Himmelklar: Ganz simpel gefragt: Dem lieben Gott wird es doch egal sein, wer von uns wie Eucharistie oder Abendmahl feiert? Dem wird es doch mehr darum gehen, dass wir das Christus-Mahl überhaupt zelebrieren, und nicht welche theologischen Feinheiten die Konfessionen da unterscheiden?
Prof. Volker Leppin (Evangelischer Theologieprofessor an der Universität Yale und Herausgeber des Dokuments "Gemeinsam am Tisch des Herrn" nach einem Votum des ökumenischen Arbeitskreises): Tatsächlich ist ein Grundgedanke unseres Dokuments: Jesus Christus hat eingeladen. In der Tat ist es nicht an uns, da Grenzen zu setzen. Allerdings ist es natürlich auch so: Natürlich interessiert Gott, wer hingeht. In der Einladung wendet er sich an diejenigen, die an ihn glauben und getauft sind und zu seiner Kirche gehören.
Da ist also klar vorgegeben, dass es eine bestimmte Gruppe ist, und nicht jeder am Abendmahl teilnehmen kann. Man muss sorgsam damit umgehen. Es ist ein Geschenk, und mit einem Geschenk gehe ich entsprechend um. Aber ich muss tatsächlich als Mensch und als Amtsträger in der Kirche vorsichtig sein, dass ich nicht Grenzen setze, die so vom biblischen Befund und vom Auftrag Jesu Christi her nicht vorgegeben sind.
Himmelklar: Die großen Kirchentrennungen zwischen Katholiken und Orthodoxen bzw. Protestanten haben sich ja erst ein Jahrtausend nach Jesu Lebzeiten entwickelt. Da müsste doch vorher ein und das gleiche Abendmahl auch von allen Christen gleichermaßen gefeiert worden sein. Ist es also nicht etwas konstruiertes, dass wir Katholiken den anderen Konfessionen die Legitimität dieses Sakraments absprechen?
Leppin: Im Grunde steht die Vielfalt schon am Beginn. Dazu gehört auch, dass man sich gegenseitig ausschließt. In den Johannesbriefen im Neuen Testament stehen schon deutliche Ausschlussformen. Dieses Geschenk, in dem Jesus Christus sagt, "ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", bringt es auch mit sich, dass derjenige, der die Wahrheit empfangen hat, Befürchtungen hat, jemand anderes könnte diese Wahrheit beanspruchen, ohne sie tatsächlich zu haben. Das heißt, Streit und Ausschluss gehören von Beginn an dazu.
Die Aufspaltung der Kirchenformen hat eine längere Entwicklung. Am Anfang haben wir einzelne kleine Gemeinden, die manchmal gar keine wirklichen Berührungspunkte haben. Die sind höchstens miteinander verbunden durch den Apostel, der sie gemeinsam oder nacheinander gegründet hat. Und dann entstehen die Kirchenstrukturen. Das führt auch zu einer Verrechtlichung von Ausschlussverfahren. Das ist das, was uns heute sicherlich an vielen Punkten auch irritiert und Dinge schwierig macht, dass theologische Fragen und rechtliche Fragen dann sehr eng miteinander verbunden sind.
Himmelklar: Werden wir mal konkret: Die Katholiken glauben, dass bei der Wandlung der Leib Christi wirklich in Realpräsenz da ist. Die Lutheraner zum Beispiel denken das auch, aber beziehen das nur auf diesen Moment der Abendmahlsfeier. Für die reformierten Protestanten ist das eher ein symbolischer Akt. Richtig erklärt?
Leppin: In der Tat, der lutherische Glaube sagt: Jesus Christus ist, in, mit und unter den Elementen da, ohne dass wir das genauer fassen können. Aber der Vorgang, die Hostie einzunehmen im Abendmahl und den Wein zu trinken, heißt tatsächlich in dem Moment, auch leiblich Jesus Christus zu empfangen. In einer dann nicht weiter beschreibbaren Weise. Da ähneln sich katholische und lutherische Auffassung tatsächlich sehr – mit dem Unterschied, den man vielleicht am deutlichsten im Tabernakel, im Sakramentshaus in der katholischen Kirche sieht oder an Fronleichnam. Die Überzeugung, dass die einmal vollzogene Wandlung bleibt, im katholischen Raum, diese Überzeugung teilen wir nicht von lutherischer Seite.
