DOMRADIO.DE: An diesem Donnerstag feiern wir das Fest Kreuzerhöhung. Warum ist das Kreuz für Juden ein Ärgernis und für Heiden eine Torheit, wie Paulus in seinem ersten Korintherbrief im Neuen Testament schreibt?
Pfarrer Dr. Axel Hammes (Neutestamentler und Seelsorger in Bensberg): Das Kreuz ist bei uns zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit geworden. Zur Zeit Jesu und auch zur Zeit des Apostels Paulus war es erst einmal die Hinrichtungsmethode für politische Aufrührer.
Der große antike Rhetor Cicero hat das in einer Verteidigungsrede mal ganz deutlich zum Ausdruck gebracht: Ein Römer nimmt dieses Wort noch nicht einmal in den Mund. So viel Schmach, so viel Entehrung ist damit verbunden, weil es die Strafe ist, mit der die maximale Demütigung verbunden war.
Bei den Juden spielt noch eine Stelle aus der Thora, aus dem Buch Deuteronomium eine spezielle Rolle, weil dort ausgesagt ist: Verflucht ist, wer am Pfahl hängt. Das hat man zur Zeit Jesu auch auf diejenigen übertragen, die am Kreuz hingerichtet worden sind.
Sie waren also nicht nur durch die Besatzungsmacht damit gebrandmarkt, sondern letztlich auch von Gottes Gesetz selber ausgestoßen aus dem Heil, aus der Gemeinschaft derer, die zum Volke Gottes gehören.
DOMRADIO.DE: Auf dem Petersplatz in Rom ist auf dem Obelisken in der Mitte ein Kreuz befestigt und darunter steht in lateinischer Sprache "Sieh, das Kreuz des Herrn. Fliehet, ihr feindlichen Mächte. Es siegt der Löwe aus dem Stamme Juda". – Vom Folterinstrument zum Siegeszeichen. Ist das jetzt eine Perversion oder eine logische Folge der Auferstehung?
Hammes: Das Kreuz ist immer nur dann wirklich verstanden, wenn es seine beiden Seiten behalten darf und nicht nur diese strahlende, österliche Seite des Sieges über den Tod und die Mächte der Sünde gezeigt wird. Das Kreuz ist zunächst einmal ein Symbol für diesen dramatischen Kampf zwischen all dem, was sich Gott entgegenstellt und was zerstörerisch in dieser Welt wirkt und der Liebe Gottes, die sich davon nicht entmutigen und entmachten lässt.
Mit dem Kreuz als Triumphzeichen tue ich mich persönlich sehr schwer. Letztlich hat das in dieser extremen Form Kaiser Konstantin in die christliche Kultur eingefügt. Lange Zeit haben die Christen ja auch gar nicht das Kreuz als ihr zentrales Symbol aus verschiedendsten Gründen vor sich hergetragen, weil sie dieses tiefe Wissen um seine Zweischneidigkeit, seine Abgründigkeit bewahrt hatten. Und das darf auch in unserer christlichen Kultur nicht verloren gehen.
DOMRADIO.DE: In der Öffentlichkeit unserer heutigen Zeit gerät das Kreuz immer wieder in die Kritik. Es wird bisweilen seine Entfernung aus dem öffentlichen Raum gefordert. Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück spricht von der "Anstößigkeit des Kreuzes". Deckt sich das auch ein wenig mit dieser Ambivalenz, von der Sie gesprochen haben?
Hammes: Ja, genau.
DOMRADIO.DE: Was ist denn jetzt am Kreuz anstößig, wenn es gerne auch als harmloser Schmuck getragen wird?
Hammes: Ich glaube, dann hat man das Kreuz wirklich seiner religiösen Gehalte ziemlich entkleidet. Man kann sich ja eigentlich nicht mit dem Kreuz schmücken, weil es dann das wegnimmt, was dadurch ausgesagt wird. Das Kreuz bedeutet ja auch, dass der Mensch als derjenige schonungslos aufgedeckt wird, der regelmäßig an sich selbst und an dem Bild, das er sich von seiner eigenen Existenz macht, scheitert; also das, was wir mit Sünde umschreiben.
Das Kreuz ist als Schmuckstück eigentlich seiner tieferen Gehalte beraubt oder wie es Paulus sagen würde: Es ist ausgehöhlt, entleert. Diese Tendenz hat es aber wohl auch schon bei den Korinthern gegeben. Also ist das auch etwas, was vielleicht urmenschlich ist, dass man so ein religiöses Symbol gerne auch von seiner rein lichten, identitätsstiftenden positiven Seite her vereinnahmen möchte und die andere da am liebsten ausblendet.
Dass das Kreuz seine kulturelle Selbstverständlichkeit verliert, dass seiner öffentlichen Präsenz widersprochen wird, birgt eine Riesenchance in sich. Seit Konstantins Zeiten wird es als Triumph- und Herrschafts-Insignie seiner selbst entfremdet. Aber der österliche Sieg des Gekreuzigten streift die Wunden der Folter und des Todes niemals ab. Das Kreuz erinnert an die Würde der Entrechteten, Gedemütigten, an die unzähligen Opfer der Geschichte.
DOMRADIO.DE: Nun gibt es auch immer wieder Vorstöße christlich-konservativer Politiker, Kreuze vor dem Abhängen zu bewahren oder gar Neuaufhängungen durchzusetzen. Bekannt ist ja aus jüngerer Zeit der Kreuzerlass von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor fünf Jahren. Was denken Sie: Verteidigung christlicher Symbolik oder eher deren Instrumentalisierung?
Hammes: Ich tue mich immer schwer, mich in politische Debatten einzumischen. Aber ich will keinen Hehl daraus machen, dass ich eher zu der zweiten Seite dieser Alternative neige.
Ich bin sowieso skeptisch, wenn sich ausgerechnet die Mächtigen daran machen, das Kreuz zu verteidigen, weil es sich letztlich unübersehbar eher als Mahnmal für die Ohnmächtigen, für die Übersehenen, für diejenigen, die in dieser Welt nichts gelten, in die Öffentlichkeit mengt.
Deswegen ist es eher ein Zeichen, das jede Allmachtsphantasie, jede Überhöhung politischer Macht von sich aus in Frage stellt. Wenn der Herr Ministerpräsident und die Seinen das in dieser Weise für sich interpretieren wollen, habe ich natürlich nichts dagegen.
DOMRADIO.DE: Aber auch innerhalb unserer Kirche wird das Kreuz oft als anstößig empfunden. Die Brutalität des Kreuzestodes weicht in mancher Katechese gerne der Erzählung vom liberalen Rabbi Jesus. Sind wir Christen zunehmend sprachlos geworden, was die Rede vom Kreuz angeht?
Hammes: Ich glaube, wir setzen uns unter einen falschen Druck. Weil die Relevanz unserer Verkündigung in der Gesellschaft schwindet, versuchen wir immer auch, durch eine gewisse Unverfänglichkeit Akzeptanz zu steigern.
Wir vergessen aber dabei, dass dadurch die Verkündigung des Glaubens immer banaler und immer oberflächlicher und eigentlich auch immer verharmlosender wird. Das Kreuz steht auch dafür, dass sich unser christlicher Glaube ganz nah an der brutalen Realität des Lebens befindet.
Diese Realität ist nun einmal auch von Gewalt, von Unrecht, von Unterdrückung, von Verdrängung etcetera pp. geprägt. Es wäre doch wirklich eine Schande, wenn wir das, um möglichst unverfänglich zu bleiben, aus unserer Verkündigung ausgrenzen würden.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.