Vatikan bestätigt Freispruch nach Vorwurf der Belästigung

"Nicht mit ausreichender moralischer Gewissheit bewiesen"

Sie spricht vom Kussversuch, er von Wangenberührung. Der Vatikan hat einen ehemaligen Mitarbeiter vom Vorwurf der Belästigung freigesprochen. Die Ex-Ordensfrau Doris Wagner warf ihm vor, sie unsittlich berührt zu haben.

Richterhammer / © Uli Deck (dpa)
Richterhammer / © Uli Deck ( dpa )

Der Vatikan hat den Freispruch eines Priesters bestätigt, dem sexueller Übergriff vorgeworfen worden war. Das höchste Vatikangericht, die Apostolische Signatur, teilte am Freitag mit, dass fünf Richter am 15. Mai nach gründlicher Prüfung des Falls den Beklagten freigesprochen hätten.

Am Donnerstag hatte zunächst die deutsche "Herder Korrespondenz" exklusiv berichtet, Pater Hermann Geißler, ehemaliger Büroleiter der Glaubenskongregation und Mitglied des Ordens "Das Werk", sei vom Vorwurf, eine Ordensfrau 2009 im Kontext der Beichte sexuell belästigt zu haben, freigesprochen worden. Die Vorwürfe hatte Doris Reisinger (geb. Wagner) erhoben, die von 2003 bis 2011 ebenfalls Mitglied des Ordens war.

Das Gericht sei zu dem Freispruch gekommen, da "die Umstände der behaupteten schweren Straftat nicht mit ausreichender moralischer Gewissheit bewiesen" seien, hieß es in der vom vatikanischen Presseamt verbreiteten Mitteilung. Das Verwaltungs-Strafverfahren habe Papst Franziskus auf Antrag der Glaubenskongregation an die Apostolische Signatur übertragen. Üblicherweise ist die Glaubenskongregation für solche Fälle zuständig. Da der Beschuldigte dort tätig war, sei dies geändert worden, hieß es auf der offiziellen Internetseite "Vatican News".

Die ehemalige Angehörige der Gemeinschaft "Das Werk" berichtete mehrfach, der österreichische Geistliche habe sie 2009 in der Beichte sexuell belästigt. Dies wäre gemäß Kirchenrecht eine äußerst schwerwiegende Straftat. Geißler wies die Beschuldigungen stets als unwahr zurück.

Pater Geißler soll die Ordensfrau angefasst haben

In Interviews und einem Buch hatte Doris Wagner angegeben, Pater Geißler habe sie als ihr Beichtvater im November 2009 während der Beichte angefasst und ihr sexuelle Avancen gemacht. In späteren Interviews ergänzte Wagner, Geißler habe sie in der betreffenden Situation auch festgehalten und sie zu küssen versucht. Sie sei in Panik geraten und fortgerannt. Im Januar 2019 kündigte der Vatikan eine Untersuchung des Vorfalls an. Geißler trat als Abteilungsleiter der Glaubenskongregation zurück.

Gegenüber der "Herder Korrespondenz" äußerte sich Geißler nun erstmals öffentlich zu dem Vorgang. Er stellt die Abläufe anders dar. "Nach der fraglichen Beichte im November 2009 ist es zu einem vertraulichen Gespräch mit Frau Wagner gekommen, bei dem ich in emphatischer und mitfühlender Weise, jedoch immer in der Sie-Form meine Wertschätzung für sie zum Ausdruck gebracht habe", so Geißler. "Gleichzeitig habe ich bekräftigt, dass die gegenseitige Verbundenheit übernatürlich sein muss." Beim Hinausgehen, so Geißler weiter, "habe ich ihr - nicht mehr im Beichtzimmer, sondern im Vorzimmer - die Hand gegeben und mit meiner rechten Wange ihre rechte Wange berührt, als Geste der Zuneigung und der brüderlichen Verbundenheit".

Untersuchung des Vorfalls

Im Januar 2019 kündigte der Vatikan eine Untersuchung des Vorfalls an; Geißler trat als Abteilungsleiter der Glaubenskongregation zurück. Mit seinem Rücktritt wolle er weiteren Schaden von der Glaubenskongregation und von seiner Gemeinschaft abwenden, hieß es damals in der Vatikan-Erklärung. Gleichzeitig habe Geißler darum gebeten, das bereits eingeleitete kirchenrechtliche Verfahren gegen ihn fortzusetzen, um die Vorwürfe zu klären. Parallel dazu behalte er sich rechtliche Schritte vor.

Ex-Ordensfrau kritisiert Vatikan-Gericht

Als "beschämendes Zeugnis für die mangelnde Rechtskultur der Kirche" hat Buchautorin und Ex-Ordensfrau Doris Reisinger die Entscheidung aus dem Vatikan im Fall des Ordensmanns Hermann Geißler kritisiert.

Reisinger sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Als ich Schwester des Werkes war, stand Giuseppe Sciacca in freundschaftlichem Kontakt mit dem Werk. Meines Erachtens hätte er an einem solchen Beschluss daher nicht beteiligt sein und ihn nicht unterzeichnen dürfen."

Sie selbst habe von der Vatikan-Entscheidung erst aus der Presse erfahren, so Reisinger. Während der Vorermittlungen sei sie nicht "wie ursprünglich geplant" von der Signatur angehört worden. Dessen ungeachtet habe sie eine umfangreiche schriftliche Aussage vorgelegt, "in der ich auch die Aussage einer weiteren Betroffenen beigelegt habe, deren Erfahrungen sich bis ins Detail hin mit meinen decken".

Reisinger ist die Autorin der Bücher "Nicht mehr ich" und "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche". Sie berichtet darin noch unter dem Namen Doris Wagner von sexuellem und geistlichem Missbrauch während ihrer Ordenszugehörigkeit.


Doris Reisinger (geb. Wagner) / © Lars Berg (KNA)
Doris Reisinger (geb. Wagner) / © Lars Berg ( KNA )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema