Ökumeniker ordnet die Rolle der Kirche im Ukraine-Krieg ein

Keine nationale Grenze für die Ökumene

Der Angriff Russlands auf die Ukraine dauert fast ein Jahr an – trotz der vielen Appelle aus der Politik. Johannes Oeldemann, Direktor des Möhler-Instituts für Ökumenik, weiß um die Rolle der Kirchen in diesem Krieg.

Absperrband vor dem Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats / © Sergey Korovayny (KNA)
Absperrband vor dem Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats / © Sergey Korovayny ( KNA )

DOMRADIO.DE: Religion und Politik - ein oft schwieriges Spannungsfeld. Das sehen wir gerade in der Ukraine. Inwiefern wird Religion hier auch für politische Zwecke instrumentalisiert? 

Dr. Johannes Oeldemann / © Möhler-Institut
Dr. Johannes Oeldemann / © Möhler-Institut

Dr. Johannes Oeldemann (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik)Ich denke, das kann man im Krieg Russlands gegen die Ukraine sehr deutlich sehen, am deutlichsten auf der russischen Seite, wo der orthodoxe Patriarch den Krieg Russlands mit religiösen Argumenten rechtfertigt und auch Präsident Putin sich immer wieder auf religiöse Dimensionen beruft im Kampf gegen die Ukraine.

In der Ukraine selbst gibt es aber auch eine Tendenz, zum Beispiel wenn der pauschale Verdacht gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche geäußert wird, dass sie doch mit Moskau nach wie vor kollaboriert. Der Staat versucht, diese Kirche zu verbieten. Das ist allerdings ein sehr schwieriger Prozess, weil es diese Kirche nicht als Ganzes gibt, sondern nur in ihren einzelnen Organisationen, den Gemeinden.

DOMRADIO.DE: Da haben Sie jetzt schon den Zwist der orthodoxen Kirchen untereinander und mit dem Staat angesprochen. Wo sehen Sie da die Konfliktlinien? 

Oeldemann: Ausschlaggebend ist, wie sich die Kirchen zum Staat positionieren. Beide Kirchen, die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die früher mit Moskau verbunden war, und die autokephale-orthodoxe Kirche der Ukraine haben von Beginn an den Krieg und den Angriff Russlands verurteilt und sich auf die Seite des ukrainischen Staates gestellt.

Allerdings hegt man seitens der Regierungsvertreter immer noch den Verdacht, dass die ukrainisch-orthodoxe Kirche weiterhin mit Moskau in Verbindung steht, obwohl sie sich Ende Mai letzten Jahres von Moskau losgesagt hat. Leider hat es auch einzelne Fälle gegeben, wo sich Bischöfe oder Priester dieser Kirche offensichtlich als Kollaborateure der russischen Seite betätigt haben. Aber es ist problematisch, aus diesen Einzelfällen dafür die gesamte Kirche in Haftung zu nehmen. 

DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, Ökumene hat auch nationale Grenzen? Oder sollte zum Beispiel die Kirche den Kontakt zur russisch-orthodoxen Kirche in Russland halten, um der Einheit willen? 

Oeldemann: Ökumene sollte aus meiner Sicht keine nationalen Grenzen haben. Sie funktioniert momentan in der Ukraine über den gesamt Ukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen halbwegs gut. Es ist gerade in einer Konfliktsituation wie jetzt im Krieg wichtig, dass die Ökumene nicht an den nationalen Grenzen endet.

Man muss auch mit der russischen Orthodoxie Gespräche führen, derzeit nicht mit den offiziellen Repräsentanten des Patriarchats, weil man dadurch indirekt ihre Positionierung in diesem Krieg legitimieren würde. Dennoch halte ich es für wichtig, das Gespräch mit anderen Kirchenvertretern aufrechtzuerhalten. Es gibt auch zumindest leise Stimmen in der russischen Orthodoxie, die Kritik am Kurs des Patriarchats anmelden.

Zu Weihnachten haben orthodoxe Priester und andere Christen in Russland dazu aufgerufen, dass die Christen in Russland für den Frieden eintreten müssen und haben daran erinnert, dass die Christen in der Ukraine ihre Nächsten sind und man anders reagieren müsste, als das Patriarchat es derzeit tut. 

DOMRADIO.DE: Sie waren am vergangenen Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Hat da Religion auch eine Rolle gespielt? 

Oeldemann: Sie hat eine Rolle gespielt, wenn auch keine ganz große. Es gab ein Podium, wo Vertreter verschiedener Kirchen und Religionsgemeinschaften über die Rolle von "Faith based Diplomacy" gesprochen haben, also auf Deutsch: welche Rolle Glaubensgemeinschaften in der Diplomatie spielen können. Das zeigt, dass der Faktor Religion den Veranstaltern der Münchner Sicherheitskonfernez durchaus bewusst ist.

Johannes Oeldemann (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik)

"Das zeigt, dass der Faktor Religion den Veranstaltern der Münchner Sicherheitskonferenz durchaus bewusst ist."

Allerdings hatte ich den Eindruck, dass bei den übrigen Veranstaltungen, die ich besuchen konnte, dann diese Frage wiederum nicht im Mittelpunkt stand, sondern eher eine Randerscheinung war im Rahmen der Konferenz. Aber es war immerhin gut, dass es diese eine Veranstaltung dazu gab. 

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat den Krieg in der Ukraine heute erneut als absurd und grausam bezeichnet und einen Waffenstillstand gefordert. Wie viel Gewicht haben solche Aussagen und welchen Beitrag kann Religion überhaupt zur Überwindung von solchen Konflikten leisten?

Oeldemann: Ich glaube es ist ganz wichtig, dass der Papst immer wieder darauf hinweist und zum Frieden aufruft. Welche Rolle er aber letztlich dabei spielt, da bin ich etwas skeptischer. Denn ich glaube, dass der Vatikan von keiner der beiden Seiten, die in diesen Konflikt involviert sind, als Verhandlungspartner akzeptiert würde, insbesondere nicht von russischer Seite. Der Einfluss der vatikanischen Diplomatie ist deshalb wahrscheinlich doch relativ begrenzt.

Johannes Oeldemann (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik)

"Der Einfluss der Kirchen kann nicht darin bestehen, unmittelbare Friedensverhandlungen zu veranlassen, sondern eher die Basis dafür zu schaffen, dass Friedensverhandlungen überhaupt beginnen können."

Ich glaube, der Einfluss der Kirchen kann nicht darin bestehen, unmittelbare Friedensverhandlungen zu veranlassen, sondern eher die Basis dafür zu schaffen, dass Friedensverhandlungen überhaupt beginnen können. Das besteht darin, Vertrauen wiederzugewinnen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass auf beiden Seiten Menschen unter diesem Krieg leiden und diesem Leid ein Ende gesetzt werden muss. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine

Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny (KNA)
Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
DR