DOMRADIO.DE: Sie lehren in Sankt Georgen, der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Frankfurt am Main, unter anderem Pastoraltheologie, Sie sind Wort zum Sonntag-Sprecher und Weltpriester. Warum haben Sie sich bereiterklärt, als Nicht-Jesuit die Leitung einer Jesuitenhochschule zu übernehmen?
Prof. Dr. Wolfgang Beck (Ab 1. Oktober 2024 Rektor von Sankt Georgen; Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik): Zunächst ist wichtig, dass ich nicht der erste Nicht-Jesuit bin. Mein Vorgänger Professor Meckel als Kirchenrechtler ist weder Jesuit noch Priester und war der erste Nicht-Jesuit, der die Hochschule die vergangenen vier Jahre geleitet hat.
Generell gehört es zu allen Fakultäten und Hochschulen in der Logik der universitären Selbstverwaltung, dass eine Person aus dem Kollegium die Leitung übernimmt. Tatsächlich habe ich eine sehr enge Verbindung zur Hochschule Sankt Georgen, weil ich hier auch bereits studiert habe und viele persönliche Kontakte zu den Jesuiten habe. Und ich bin von der ignatianischen Spiritualität noch aus der Zeit meines Studiums sehr geprägt.
Aktuell geht es um die Frage, wie eine Hochschule auch als jesuitische Hochschule in Trägerschaft einer Ordensgemeinschaft der Jesuiten in die Zukunft gehen kann, auch dann, wenn nicht alle Lehrstühle von Jesuiten übernommen werden. Ein Teil der Lehrstühle wird von Jesuiten geleitet, aber auch diejenigen, die nicht zum Orden gehören, stehen in der Verantwortung, das jesuitische und ignatianische Profil mit zu tragen.
DOMRADIO.DE: Sankt Georgen gibt es schon seit fast 100 Jahren in Frankfurt. Was macht denn diese Hochschule zu einer typischen Jesuitenhochschule?
Beck: Wir sprechen hier in Sankt Georgen einerseits von einem philosophischen und systematisch-theologischen Schwerpunkt, den die Hochschule hat. Es ist durch bestimmte Traditionen, aber auch durch sehr lebendige Institute als ein theologisches Profil von Sankt Georgen geprägt.
Das andere ist, dass wir in Sankt Georgen eine sehr besondere Trägerstruktur haben. Das heißt, es ist zwar eine Ordenshochschule, aber sie wird getragen, personell wie finanziell, vor allem auch durch zurzeit fünf Diözesen, die in Sankt Georgen einen Ausbildungsort für ihre SeelsorgerInnen unterschiedlicher Berufsgruppen haben, aber damit auch ihre jeweilige Hochschule für theologische Reflexionen.
Und das halte ich für sehr wichtig, dass auch in den Diözesen bei allem, was administrativ und organisatorisch und pastoral ansteht, ein Bewusstsein dafür herrscht, dass es theologische Reflexion dafür braucht, was wir tun, um das auch verantwortet zu gestalten, was wir als Kirche leben.
Dafür ist es gut, eine Hochschule zu haben, die Dienstleisterin für diese theologische Reflexion ist. Das ist auch ein wesentliches Element in Sankt Georgen.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade die Ausbildung von Priesteramtskandidaten aus mehreren Bistümern angesprochen. Wie funktioniert das genau?
Beck: Nein, nicht nur von Priesteramtskandidaten. Das ist ein fast schon klassisches Missverständnis. Wir haben hier zwar ein Priesterseminar, aber das ist wie in allen deutschen Diözesen nicht das Allergrößte. Und die Zahlen der Priesteramtskandidaten gehen wie überall in Deutschland doch bemerkenswert zurück.
Sankt Georgen ist aber ein Ausbildungsort für SeelsorgerInnen. Natürlich kann man hier auch studieren, einfach aus Interesse und man muss nicht SeelsorgerIn werden.
