Behindertenbeirat fordert Tests in Einrichtungen

Normalität für alle?

Die Bundesliga hat ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen. Regelmäßige Tests sollen Infektionen frühzeitig erkennen. In Wohnheimen für Behinderte gibt es keine flächendeckenden Tests. Die Menschen bleiben isoliert. Das stößt bitter auf.

Behindertenbeirat fordert Tests in Einrichtungen / © Jonas Güttler (dpa)
Behindertenbeirat fordert Tests in Einrichtungen / © Jonas Güttler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Mitte März mussten sich Angehörige entscheiden, ob sie ihre Familienmitglieder entweder dauerhaft in den Einrichtungen lassen oder nach Hause holen. Die meisten Betroffenen blieben in den Wohnheimen. Aber der Kontakt mit den Angehörigen ist weiterhin schwer. Diese Entscheidung haben sich Eltern bestimmt nicht leicht gemacht, oder?

Gerold Abrahamczik (Sprecher des Angehörigenbeirats der Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie): Das kann man sicherlich so sagen. Vor allen Dingen musste die Entscheidung relativ schnell getroffen werden. Man konnte nicht tagelang überlegen, sondern musste relativ schnell sagen, ob man das Kind nach Hause holt – nicht wissend, dass diese Entscheidung für viele Wochen, vielleicht Monate Bestand haben würde.

DOMRADIO.DE: Es sind jetzt zwei Monate her. Wie sieht denn der Kontakt ganz konkret im Moment aus?

Abrahamczik: Sehr unterschiedlich. Die Einrichtungen versuchen natürlich, die Kontakte herzustellen. Skype ist eine Möglichkeit. Vereinzelt gibt es auch in speziellen Bereichen die Möglichkeit mit abgetrennten Plexiglasscheiben, dass man schon auch Kontakt haben kann. Aber was natürlich sehr vermisst wird, ist der persönliche Kontakt. Mal miteinander spazieren zu gehen oder die Kinder beispielsweise über das Wochenende mit nach Hause zu holen. Das geht im Moment noch nicht.

Es wird in Teilen auch noch verstärkt kritisch darüber diskutiert, ob das denn auch so weitergehen muss. Was erschwerend hinzu kommt, ist, dass man in der öffentlichen Diskussion diese Frage überhaupt nicht wahrnimmt. Wenn wir über Lockerungen sprechen, dann werden alle möglichen Bereiche der Wirtschaft des gesellschaftlichen Lebens angesprochen. Aber Menschen mit Behinderung oder auch Menschen in Pflegeheimen kommen eigentlich nicht vor. Und das ist das Schwerste: dass gar keine Perspektive da ist, wie denn tatsächlich mit einer Lockerung umgegangen werden kann.

DOMRADIO.DE: Da haben Sie eine ganz konkrete Forderung: In Wohneinrichtungen muss mehr getestet werden. Inwiefern könnte das denn die Situation entspannen?

Abrahamczik: Wird die Gefahr erkannt, kann die Gefahr gebannt werden. Das Problem ist ja, dass keiner merkt, wenn er sich infiziert hat – zumindest am Anfang – und in der Zeit bereits andere Menschen infizieren kann. Deswegen sagen wir, muss es sehr häufige, proaktive, also nicht anlassbezogene Tests geben – aller Mitarbeiter und auch aller Bewohner in den Wohneinrichtungen regelmäßig jede Woche, vielleicht zwei, dreimal. Dann fallen Infektionen rechtzeitig auf und es können sofort Maßnahmen ergriffen werden, damit der Virus sich nicht in der Wohneinrichtung weiter ausbreiten kann.

DOMRADIO.DE: Das klingt ja eigentlich ganz logisch. Warum wird dann nicht mehr getestet?

Abrahamczik: Das ist eine gute Frage, wie wir uns auch stellen. Am Wochenende ist die Bundesliga gestartet. Da sind gesunde, junge Menschen, die nicht zur Risikogruppe gehören. Die werden fortlaufend getestet, damit Fußball gespielt werden kann. Tests in den Einrichtungen, bei Menschen, die einem hohen Risiko unterliegen, wenn sie Covid-19 erkrankt sind, da werden die Tests nicht durchgeführt. Wir erhoffen uns ein bisschen, dass mit den Gesetzespaketen, die jetzt letzte Woche, Donnerstag und Freitag, von der Bundesregierung verabschiedet worden sind, zu einer Verbesserung kommen kann. Denn da sind ja solche nicht anlassbezogen Testungen im Bereich der Pflege vorgesehen. Ich kenne jetzt das Gesetz noch nicht ganz im Detail. Aber da sind wir zuversichtlich, dass die Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei diesen Testungen ebenfalls mit berücksichtigt werden.

Details sollen im Bundesgesundheitsministerium, so ist mein Kenntnisstand, erarbeitet und dann herausgegeben werden. Dann hoffen wir schon, dass auch in unseren Einrichtungen sehr viel mehr getestet wird, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir kennen Einrichtungen, da ist ein Covid-19-Fall aufgetreten, man hat Kontakt zum Gesundheitsamt aufgenommen und darum gebeten, dass jetzt die gesamte Einrichtung getestet wird. Da hat man dann mitunter zur Antwort bekommen, lieber alle Leute 14 Tage in ihren Zimmern zu isolieren statt eben alle einmal durchzutesten. Das sind nicht haltbare Zustände, wie ich finde.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn irgendeine Möglichkeit, Ihrer Forderung auch politisch Nachdruck zu verleihen? Können Sie konkret Lobbyarbeit machen?

Abrahamczik: Wir versuchen das, so gut wir können. Ich habe schon im April die Gesundheitsministerin in Niedersachsen dazu angeschrieben und wir haben jetzt vor knapp 14 Tagen den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und auch den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in einem offenen Brief angeschrieben, dort die Situation erläutert und die Forderung vorgetragen. Dieser Brief ist auch an die Behindertenbeauftragten der Bundestagsfraktionen gegangen und an den Bundesbehindertenbeauftragten. Wir haben noch nicht viele Rückmeldungen bekommen. Aber die Rückmeldungen, die wir aus der SPD und der FDP bekommen haben, waren sehr ermutigend, dass unsere Vorstellungen in vollem Umfang mitgetragen werden und dass man versuchen wird, im Gesundheitsausschuss beispielsweise Lösungen zu suchen, damit auch Menschen mit Behinderung zukünftig wieder Teil am gesellschaftlichen Leben haben können.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
DR