Obdachlosenzeitung "fiftyfifty" ist als Onlineausgabe erhältlich

Neue Zielgruppen erreichen

Seit 1995 verkaufen obdachlose Menschen die Zeitung "fiftyfifty", die Hälfte des Preises dürfen sie behalten. Jetzt gibt es das Angebot auch online. Per Rubbellos erwirbt man den Zugang und kann dabei auch große Gewinne abstauben.

Autor/in:
Tobias Fricke
Ein Mann bietet eine Ausgabe der Straßenzeitung "fiftyfifty" an. / © Madita Steinre (KNA)
Ein Mann bietet eine Ausgabe der Straßenzeitung "fiftyfifty" an. / © Madita Steinre ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie wollen mit einer neuen Onlineversion neue Leser und Kunden gewinnen. Straßenverkäufer in Düsseldorf verkaufen die Printausgabe schon seit Jahren für 2,80 Euro. Wie geht das jetzt mit der Onlineausgabe? 

Hubert Ostendorf (Gründer und Geschäftsführer von "fiftyfifty"): Vorab möchte ich nochmal sagen, dass Obdachlosigkeit das schlimmste Schicksal ist, das man sich in unserer Gesellschaft vorstellen kann. Die Menschen sind auf den Verkauf von "fiftyfifty" angewiesen. In 30 Jahren haben wir viel Hilfestellung leisten können. 

Es geht dabei nicht nur um den Verkauf. Es geht auch um die vielen Kontakt, die dadurch geknüpft werden. Wir haben im Laufe der Zeit etwa 10 Millionen Zeitungen verkauft, also auch 10 Millionen Kontakte zwischen Menschen geschaffen, die nichts haben, und anderen, die ein bisschen oder viel mehr haben.

DOMRADIO.DE: In letzter Zeit finden viele Printprodukte immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung.

Ostendorf: Die bürgerlichen Medien haben zum Teil einen Rückgang von 90 Prozent im Printgeschäft. Das ist uns bisher erspart geblieben. In den besten Zeiten haben wir 40.000 Exemplare pro Monat verkauft, jetzt sind es, in der Weihnachtszeit, etwa 25.000. Unser Tiefstand war 14.000.

Hilfe für Obdachlose / © UfaBizPhoto (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert das jetzt mit der Online-Ausgabe?

Ostendorf: Wir führen unser neues Online-Produkt in einer Zeit ein, in der noch nicht alles verloren ist. Wir haben noch Zeit, die Umstellung gut hinzubekommen. Das neue Produkt muss man sich wie Rubbellose vorstellen. 

Die Verkäuferinnen und Verkäufer haben eine DIN-A5-große Pappe, auf der ein Rubbelcode angebracht ist, und wenn man diesen Code freirubbelt, kann man damit ins Internet gehen und "fiftyfifty" online lesen.

Hubert Ostendorf

"Im ersten Monat gibt es als Hauptgewinn, wenn man die drei Smileys hat, einen handsignierten Bass der Toten Hosen zu gewinnen."

DOMRADIO.DE: Und Sie haben sich auch eine Marketingstrategie überlegt, um die Online-Ausgabe einzuführen.

Ostendorf: Wir haben neben dem Code entweder drei Smileys oder einen Smiley angebracht. Das heißt, man kann etwas gewinnen und wir nennen das treffenderweise "Obdach Los". Also ein Los, das Obdachlose verkaufen, um ihr Los auf der Straße zu verbessern.

Die Gewinne sind spektakulär. In diesem ersten Monat gibt es als Hauptgewinn - das ist der Fall, wenn man die drei Smileys hat - einen handsignierten Bass der Toten Hosen zu gewinnen. Er ist von allen Bandmitgliedern signiert und Breiti, der Gitarrist, hat den auch der Öffentlichkeit vorgestellt. 

Mit einem einzigen Smiley können die Leserinnen und Leser 100 Grafiken von Helge Schneider und seinem bekannten Katzenklo gewinnen. Die sind handsigniert.

DOMRADIO.DE: Das ist aber für die Leser, und nicht für die Verkäufer, oder?