Wir bilden ja auch PastoralreferentInnen aus und seit einem Jahr zudem in einem berufsbegleitenden Studiengang auch künftige GemeindereferentInnen und pastorale MitarbeiterInnen. Also, das ganze breite Spektrum der kirchlichen Berufe und der seelsorglichen Berufe wird hier an einem Ort, auf einem Campus in unterschiedlichen Studiengängen ausgebildet.
Das ist etwas, was es so an anderen Orten kaum gibt und was uns auch gerade in den letzten Jahren ein wichtiges Anliegen war, weil die Separierung der unterschiedlichen Berufsgruppen in einer sich verändernden kirchlichen Situation immer weniger Plausibilität findet. Man kann nur später im Team zusammenarbeiten, wenn man auch im Studium schon die anderen wahrgenommen hat.
DOMRADIO.DE: Man würde ja denken, dass an einer kirchlichen Hochschule, geprägt durch die Jesuiten, alles Studierende sind, die später für die Kirche als Priester, als Gemeindereferenten, als Pastoralreferenten oder wie auch immer arbeiten. Aber Sie haben eben schon angedeutet, dass dies gar nicht der Fall ist. Wer studiert bei Ihnen?
Beck: Es ist für uns auch immer eine spannende Frage. Natürlich haben wir die künftigen pastoralen MitarbeiterInnen im Blick, weil wir eng mit den Diözesen und der kirchlichen Landschaft in Deutschland verbunden sind. Aber es gibt einfach Menschen, die sich für Philosophie und Theologie interessieren und hier bei uns hochwillkommen sind.
In vielen Diözesen gibt es mittlerweile auch ein Bewusstsein dafür, dass es in die seelsorglichen Berufe Quereinsteiger braucht, also Leute, die schon ein anderes Studium absolviert haben oder schon in anderen Berufen tätig waren.
Für die bieten wir mit einem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang jetzt einen Einstieg in die Theologie, um damit einen beruflichen Wechsel leichter zu ermöglichen. Das ist etwas, was uns gerade zunehmend beschäftigt. Das findet auch erstaunlich viel Interesse.
DOMRADIO.DE: Die staatlich getragenen theologischen Fakultäten stehen gerade unter Druck, weil immer weniger Studierende überhaupt Theologie betreiben wollen und sich entsprechend einschreiben. Wie sehen Sie in dieser Diskussion Ihre Rolle als kirchliche Hochschule? Übernehmen Sie vielleicht sogar irgendwann die akademische Ausbildung der Religionslehrer?
Beck: Wir haben hier in Frankfurt eine sehr besondere Situation, dass wir diese Lehramtsstudiengänge für künftige Religionslehrer an unserer Hochschule nicht anbieten, denn die sind an der Uni Frankfurt. Das ist eine geschichtlich gewachsene Arbeitsteilung. Da kann man drüber diskutieren, wie zukunftsfähig das ist oder wie plausibel das ist.
Wir sehen uns aber - das möchte ich mit einem Ausrufezeichen sagen - nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu staatlichen Fakultäten. Vielmehr sagen wir, dass es ganz gut ist, wenn es in der bundesdeutschen Landschaft in Ergänzung zu staatlichen Fakultäten wenigstens eine kirchliche Hochschule gibt, die ihre gute Berechtigung haben. Es stellt sich immer die Frage, wo mit größtmöglicher Freiheit und in Verbundenheit mit den Diözesen, mit der Kirche, Theologie wissenschaftlich betrieben werden kann.
Und da beobachten wir, dass die staatlichen Fakultäten doch zunehmend unter Druck stehen, weil es Anfragen vonseiten der Universitätspräsidien, aber auch aus den Landesregierungen gibt, weil eben die Studierendenzahlen absinken und damit eine Kostenanfrage entsteht. Diese Anfragen haben wir bei uns natürlich auch. Wir sind nicht im luftleeren Raum, wir kämpfen auch um die Finanzierung unserer Hochschule.
