DOMRADIO.DE: Sie sind am Wochenende nach Prag zur Kontinentalversammlung der Weltsynode gereist und vertreten dort Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Was wünschen sich die Katholikinnen und Katholiken im Norden?
Anna Mirijam Kaschner cps (Deutsche Ordensschwester und Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz): Unsere Katholiken in den nordischen Ländern haben sich natürlich das Vorbereitungsdokument auf dieses Treffen hier in Prag zu Gemüte geführt und die berühmten drei Fragen, die dort stehen, beantwortet oder versucht zu beantworten.
Es ist in unseren Ländern sicherlich ein großer Punkt, dass unsere Katholiken sich immer wieder neu und mehr Vertiefung im Glauben wünschen, um auch in einer sehr säkularen Welt, in einer säkularen Gesellschaft ihren Mann oder ihre Frau stehen zu können. Das ist sicherlich einer der großen Punkte.
Außerdem haben wir natürlich auch die Stärkung der Rolle der Frau im Gepäck, die allerdings nicht so radikal formuliert wird, wie das beim deutschen Synodalen Weg der Fall ist.
Wir haben auch die Sorge und die Trauer über die Missbrauchsfälle weltweit im Gepäck. Wir haben in unseren Ländern inzwischen keine Fälle mehr, keine aktuellen. Aber es kommen doch immer wieder neue Fälle ans Tageslicht, gerade auch in Deutschland durch die verschiedenen Untersuchungen, die in den Bistümern laufen.
DOMRADIO.DE: Die Stellvertreterinnen und Stellvertreter der katholischen Kirche in Europa stecken im Moment die Köpfe zusammen, tauschen sich aus. Die einzelnen Länder und Bischofskonferenzen hatten schon vorher ihre Meldungen nach Rom abgegeben. Was wurde bislang in Prag besprochen?
Kaschner: Der Tagesablauf sieht folgendermaßen aus: Es sind 13 Bischofskonferenzen, die am Vormittag zu diesen drei Fragen ihr Statement abgeben, die Rückmeldung aus ihren Bistümern, jeweils unterbrochen von einer fünfminütigen Gebetspause nach vier Rückmeldungen. Da geht es einfach ums Zuhören, ums Anhören, darum mitzubekommen, was läuft eigentlich in den Teilkirchen in Europa.
Am Nachmittag wird das Ganze dann in Kleingruppen, in sogenannten 13 Sprachgruppen aufgegriffen und in Form eines geistlichen Gespräches noch einmal vertieft. Die Rückmeldungen laufen immer wieder in das Plenum hinein. Wir haben gestern die ersten 13 Rückmeldungen der Bischofskonferenzen gehört.
DOMRADIO.DE: Machen wir es ein bisschen konkreter. Sie zum Beispiel wollen die Rolle der Frau stärken. Sie sagen, nicht so radikal wie im Synodalen Weg in Deutschland. Wie gehen Sie das an?
Kaschner: Wir werden unsere Rückmeldung geben. Das ist sicherlich ein kleiner Teilbereich, die Stärkung der Rolle der Frau. Die erste Rückmeldung, die wir geben, oder die erste Frage, die angegeben wurde, ist: Welche Einsichten haben wir aus dem Dokument gewonnen, in dem ganz viele Punkte angesprochen wurden. Da wird dieser Punkt auftauchen.
Die zweite Frage ist: Welche Spannungen erleben wir in der Kirche in Europa? Da haben wir natürlich auch eine Sicht auf die Positionen, die Spannung zwischen Amt beziehungsweise Hierarchie und Laien, die Spannung zwischen Glaube und Vernunft, Kirche und Welt. Das merken wir im Norden sehr stark.
Wir merken immer wieder, dass sich auch staatlicherseits Leute in kirchliche Angelegenheiten mehr oder weniger einmischen. Wir merken die Repressalien, die uns immer wieder von staatlicher Seite vor die Füße geworfen werden. Das ist sicherlich noch einmal eine ganz eigene Situation im Norden Europas, die wir natürlich auch gerne hier einbringen möchten.