Ostendorf: Genau, das können die Leserinnen und Leser gewinnen. Der Zugang zu "fiftyfifty" kostet 2,80 Euro, also genauso viel wie das Printprodukt, aber man bekommt mehr dafür. Die Inhalte, die wir online stellen, sind ausführlicher. Es gibt beispielsweise Links zu Filmen, was ja in den Printausgaben nicht möglich ist.

Hubert Ostendorf

"Diese Gewichtung geht bei Online-Produkten, die man auf dem Smartphone liest, verloren."

DOMRADIO.DE: Dadurch wird weniger Papier bedruckt. Steht möglicherweise die Printausgabe ganz vor dem Aus, wenn die Onlinevariante ein Erfolg wird?

Ostendorf: Das ist die Befürchtung von vielen. Wir klagen - ich habe es bereits gesagt - auf hohem Niveau. Wir wollen die Printausgabe auf jeden Fall fortführen. Ich bin selbst ein großer Fan von Printprodukten, auch wenn wir "fiftyfifty" jetzt mit großer Leidenschaft online eingeführt haben. 

Die Zeitungsleser verstehen, was ich meine: Bei einer Zeitung hat man eine Gewichtung der Artikel. Auf der Titelseite steht die Titelgeschichte, die groß aufgemacht ist. Auf der zweiten Seite ist ein Kommentar oder die Karikatur. 

Symbolbild Zeitungen auf einem Laptop / © Photo Kozyr (shutterstock)
Symbolbild Zeitungen auf einem Laptop / © Photo Kozyr ( shutterstock )

Diese Gewichtung geht bei Online-Produkten, die man auf dem Smartphone liest, verloren. Man nennt das One-Pager. Auf einer einzigen Seite hat man dann einzelne Elemente und unter den Bildern werden dann die Artikel angeteasert. Egal ob eine Geschichte lang oder kurz ist, die Ankündigung ist immer gleich. Da fällt das mit der Gewichtung schwerer.

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich mag Printprodukte und so lange wir noch die 14.000 bis 25.000 Zeitungen verkaufen, werden wir die auch nicht einstellen, sondern parallel laufen lassen.

Hubert Ostendorf

"Leider geben aber viele nur noch das Geld und wollen die Zeitung nicht haben."

DOMRADIO.DE: Je mehr Zeitungen verkauft werden - unabhängig, ob Print oder online, umso mehr profitieren die Verkäufer. Die Zeitung ist für Obdachlose eine wichtige Einnahmequelle. Welche Ideen haben Sie noch für die Zukunft?

Ostendorf: "fiftyfifty" ist nicht der Anfang unseres großen Projektes der Solidarität und Nächstenliebe, sondern der Dreh- und Angelpunkt. Für viele Obdachlose ist es heutzutage schwer, die Zeitung zu verkaufen. Deswegen haben wir dieses neue Produkt eingeführt. 

Wir erhoffen uns, damit eine neue Zielgruppe zu erreichen. Wir wollen dieses Verhalten der Leserinnen und Leser aufbrechen, die die Zeitung nicht annehmen und einfach so einen oder zwei Euro geben. 

Wir hoffen, dass wir durch das Onlineformat auch jüngere Menschen gewinnen können, die digital affin sind. Gerade in Zeiten der Ausgrenzung und des zunehmenden Rechtsrucks ist es wichtig, dass unsere Inhalte auch junge Menschen erreichen, die sonst vielleicht eher in den Unterhaltungsmedien aktiv sind. 

Deswegen sind wir neuerdings auch auf TikTok unterwegs. Das wird gut angenommen. Gestern hat mir ein Verkäufer erzählt, dass er an einen Kunden gleich sieben "Obdach Lose" verkauft hat. Wunderbar. Das wäre bei Printprodukten nicht der Fall. Man kauft maximal eins. Leider geben aber viele nur noch das Geld und wollen die Zeitung nicht haben.

Das Interview führte Tobias Fricke.

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Symbolbild Spende / © LariBat (shutterstock)
Quelle:
DR