Aber wir haben eine Trägerstruktur, die, glaube ich, sehr zukunftsfähig ist. Wir sind nämlich eine Ordenshochschule, die außer von den Jesuiten von fünf Diözesen mitfinanziert wird. Damit ist klar, dass wir keine Hochschule sind, die lediglich in Abhängigkeit und Bezug zu einer Diözese steht. Das ist immer ungünstig, würde ich sagen, weil dann ein Wechsel im jeweiligen Bischofsamt oder in der generellen Bistumsleitung unmittelbare Auswirkungen auch auf die Arbeit in der wissenschaftlichen Theologie haben kann.
Das ist der wissenschaftlichen Freiheit, die auch eine Theologie im wissenschaftlichen Sinne braucht, abträglich. Wir mit unseren verschränkten Systemen können immer sagen, dass wir so ein bisschen schlechtwetterfest sind, weil man bei uns nicht direkt auf die Inhalte, mit denen wir uns wissenschaftlich beschäftigen, zugreifen kann.
DOMRADIO.DE: Sehen Sie dennoch die Gefahr, dass staatliche Fakultäten zurückgefahren werden, eben mit dem Hinweis, es gäbe ja kirchliche Hochschulen, die den immer geringeren Bedarf an Theologie abdecken würden?
Beck: Nein, das sehe ich nicht. Das hieße ja, dass wir durch Landesregierungen oder ähnliches ausgespielt würden. Das sehe ich nicht, auch deshalb, weil wir keine Lehramtsstudiengänge haben. Und die Landesregierungen haben natürlich erst mal ein genuines Interesse daran, dass der Religionsunterricht in den Schulen auch gewährleistet ist. Von daher bieten wir das nicht an und können es im Moment auch gar nicht.
Mir ist folgendes wichtig: Wir sehen uns hier schon zu einer pluralitätsfähigen Theologie verpflichtet, wir sind also nicht das in irgendeine bestimme kirchliche Richtung gefärbte Angebot, das im Kontrast zu den Universitäts-Theologien steht. Überhaupt nicht! Von daher ist auch da ein Ausspielen oder eine Konkurrenzsituation nicht möglich.
Im Gegenteil; wir sind sehr solidarisch mit den Fakultätstheologien und den Universitätstheologien. Wir haben eine andere Struktur und sind insofern vielleicht in manchen Dingen ein kleines Schnellboot, neben den großen Tankern, da wir zum Beispiel so einen berufsbegleitenden Studiengang im Vergleich zu Universitäten relativ schnell auf die Beine stellen können. Aber wir sind immer nur eine Ergänzung.
DOMRADIO.DE: Die Bischofskonferenz hat vergangene Woche über die Zukunft der Theologie auf der Herbstvollversammlung gesprochen. In der Debatte ist immer wieder die Anzahl der Orte, an denen Priesteramtskandidaten ausgebildet werden, plus natürlich die anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2026 wird Sankt Georgen 100 Jahre alt. Wie optimistisch sind Sie denn, dass dann auch noch ausreichend viele junge Menschen Theologie studieren wollen?
Beck: Natürlich feiern wir das 100-jährige Bestehen in einer kirchlichen Situation, die spannend ist, auch im Hinblick auf Studierendenzahlen und die Zahlen von TheologInnen im kirchlichen Dienst, das ist klar. Ich sage immer: Wir haben 100 Jahre im Rücken, wir arbeiten an den nächsten 100 Jahren. Es ist also nicht so, dass wir einen Tag nach dem Jubiläum hier die Tore schließen. Wir werden uns aber sehr grundlegend neu ausrichten und nach neuen Formen zu suchen haben, wie Theologie im Studium und in der Wissenschaft betrieben werden kann.
Ich freue mich, dass wir jetzt in den zwei Studiengängen, die wir haben, rund 40 Erstsemestler haben. Das ist eine sehr erfreuliche Zahl. Insofern, glaube ich, ist es ein bisschen vollmundig und mit einem Schmunzeln, aber durchaus legitim, zu sagen: Wir arbeiten an den nächsten 100 Jahren!
Das Interview führte Mathias Peter.