Wenn ich versuche als Lutheraner die reformierte Seite zu beschreiben, dann kann man von reformierter Seite auch sagen: Ja, Jesus Christus ist wahrhaft präsent, aber nicht in dieser leiblichen Weise, sondern in einer eher geistlichen Weise. Im Vollzug des Abendmahls begegne ich aber tatsächlich Jesus Christus selbst. Das ist auch reformierte Überzeugung. Da gab es lange Zeit auch Ausgrenzungen, die das im Grunde nicht möglich gemacht haben zu erkennen, dass das auch die reformierte Überzeugung ist.
Heute gibt es Dokumente der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), in denen Reformierte und Lutheraner gemeinsam von der Realpräsenz Christi sprechen – und damit teilweise etwas Unterschiedliches meinen. Da stellt sich für uns die Frage: Müssen wir das bis ins letzte ausdefinieren, oder akzeptieren wir: Jesus Christus begegnet mir in diesem eucharistischen Geschehen, in diesem Abendmahlsgeschehen wirklich selbst, egal auf welche Art und Weise. Das ist der entscheidende Ansatzpunkt.
Himmelklar: Das müsste doch dann aber auch im Endeffekt zu Konflikten führen. Wenn die EKD einen gemeinsamen Gottesdienst mit Abendmahl feiert, und jeder dieses Ritual anders interpretiert.
Leppin: Das Verständnis ist unterschiedlich, ja. Aber seit den Arnoldshainer Thesen aus den Fünfzigerjahren, die für Deutschland galten, und der Leuenberger Konkordie aus den 70er-Jahren, die dann für ganz Europa gilt, gehen wir von evangelischer Seite davon aus, dass die Unterschiede nachrangig sind gegenüber der gemeinsamen Überzeugung, Jesus Christus ist wirklich da.
Ob alle Lutheraner tatsächlich dasselbe denken, ob alle Katholik:innen dasselbe denken, wenn sie die Eucharistie empfangen, das wissen wir ja auch nicht. Wovon wir vertrauend ausgehen und was in der Regel auch bestätigt wird durch das Amen beim Empfang, ist die Überzeugung: Ja, dies ist wahrhaft Jesus Christus.
Himmelklar: Von der reinen, simplen Logik müsste man ja am ehesten zu den reformierten Protestanten tendieren, und im Abendmahl mehr eine Symbolik oder einen spirituellen Akt sehen, als von einer physischen Veränderung der Hostie, wovon Lutheraner und Katholiken sprechen. Das klingt ja eher nach Magie ala Harry Potter, das kann ich ja mit Chemie und Mikroskop problemlos widerlegen.
Leppin: Wir würden theologisch weniger von Magie und von Harry Potter sprechen als vom Geheimnis des Glaubens, wovon ja auch liturgisch die Rede ist. Es gibt da auch Punkte, die man im Einzelnen nicht mehr verstehen kann oder muss. Das war übrigens auch Martin Luther sehr wichtig: Jesus Christus ist da. Ich kann das auf unterschiedliche Weisen versuchen zu verstehen. Ich muss aber nicht festlegen, wie das verstanden wird.
Es ist wirklich Jesus Christus in seiner Gänze da. Und zur Gänze eines Menschen gehören Seele, Geist und Leib. Ob ich das im Einzelnen verstehe, ist dann auch wiederum nachrangig. Und ob ich dann für mich sage, als Mensch des 21. Jahrhunderts muss ich ganz vom Geistlichen her denken, ist auch nachrangig. Auch durch den Geist, also im reformierten Bewusstsein, wird mir ja der ganze Christus gegenwärtig.
Himmelklar: Aber warum ist denn diese Hostie, die vor mir liegt, die mit Mikroskop und chemischer Analyse untersuchen kann nach unserer Glaubensüberzeugung, nicht das, was ich faktisch belegen kann?
Leppin: Ich würde vielleicht um die Ecke herangehen und sagen: "Warum ist jetzt eigentlich das Taschentuch, was du von deiner Freundin geschenkt bekommen hast, ein ganz anderes Taschentuch als das, was du in einem Geschäft kaufen kannst?" Dann sind wir, glaube ich, der Sache sehr viel näher.
In rein physischen Gegenständen liegt mehr an Wirklichkeit, und das hat viel mit Beziehungen zu tun. In diesem Falle ist es die Beziehung zwischen Freund und Freundin. Im Falle des Abendmahls ist es die Beziehung zwischen Jesus Christus und den Glaubenden.
Himmelklar: Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass es innerhalb der evangelischen Kirche unterschiedliche Ansichten gibt, man aber zusammenkommt dadurch, dass man das nicht bis in den letzten Millimeter hinein definiert. Kann man das so sagen?
Leppin: Dass man Grundlegendes von Folgendem unterscheidet, das ist, glaube ich, wichtig als Denkform.