DOMRADIO.DE: Der Synodale Weg für Deutschland, der scheint gerade etwas in der Krise zu stecken. Aus Rom gab es zuletzt das Veto für den sogenannten Synodalen Rat, der die Reformarbeit fortsetzen sollte. Auch Sie als Norddeutsche Bischofskonferenz hatten den Synodalen Weg der deutschen katholischen Kirche mit einem offenen Brief kritisch hinterfragt. Hat aus Ihrer Sicht das Projekt weniger Zukunft als die Weltsynode von Papst Franziskus?
Kaschner: Das ist schwer zu sagen. Wir merken einfach, dass wir hier in Prag in der Weltsynode sehr viel langsamer unterwegs sein können, als es der Synodale Weg in Deutschland kann. Denn dort geht es nur um Deutschland, hier geht es um die ganze Welt.
Wir merken, dass die einzelnen Bischofskonferenzen natürlich in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Man muss sich beispielsweise die postrussischen, postsowjetischen Länder vorstellen. Die haben überhaupt erst einmal 30 Jahre lang gebraucht, um die Kirche ganz neu wieder aufzubauen und auf die Füße zu stellen. Und innerhalb dieser kurzen Zeit, die sie hatten, sollen sie auf einmal synodal werden.
Die sagen: Das geht uns alles viel zu schnell. Für Deutschland geht alles viel zu langsam. In dieser Spannung stehen wir im Moment. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in denen wir unterwegs sind, machen auch etwas ratlos. Das ist ein Eindruck, den ich hier von Prag im Moment mitnehme.
DOMRADIO.DE: Ich höre so ein bisschen raus, auch Ihnen geht es zu langsam?
Kaschner: Nein, im Gegenteil. Ich bin eher jemand, der sagt, lass uns das in Ruhe anschauen. Sicherlich nicht in der Art und Weise, wie das jetzt in Osteuropa der Fall ist. Mir geht es mehr darum zu sagen, können wir, anstatt an der Oberfläche und in den theologischen Gesprächen zu sein, auch etwas mehr in die Tiefe gehen?
Mir fehlt gerade beim Synodalen Weg in Deutschland diese spirituelle Tiefe zu sagen, wo wir denn hin wollen und wie der Weg gestaltet werden soll mit Blick auf Jesus Christus, mit Blick auf unseren eigenen Glauben. Wenn ich die ganzen Dokumente, die ganzen Texte lese, die sind etwas für Theologen, aber der normale Gläubige in einer Kirchengemeinde wird aus diesen Texten nicht schlau werden.
DOMRADIO.DE: Wird sich durch diesen Schritt der Weltsynode wirklich etwas in der Kirche ändern? Was ist da Ihre Hoffnung oder auch Ihre Befürchtung?
Kaschner: Die Frage ist immer, welche Erwartungen ich habe. Was soll sich ändern? Es wird sich mit Sicherheit keine Änderung ergeben, die die Lehre der Kirche völlig auf den Kopf stellt. Dazu ist die Kirche einfach zu groß. Sie ist dadurch, dass es eine Weltkirche ist, auch sehr schwer beweglich.
Ich sage manchmal, dass diese Kirche 2000 Jahre alt und eine alte Frau ist. Da kann man nicht erwarten, dass sie sich gleich im Tangoschritt bewegt. Ich würde mir wirklich wünschen, auch durch diese Erfahrung, die wir in der Weltkirche jetzt hier machen, aus den Berichten aus den verschiedenen Bischofskonferenzen einen Blick zu bekommen, was sich überhaupt woanders tut.
Wir haben in Deutschland immer nur den Blick auf Deutschland. Wir sind komplett in einer Blase, weil wir gucken, was sich hier bewegt, was es hier für Schwierigkeiten gibt. Was haben die Missbrauchsfälle mit uns gemacht? Aber wir kriegen gar nicht richtig mit, was denn in Russland, in Weißrussland, in Kroatien läuft. Da hoffe ich einfach, dass wir einen weiteren Blick bekommen und die nächsten Schritte im gemeinsamen Miteinander gehen können, wie immer die aussehen. Das ist im Moment hier auch noch nicht klar.
Das Interview führte Tobias Fricke.