An manchen Winterabenden ist der Petersplatz kaum wiederzuerkennen: Wo sich tagsüber Touristen unter den Bernini-Kolonnaden tummeln, vermummeln sich ab der Dämmerung immer mehr Obdachlose auf den Stufen. Eng eingerollt in Schlafsäcke und Decken versuchen all jene, die keinen Schlafplatz in Unterkünften bekommen haben oder ihr Lager nicht verlassen wollen, die eiskalten Nächte zu überstehen.
Während des Kältenotstands sind selbst im sonnigen Italien seit Jahresbeginn bereits fünf Menschen auf der Straße erfroren. In Rom versuchen Hilfsorganisationen, Freiwillige und auch Papst Franziskus, die Wohnungslosen durch den Winter zu bringen.
Gemeinschaft Sant'Egidio kümmert sich
Eine der wenigen Frauen auf der Straße ist Ripalda. Die 85-Jährige hat hinter dem "Passetto" Quartier bezogen, dem Mauergang zwischen Engelsburg und Vatikan. Anders als viele, die auf dem Boden, gelegentlich auf Zeitungen, Decken oder Pappkartons liegen müssen, hat sie als Bett wenigstens einen alten blauen Liegestuhl.
"Wie geht's dir, Ripalda? Kalt ist es heute, oder?", fragt Carlo Santoro von der Gemeinschaft Sant'Egidio, die sich auch in der Obdachlosenhilfe engagiert. "Es geht, es geht, war schon mal kälter", antwortet sie. Unter all den Decken und Tüchern, die sie sich um den Kopf gewickelt hat, ist ihr Gesicht kaum zu erkennen. Santoro versucht, sie zu einem Umzug in die nahe gelegene Frauenunterkunft bei den Mutter-Teresa-Schwestern zu überreden.
Ripalda winkt ab. Sie hat Angst vor Dieben, sagt sie knapp. Trotz Winters lieber die blaue Sonnenliege. So hat sie diese und ihre anderen wenigen Habseligkeiten im Blick. Und die Polizei und Armee-Präsenz um den Petersplatz beruhigt sie. Nur wenige Meter entfernt patrouilliert ein Soldat. Der Helfer erinnert an die Mäuse draußen. Er weiß noch gut, wie er einen Obdachlosen, an dem sich die Nager festgebissen hatten, ins Krankenhaus bringen musste. Aber Ripalda bleibt hart. Sie will hier nicht weg.
Kritik an zu wenigen Schlafplätze
Medienberichten zufolge stellt die Stadt Rom für die "Barboni", wie Obdachlose hier heißen, derzeit etwa 500 Schlafplätze zur Verfügung. Zudem bleiben U-Bahn-Stationen in kalten Nächten geöffnet. Santoro geht von etwa 7.000 bis 8.000 Wohnungslosen aus. Angesichts dieser Zahl tue die Verwaltung viel zu wenig. "In Rom, einer europäischen Stadt, der Hauptstadt Italiens, sollte es eigentlich anders sein", sagt er.
Einige zusätzliche Schlafplätze gibt es. Im Stadtteil Trastevere etwa wird nachts eine Kirche geöffnet; rund 40 Leute können dort unterkommen. Eine auf Wunsch des Papstes eingerichtete Schlafstelle nahe der Ordenszentrale der Jesuiten ist für 36 Personen ausgelegt; aktuell finden dort 60 Wohnungslose Unterschlupf. "Es wäre schön, wenn noch mehr Pfarreien und Einrichtungen folgen würden. Dann wäre viel geholfen", so Santoro.
"Mit den Armen essen"
Ähnlich sieht das der päpstliche Almosenverwalter Erzbischof Konrad Krajewski, der sich im Auftrag von Franziskus um die Armen kümmert. "Wer öffnet seine Tür, wenn er einen Obdachlosen in der Kälte sieht, und bittet ihn herein?" Er erinnert an die Bibel: Auch Josef und Maria seien quasi Obdachlose gewesen; Jesus wurde in einem Stall geboren. "Auch wenn man vielleicht nicht immer allen helfen kann, sollte man es zumindest versuchen", lautet Krajewskis Devise.
Don Corrado, wie er sich allgemein nennen lässt, kennt viele der 60 bis 80 Obdachlosen rund um den Vatikan persönlich. Einige von ihnen lädt er regelmäßig in seine kleine Wohnung zum Essen ein. Papst Franziskus habe ihm mal gesagt: "Es reicht nicht, den Armen etwas zu essen zu geben - du musst auch mit ihnen essen." Auch wenn das möglicherweise gar nicht wörtlich gemeint war, setzt der Almosenmeister es so konkret um.
"Verzweifelter Versuch" - Autos als Schlafplatz
Verpflegung, Duschen und Friseure unter den Kolonnaden des Petersplatzes oder der medizinische Dienst für Obdachlose sind nur einige Initiativen von Papst Franziskus für die Obdachlosen am Vatikan. Versuche, den Menschen ihre Würde zurückzugeben. "Wir müssen wie eine Mutter sein, die ihre Kinder immer liebt. Wenn sie nicht helfen kann, ist sie da und umarmt. Und sie hat ihr Haus immer offen für die Kinder, auch wenn es an ihnen liegt, zu kommen", sagt Krajewski.
Das Leben auf der Straße verändere die Menschen, erklärt er. "Irgendwann ist es wie eine Krankheit. Sie fixieren sich verrückterweise auf dieses Leben." Einige wollen, wie Ripalda, ihren Schlafplatz draußen trotz Kälte, Regen oder Mäuseplage nicht verlassen.
So kam man auf die Idee mit den Autos. "Keine gute Lösung, sondern ein verzweifelter Versuch", sagt der Almosenmeister. Seit einer Woche parken an mehreren Plätzen um den Vatikan kleine Kastenwagen und Mini-Vans mit Vatikan-Kennzeichen. Dort können Obdachlose in größter Not unterkriechen, ohne ihren angestammten Schlafplatz aus dem Blick zu verlieren. Auch im Auto ist es kalt, aber wenigstens regnet es nicht. Auch Ripalda, zögerlich, traut sich schließlich in einen solchen weißen Wagen - direkt neben ihrer blauen Sommerliege.