Himmelklar: Das müsste dann ja auch der Ansatz für ein gemeinsames Abendmahl zwischen Katholiken und Protestanten sein. Wir einigen uns auf die Grundsätze, aber gestehen zu, dass wir im Detail etwas anderes sehen.
Leppin: Es geht ja nicht darum, dass wir Menschen uns einigen. Benedikt XVI. hat bei seinem Besuch in Erfurt vor vielen Jahren die Ökumene kritisiert, als ginge es darum, dass Menschen sich auf etwas einigen. Und genau das ist nicht der Ansatz der Ökumene, sondern wir schauen sensibel darauf: Was ist eigentlich das uns Vorgegebene?
Wenn ich das Neue Testament aufschlage und gucke, was steht da eigentlich über das Abendmahl, dann sehe ich zunächst einmal: Jesus Christus schenkt uns etwas, er schenkt sich. Da müssen wir uns gar nicht drauf einigen, sondern das müssen wir nur einfach ruhig feststellen.
Himmelklar: Schauen wir noch mal in Ihr Dokument rein, "Gemeinsam am Tisch des Herrn". Was Ihnen ja wichtig ist, und ich glaube, was man auch noch mal betonen muss, ist ja, dass Sie nicht sagen: Wir wollen, dass ein Ritus gefeiert wird für alle gemeinsam, sondern Sie wollen quasi rechtfertigen, warum es zu einer gegenseitigen Einladung kommen kann. Können Sie da noch mal den Unterschied erklären, warum das etwas anderes ist?
Leppin: Das eine würde im Grunde eine neue Liturgie erfordern. Man müsste sich Stück für Stück überlegen, auf welchen Kompromiss in einer Formulierung man sich einigen kann. Die Möglichkeit der gegenseitigen Einladung heißt: Auch wenn ein bestimmter Ritus anders ist, als ich das kenne, dann ist das ein Ritus, der in sich richtig und für mich akzeptabel ist. Und ich kann daran teilnehmen, auch wenn ich mir nicht jeden einzelnen Satz zu eigen mache.
Es hilft auch ein bisschen international unterwegs zu sein. Der Ritus, den ich jetzt lutherisch hier in Amerika feiere, ist natürlich ein anderer als der, den ich in Deutschland erlebt habe. Und selbst in Deutschland gibt es komplett unterschiedliche liturgische Situationen. Ich aber kann in der einen wie der anderen Feiergestalt die Grundelemente wahrnehmen: Jesus Christus lädt zu seiner Gegenwart ein.
Himmelklar: Und auch in der katholischen Kirche gibt es unterschiedliche Riten. Die römischen Katholiken feiern anders, als die katholischen Ostkirchen. 2019 hatten wir die große Debatte um einen eigenen Amazonas-Ritus im Rahmen der Bischofssynode zu Amazonien. Hoffen Sie darauf, dass solche Entwicklungen auch zu einer Anerkennung protestantischer Riten führen könnten?
Leppin: Das wäre meines Erachtens konsequent. Im Grunde kann man ja auch die Reaktionen auf die Amazonassynode noch einmal in ihren Grundlagen im Zweiten Vatikanum nachvollziehen. Das Verständnis der Liturgie, wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert wurde, hat gerade bewusster auch die Vielfalt wahrgenommen, die da ist. Die katholische Liturgieforschung des 20. Jahrhunderts mit dem bedeutenden Forscher Jungmann hat deutlich gemacht: Liturgie ist immer vielfältig. Insofern hoffe ich, dass die römisch-katholische Kirche auch in ihrer Spitze die Offenheit zurückgewinnt, die sie im Zweiten Vatikanum gezeigt hat.
Himmelklar: Was sehen Sie denn als Zielpunkt der ökumenischen Bestrebungen, wenn es nicht ein gemeinsamer, ökumenischer Ritus ist? Wann hat „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ seinen Zweck erfüllt?
Leppin: Wenn wir evangelisch wie katholisch es schaffen würden, eine kirchliche Willkommenskultur zu haben, in der diejenigen, die an Jesus Christus glauben, und diejenigen, die durch Jesus Christus zum Abendmahl eingeladen sind, mit großer Selbstverständlichkeit hier wie dort in die Kirche gehen.
Wenn Ehepaare verschiedener Konfessionen sagen können: Wir gehen an einem Sonntag zu deiner Konfession, am anderen Sonntag zu meiner, und es macht uns nichts. Die Kirche trennt uns nicht am Altar, während wir doch sonst alles gemeinsam haben. Das wäre die Hoffnung, die ich für die nächsten Jahre habe.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.