Nigerias Wirtschaft weiter auf Talfahrt - Lösung nicht in Sicht

Der Riese in der Krise

Die Inflation in Nigeria steigt wie nie zuvor. Priester und Imame kritisieren, dass unter dem wirtschaftlichen Negativtrend vor allem die Armen zu leiden haben.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Frauen und Kinder flüchten vor Boko Haram in Nigeria / © Ngala Killian Chimtom (dpa)
Frauen und Kinder flüchten vor Boko Haram in Nigeria / © Ngala Killian Chimtom ( dpa )

Was Likali Anbulo morgen essen wird, ob er überhaupt etwas Geld dafür hat, das weiß der 65-Jährige noch nicht. "Wir leben von Tag zu Tag", sagt der hochgewachsene Mann leise. Seit zwei Jahren lebt er mit seiner Familie in der Nähe von Abuja. 2014 floh er aus seinem Heimatdorf nahe der Stadt Damboa (Bundesstaat Borno), als dort im Norden die Anschläge der Terrorgruppe Boko Haram immer mehr zunahmen. Wie so viele Binnenflüchtlinge, die am Rand der Hauptstadt leben, haben weder er noch seine Kinder Arbeit gefunden. "Was soll ich auch machen", seufzt er. "Mein ganzes Leben lang habe ich als Bauer gearbeitet. Heute bin ich alt."

Bisher hat der grauhaarige Mann überlebt, weil Bekannte ihm etwas zusteckten. Doch auch die haben immer weniger Geld. Nigeria befindet sich in der schlimmsten Rezession seit 29 Jahren. Zu schaffen macht vor allem die hohe Inflation, die im August bei offiziell 17,6 Prozent lag - dem höchsten Wert seit zehn Jahren. Vor allem die Preise für Grundnahrungsmittel sind zuletzt rapide gestiegen. So kostete ein 50-Kilo-Sack Reis noch vor zwei Jahren umgerechnet 24 Euro. Nun sind es 51 Euro. Vor ein paar Tagen prophezeite Heineken Lokpobiri, zweiter Minister für Landwirtschaft, dass der Sack zu Weihnachten mehr als 100 Euro kosten könnte. Die Löhne steigen indes nicht, im Gegenteil. Der Mindestlohn liegt derzeit bei umgerechnet 50 Euro monatlich. Eine Erhöhung gilt derzeit als unwahrscheinlich. Der Vorsitzende der Textilgewerkschaft, Issa Aremu, rechnete kürzlich vor, dass ein Arbeiter vor 35 Jahren real mehr verdient habe als heute.

 Kardinal Anthony Okogie: "Nigerianer hungern"

Die Gründe dafür sind vielfältig. Nigeria, mit nach eigenen Angaben täglich 2,5 Millionen Barrel Förderung sechstgrößter Öllieferant weltweit, leidet massiv unter dem niedrigen Ölpreis. Einst war das Einkommen aus dem Schwarzen Gold leicht verdientes Geld. Deshalb hat Nigeria auch nie ernsthaft versucht, eine verarbeitende Industrie aufzubauen. Zudem ist das Land extrem korruptionsanfällig. Die Staatskassen sind so leer, dass bei einem Stromausfall nicht mal mehr in Regierungsgebäuden der Generator angestellt wird. Konkrete Äußerungen der Regierung - aber vor allem Lösungsansätze - bleiben weiter aus. "Ich denke nicht, dass die Regierung bislang verständlich kommuniziert hat, wo wir stehen. Daher sind viele Menschen nicht zu eigenen Opfern bereit", analysierte auch Bischof Matthew Hassan Kukah von Sokoto. Nur wenn die Regierung die Lage offenlege, könnten normale Bürger einen Ausweg finden.

Weitaus deutlichere Worte hatte zuvor Kardinal Anthony Okogie (80), emeritierter Erzbischof von Lagos, gefunden. "Nigerianer hungern", schrieb er in einem offenen Brief an den Präsidenten Muhammadu Buhari. Doch es gehe nicht nur um Nahrungsmittel. Viele hätten auch Hunger nach guter Regierungsführung, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit. Gestillt werden könne dieser nicht, wenn stets lediglich die politische Opposition für die Misere verantwortlich gemacht würde. Mittlerweile gab es zwar ein Treffen für die Budgetplanung 2017. Doch inhaltliche Details wurden nicht bekannt. Stattdessen startete Buhari eine neue Image-Kampagne. Sie heißt "Der Wandel fängt bei jedem selbst an". Mittlerweile ist klar, dass zumindest Teile von einer Rede Barack Obamas abgekupfert wurden, die dieser nach seiner Wahl 2008 gehalten hatte. Der zuständige Mitarbeiter soll mittlerweile zur Verantwortung gezogen worden sein.

Nicht alle Nigerianer sind arm

Kritik an der wirtschaftlichen Misere hat mehrfach auch der Emir von Kano, Muhammadu Sanusi II., geäußert, bis 2014 Chef der Nigerianischen Zentralbank (CBN). Während des nigerianischen Eid-el-Kabir-Festes empfahl der zweithöchste Vertreter der muslimischen Gemeinschaft dem Staatspräsidenten, sich Rat bei Experten zu holen, die nicht der Regierung angehören. Wohlhabende Nigerianer forderte der 55-Jährige auf, sich um die weniger Privilegierten zu kümmern. Selbst jedoch machte der Emir unlängst Schlagzeilen, als er sich zum Opferfest einen neuen Rolls Royce Phantom im Wert von umgerechnet knapp 372.000 Euro gönnte.


Bischof Matthew Hassan Kukah von Sokoto in Nigeria / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Matthew Hassan Kukah von Sokoto in Nigeria / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA