtum Baden, das 1863 als erstes deutsches Land ein Verwaltungsgericht hatte.

In der Kirche könnte es ähnlich funktionieren. Jetzt schon ein deutschlandweites "Obergericht" zu gründen, wäre kompliziert. Dann wäre nämlich die Bischofskonferenz zuständig und die bräuchte eine Genehmigung aus dem Vatikan. Und das könnte dauern.

Studie: Flächendeckender Missbrauch im Bistum Münster

Die Zahl der beschuldigten Priester und Missbrauchsopfer im Bistum Münster ist nach einer Studie der Universität Münster deutlich höher als bekannt. Laut der über zwei Jahre dauernden Forschungsarbeit eines fünfköpfigen Teams gab es von 1945 bis 2020 fast 200 Kleriker und bekannte 610 minderjährige Opfer von sexuellem Missbrauch. Damit sind 4,17 Prozent der Priester betroffen. Die Dunkelziffer ist erheblich höher. Die Forscher gehen von 5000 bis 6000 Opfern aus.

 Studie zu Macht und sexuellem Missbrauch in Münster
 / © Lars Berg (KNA)
Studie zu Macht und sexuellem Missbrauch in Münster / © Lars Berg ( KNA )
Quelle:
KNA