DOMRADIO.DE: Wenn wir gedanklich 25 Jahre zurückgehen. Wie erinnern Sie sich an diesen Tag?
Armin Laschet (NRW-Ministerpäsident /CDU): Ich war damals Student und erinnere mich, dass wir in den Tagen zuvor eine sehr aufgewühlte Diskussion im Deutschen Bundestag hatten. Das Asylrecht wurde damals geändert, zehntausende Menschen hatten in Bonn die Straßen blockiert. Die Abgeordneten wurden mit Schiffen aus Bad Godesberg an den Bundestag herangebracht, um überhaupt an der Sitzung teilnehmen zu können. Die Lage war viel angespannter als heute, auch in der politischen Diskussion.
Und dann wurde drei Tage später dieser Brandanschlag gegen eine türkischstämmige Familie verübt. Sie waren als Gastarbeiter angeworben worden, lebten und arbeiteten seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Sie hatten mit der damaligen Flüchtlings-Diskussion überhaupt nichts zu tun. Das war in der Geschichte Nordrhein-Westfalens der schlimmste Anschlag seit Bestehen des Landes.
DOMRADIO.DE: Was hat der Anschlag von Solingen aus Ihrer Sicht verändert?
Laschet: Ich glaube, er hat viele schockiert. Türkische Jugendliche gingen überall in Deutschland auf die Straße. Man dachte, jetzt kommt es zu Auseinandersetzungen, weil der Zorn und die Wut über diesen Anschlag so groß waren. In dieser Situation hat Mevlüde Genç, Mutter und Tante der fünf Getöteten, zur Mäßigung aufgerufen. Sie hat erklärt, dass es sich um Einzeltäter, aber nicht um die Deutschen an sich handelte. So hat sie die Lage beruhigt.
Diese Haltung der Versöhnung mitten im tiefsten Schmerz ist in den Folgejahren auch vielfach gewürdigt worden.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, können denn von den Gedenkveranstaltungen heute auch Impulse für die Völkerverständigung ausgehen?
Laschet: Ich denke, es kann zum einen die Botschaft ausgehen, dass man über Flüchtlingspolitik und über richtige oder falsche Wege streiten darf. Aber man darf nicht gegen Menschen hetzen, wie das heute zum Teil wieder von einer Partei, die jetzt auch im Bundestag sitzt, getan wird.
Denn dem Wort können sehr schnell auch Taten folgen. Und deshalb muss man sich, gerade wenn man über Menschen spricht, immer bewusst machen, dass man damit auch ein Klima zerstören kann. So etwas darf sich nicht wiederholen.
Und das Zweite ist: Ich finde, wir können uns auch ein Beispiel an Frau Genç nehmen. Wie oft passiert es, dass nach einem Vorfall von Flüchtlingen oder Ausländern im Allgemeinen die Rede ist. Nein, es sind Einzeltäter. Generalisieren ist nicht menschengerecht. Man muss immer den Einzelfall im Blick haben. Und das finde ich, ist etwas, was wir auch von Frau Genç lernen können.
DOMRADIO.DE: Sie äußern sich sehr deutlich in diesen Tagen zur Einladung des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in den Landtag. Man hatte ja Angst vor Wahlkampf-Bekundungen drei Monate vor der Wahl in der Türkei. Sie nennen es sogar beschämend, ihn nicht sprechen zu lassen. Warum?
Laschet: Der Außenminister ist mir relativ egal. Ich hätte mir gewünscht, es hätte eine parteiübergreifende Gedenkfeier im Landtag gegeben. Das war nicht möglich, da will ich gar nicht weiter drüber reden. Wir haben deshalb gesagt: Dann findet sie in der Staatskanzlei statt. Die Vertreter aller Fraktionen beziehungsweise Parteien sind auch in der Staatskanzlei versammelt sowie einzelne Persönlichkeiten, die eine Beziehung zu Frau Genç hatten. Und ob der Außenminister da ist oder nicht, ist mir dann relativ egal. Für mich ist heute Frau Genç wichtig. Ich bin sicher, Außenminister Cavusoglu kennt auch die Bedeutung dieser Stunde und wird keinen Wahlkampf betreiben.
Das Gespräch führte Verena Tröster.